Härtetest für den selbstfahrenden Bus
Lange hat Lindau auf den Prototypen gewartet, nun soll er regelmäßig fahren
Von Grischa Beißner
- Die Türen gehen auf, Menschen steigen ein, der Bus setzt sich in Bewegung – aber den Fahrer sucht man vergeblich. Stattdessen ist da nur eine Kabine mit sechs Sitzen, auf Bildschirmen flimmern seltsam gefärbte Bilder und Schemen der Umgebung. Das ist der Prototyp für einen kleinen, würfelförmigen und selbstfahrenden Bus. Nach ein paar Anlaufschwierigkeiten zieht dieser nun seine Bahnen auf der Insel.
Noch bevor der Bus auf seine erneute Jungfernfahrt gehen kann, sammeln sich neugierige Menschen davor. Viele haben Fragen, mustern das Gefährt fasziniert, vielleicht auch hier und da noch unsicher. Mitfahren wollen sie gern, doch der Bus fasst aufgrund der Corona-Vorschriften aktuell nur vier Passagiere.
Dann setzt sich das Gefährt in Bewegung – ganz vorsichtig. Fast, als würde man gerade bei einem im Auto sitzen, der noch nicht lang seinen Führerschein hat. Dann fährt der kleine Bus aber ziemlich souverän, hält Abstand und kommt am Kreisel vor der Thierschbrücke zum Stehen. Zwei junge Frauen stehen am Zebrastreifen, beobachten den Bus misstrauisch, als wüssten sie nicht so recht, was sie von dem Gefährt ohne sichtbaren Fahrer halten sollen. Als der Bus noch länger steht, geht die erste beherzt auf die Straße, die andere folgt dichtauf, lässt den Bus dabei aber keinen Moment lang aus den Augen.
Dabei wirkt die Fahrt von innen eher ungefährlich und gemütlich, denn der Buswürfel darf nur 18 Kilometer pro Stunde fahren und zuckelt langsam durch den Lindauer Verkehr. Das sorgt bei Autofahrern und Radlern für den Drang, den autonomen Bus zu überholen. Der wird daraufhin noch etwas langsamer oder geht, als ihn ein Fahrradfahrer schneidet, lieber direkt in die Bremsen. „Wann immer etwas in den engen Sicherheitsbereich des Busses eindringt, wird der langsamer, um sensibler reagieren zu können“, sagt Michael Fieseler von Continental. Der Pressesprecher der Lindauer Zentrale von Continental ist mit an Bord und erklärt, wie der Bus die Welt „sieht”.
Mit drei Arten von Sensoren nimmt der Bus seine Umgebung wahr: Radar, Kameras und Lidar, also Lasererkennung. So, wie auch ein Mensch nicht nur sieht, sondern auch hört. Die bunten Bildschirme im Bus zeigen teilweise in Echtzeit, teilweise in Beispielvideos, was der Bus erkennt und wie er es sieht. Radarechos, Kamerabilder, Laserabtastungen – alles wird in Formen übersetzt und interpretiert, wie es auch das menschliche Hirn und Augen tun. Mit diesen Sinnen bewegt er sich dann ganz allein durch den Verkehr. Aber so richtig stimmt das noch nicht. Denn die Frau, die im Bus stets an der Tür steht, ist ein sogenannter Operator. Mit einem umgehängten Joystick kann sie zur Not den Bus steuern.
„Eigentlich könnte die Sensorik das schon alleine leisten“, erklärt Michael Fieseler, „aber aus Gründen der gesetzlichen Vorgaben und zu unserer eigenen Sicherheit ist für die komplexen Situationen noch immer ein Mensch mit an Bord.“Dieser Mensch kümmert sich zum Beispiel um das Einfädeln in den Verkehr oder hilft, wenn mal ein Fahrzeug halb auf der Fahrbahn steht. So, wie auch auf dieser Fahrt, als ein Lastwagen an der Gartenschau seine Getränke mitten auf der programmierten Fahrbahn auslädt. Das künstliche Gehirn des Busses würde hier sonst vielleicht so lange stehen, bis der Lastwagen weggefahren ist.
Schon seit vergangenem Montag sollte der Shuttle-Bus ursprünglich die Menschen vom Kreisel beim Casino zur Gartenschau bringen. Doch nach seinem ersten Einsatztag hat Continental beim Parken festgestellt, dass die Handbremse Probleme macht. Also wurde das autonome Shuttle kurzerhand wieder zur Reparatur aus dem Verkehr gezogen. „Am längsten hat die Lieferung der Ersatzteile gedauert“, sagt Fieseler. „Der Einbau ging dann ganz schnell, am Donnerstag haben wir alles noch mal getestet.“Nun fährt der BusWürfel seit Freitag wieder.
