Barbie will nicht niedlich sein
CVon Rüdiger Suchsland
assandra scheint ihr Leben zu genießen. Die Singlefrau Mitte 30 geht gerne aus, tanzt, trinkt und reißt in Nachtclubs regelmäßig fremde Männer auf. Doch relativ schnell in „Promising Young Woman“wird klar: Die nächtlichen Aktivitäten der Hauptfigur haben nicht nur eine manische, zwanghafte Komponente, sondern sie dienen eigentlich auch einem ganz anderen Zweck. Cassandra will nicht abwechslungsreichen unverbindlichen Sex, sondern Rache.
Der Film folgt der von Carey Mulligan umwerfend gespielten Cassandra. Sie war eine vielversprechende Medizinstudentin, die nach einem verstörenden Ereignis in einem Coffeeshop arbeitet und anderen als Versagerin erscheint. Der Grund wird bald enthüllt: Das traumatische Ereignis für Cassandra war, dass sich ihre beste Freundin wegen einer Partyvergewaltigung, die ihr niemand glaubte, das Leben nahm.
Als Cassie unerwartet Ryan, einen ihrer alten Klassenkameraden aus dem Medizinstudium, wiedertrifft, scheint sich ihr Leben zu ändern. Aber Vorsicht. Zumindest die Musik spricht die Wahrheit und nimmt die lauernde Katastrophe vorweg. Jede Idylle ist scheinbar und täuscht nur kurz darüber hinweg, dass Fennell Strich ein knallhartes Rachedrama erzählt.
Auch Cassandra, der Name der Hauptfigur, führt in die Irre. Denn sie entspricht nicht etwa der antiken Gestalt aus Homers Ilias, die weiser ist als alle anderen, die in die Zukunft sehen kann, dieser aber keinen Glauben schenkt. Sie ist eher selbst ein trojanisches Pferd, das selbst uns Zuschauer mehr als einmal in die Irre führt.
Der Film geht nicht in SchwarzWeiß-Manier mit Missbrauch um und presst Männer in schablonenhafte Klischees. Nein, es gibt viele Grauzonen. Fast alle Szenen haben eine zweite Bedeutung. Vor allem übt der Film auch Kritik an anderen Filmen und Filmemachern – mit den Mitteln des Kinos. Man könnte sagen: „Promising Young Woman“ist die schwarze, düstere, erwachsene Version einer romatischen Komödie. Er ist sehr lustig, aber wirklich befreit lachen wird man nur, wenn man Filme wie „Harry und Sally“, „American Pie“und „Notting Hill“mit ihrem völlig ungebrochenen naiven Konzept der wahren Liebe noch nie wirklich ernst nehmen konnte.
Zum Beispiel gibt es hier Männer, die eher unansehnlich und dick sind und grundsätzliche Hemmungen im Umgang mit Frauen haben. In einer typischen romantischen Komödie wären sie der dicke Sidekick, der beste Freund des Helden, der die schöne weibliche Hauptfigur ebenfalls anschwärmt, und auf dessen Kosten der Film ein paar Witze macht, über die dann das ganze Kino lacht. Man lacht auch hier. Aber selten bleibt einem das eigene Lachen derart im Hals stecken, wie in diesem Fall, denn auch der vermeintlich lustige Dicke ist hier eine abgründige, unangenehme Figur.
„Promising Young Women“hat international sehr unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Der Film wurde auf der einen Seite gefeiert, es gab aber auch Kritik. In den USA, wo er den Zeitgeist am besten trifft, gewann er einen Oscar für das „Beste Drehbuch“und wurde vier weitere Male nominiert. Unter europäischen Beobachtern sind die ersten Reaktionen verhaltener. Man wirft dem Film vor, frauenfeindlich oder männerfeindlich zu sein. je nach Betrachterperspektive. Denn Cassandras Rache richtet sich auch gegen Frauen, die unsolidarisch sind, wie etwa bei einer Essensverabredung mit ihrer ehemaligen Mitstudentin.
Ein Vorwurf, der am ehesten berechtigt zieht: „Promising Young Woman“unterwandert den rechtsstaatlichen Grundsatz, dass ein Gericht im Zweifel für den Angeklagten sprechen sollte. In diesem Film gilt: Im Zweifel gegen die Männer. Aber warum darf ein Film, zudem ein satirisch überzeichneter, nicht einseitig und ungerecht sein, auch wenn es einmal nicht um Themen wie Kapitalismus, Weltfrieden, und Atomkraftwerke geht, mit denen sich in Deutschland Mehrheiten finden lassen?
„Promising Young Woman“ist von einer sarkastischen, bitteren Ironie durchzogen, die manche Menschen mit Zynismus verwechseln werden. Und dennoch ist es auch ein wichtiger, künstlerisch sehr gelungener und immer wieder sehr witziger Film. Über die Wendungen in seinem Finale, die eine Menge über den Haufen werfen, wird noch eine Menge gesprochen werden. Gut so.
Promising Young Woman. Regie: Emerald Fennell. Mit Carey Mulligan, Bo Burnham, Jennifer Coolidge, Laverne Cox. USA/England 2020. 108 Minuten. FSK ab 16 Jahren.