Taliban erobern Präsidentenpalast in Kabul
Staatsoberhaupt Ghani flieht ins Ausland – Bundeswehr fliegt Deutsche und Ortskräfte aus
(dpa/AFP) - Zwei Jahrzehnte nach ihrem Sturz stehen die Taliban in Afghanistan kurz davor, die Macht am Hindukusch wieder an sich zu reißen. Nach dem blitzartigen Vormarsch der Islamisten spitzte sich die Lage am Sonntag in Kabul dramatisch zu: Die afghanische Regierung gab auf und erklärte sich zur Machtübergabe bereit, Präsident Aschraf Ghani floh ins Ausland. Nach Medienberichten konnten die Kämpfer den Präsidentenpalast einnehmen.
Die Geschwindigkeit des TalibanVormarsches seit dem Beginn des Abzugs der Nato-Truppen im Mai löste international Fassungslosigkeit aus. Unter Hochdruck arbeiten westliche Staaten, darunter Deutschland und die USA, an der Rückführung von Botschaftspersonal sowie der Ausreise von afghanischen Ortskräften aus Kabul.
Die Bundeswehr will am frühen Montagmorgen Fallschirmjäger und die ersten Transportflugzeuge vom Typ A 400 M nach Kabul schicken. Von dort sollen die Maschinen unter anderem das Personal der deutschen Botschaft in ein Drittland ausfliegen. Dort wird eine „Drehscheibe“eingerichtet, von der aus es dann eine „Luftbrücke“nach Deutschland geben wird. Der weitere Transport nach Deutschland erfolge mit gecharterten Maschinen, hieß es.
Zudem sollen rund 300 afghanische Ortskräfte, die in Afghanistan für Deutschland gearbeitet haben, samt ihren Familien ausgeflogen werden.
Zuvor hatte ein Taliban-Sprecher angekündigt, die Miliz wolle innerhalb der „kommenden Tage“einen „friedlichen Machttransfer“. Afghanistans Innenminister Abdul Sattar Mirsakwal sagte eine „friedliche Machtübergabe“an eine „Übergangsregierung“zu.
Am Sonntagnachmittag schlug dann die Nachricht ein, dass Präsident Ghani außer Landes floh. Stunden nach seiner Flucht meldete sich Ghani mit einer Erklärung via Facebook zu Wort und bekundete seine Sorge um die Sicherheit der Bevölkerung in der Hauptstadt: Er sei geflohen, um „eine Flut des Blutvergießens zu verhindern“, erklärte er. Wenn er geblieben wäre, wären „zahllose Patrioten“getötet und Kabul zerstört worden.
Unter den Bewohnern von Kabul breitete sich Panik aus, vor den Banken bildeten sich lange Schlangen. Vielerorts herrschte Angst davor, dass die Hauptstadt im Chaos versinken könnte.
Die Islamisten hatten in den vergangenen Tagen eine afghanische Stadt nach der anderen eingenommen, zuletzt auch das strategisch wichtige Dschalalabad im Osten und den früheren Bundeswehr-Standort Masar-i-Scharif im Norden.