Die Lindauer haben ihn schon sehnsüchtig und neugierig erwartet, denn sein Debüt hatte der kleine fahrende Würfel schließlich schon bei der Eröffnung der Gartenschau. Doch da durfte er nicht lange fahren.
Der Grund: Das Zulassungsverfahren für selbstfahrende Autos ist in Deutschland sehr kompliziert. Bei der Gartenschau ist zwar keine Straßenzulassung nötig, weil es sich um ein abgesperrtes Gelände handelt. Um regelmäßig Menschen befördern zu dürfen, braucht es allerdings eine Linienverkehrsbeförderungsgenehmigung. Die jedoch gibt es nicht ohne Verkehrszulassung. „Und gerade bei so einem Prototypen sind auch ein paar zusätzliche Anpassungen nötig“, sagt Fieseler. Auch die Prüfgesellschaft Dekra hatte noch Nachbesserungswünsche.
Zudem: Ein eigentlich üblicher Crash-Test muss durch Analysen und Computermodelle ersetzt werden. „So ein Crash-Test ist bei einem Prototypen natürlich schwierig. Wenn ich den gegen die Wand fahre, habe ich zwar handfeste Ergebnisse, aber der Prototyp ist halt dann auch weg“, gibt Fieseler zu bedenken. Und da Continental gerne auf Bildschirmen im Bus zeigen wollte, wie die Sensoren des Fahrzeugs die Umgebung wahrnehmen, musste die Sitzbank geändert werden. Da war dann auch ein neues Statikgutachten für Unfälle nötig.
Vonseiten der Stadt Lindau ist Jaime Jose Valdés für den autonomen Bus federführend. Er ist von der neuen Technologie begeistert. Gerade die Insel könnte so besser erschlossen werden – und die Autolawine dort durch autonome Shuttles reduziert werden, glaubt er. „Die Bürger wünschen sich ja weniger Autos auf der Insel“, sagt Valdés. Um ihre Jobs bangen müssen die Lindauer Busfahrer nun aber nicht – im Gegenteil. „Das ist eine tolle Möglichkeit, den ÖPNV zu ergänzen und attraktiver zu machen, aber es kann immer auch nur eine Ergänzung sein“, sagt Valdés.
„Das Fahren ohne Fahrer ist natürlich etwas außergewöhnlich, das braucht ein wenig Gewöhnung bei den Menschen. Auch für mich war das ja eine neue Erfahrung“, gibt Valdés zu. Da diese Busse auch auf Bestellung funktionieren können, wäre der ÖPNV im ländlichen Raum flexibler und zeitunabhängiger. Die Menschen könnten sich besser und häufiger befördern lassen – bei recht niedrigen Unterhaltskosten. Denn das intelligente Fahrzeug fährt elektrisch und man muss keinen Busfahrer für wenige Menschen in verteilten Ortschaften bezahlen. Diese sollen weiterhin die großen Linien fahren. Aber wenn die Technik serienreif ist, kann sich Valdés gut vorstellen, solche Shuttles einzusetzen.
Doch bis es so weit ist, muss der fahrende Würfel erst einmal seine ersten Einsätze im offenen, teils chaotischen Ferienverkehr auf der Insel überstehen. Auch im Hamburger Großstadtverkehr soll bald ein solcher Würfel getestet werden.
Keine leichte Aufgabe für die über Algorithmen selbst lernende Intelligenz des Fahrzeugs. „Am Anfang wird das System über Straßen gesteuert, bis es erkennt, wie dort Schilder oder Bordsteinkanten aussehen. Dann kann es sich an diesen orientieren und lernt dann von selbst in entsprechenden Situationen weiter“, sagt Fieseler. Denn wie ein Mensch lernt das autonome Fahrzeug dadurch, dass es Situationen wiederholt und trainiert. „Der Prototyp soll hier bis an seine Grenzen gebracht werden und auch ein wenig darüber hinaus, da wird sicher noch das ein oder andere Problem aufkommen. Aber nur so lernt die Technik, mit komplexen Situationen umzugehen.“
Auch auf dem Rückweg von der Gartenschau gerät der Bus in solch eine Situation: Wieder parkt ein Lastwagen halb auf dem Bürgersteig, halb auf der Straße. Wieder muss die Operatorin eingreifen, denn der autonome Bus traut sich nicht, über die Mittellinie auf die Gegenfahrbahn auszuweichen. Er hält sich peinlich genau an die Verkehrs- und Abstandsregeln.
Zumindest aktuell hat die moderne Technik also auch noch Grenzen, die Route des Busses wird auf die Strecke beschränkt, die er gut kennt: „Sowas wie den Berliner Platz kann die Technik auf aktuellem Stand nicht leisten“, sagt Fieseler. „Aber das ist ja schon für Menschen eine Herausforderung. Da schleicht man sich Stück für Stück vor und hofft irgendwann, dass einer anhält. Aber sowas sollten wir einem Computer natürlich nicht beibringen.“