Eine vergiftete Beziehung
Ausgerechnet zum Jahrestag des Anschlags auf den Kremlkritiker Nawalny reist Angela Merkel letztmals als Kanzlerin nach Moskau
- Mit dem Mordversuch am Kreml-Kritiker Alexej Nawalny vor exakt einem Jahr erreichte das deutsch-russische Verhältnis eine neue Froststufe. Und die letzte Versöhnerin tritt bald ab.
Es liest sich wie das Drehbuch eines Agentenfilms. Gift, das heimlich in die Kleidung geschüttet wird, das Opfer, das in einem Flugzeug schreit, stöhnt und schließlich zusammenbricht – und nach seiner Rettung diejenigen Agenten ausfindig macht, die ihn fast umgebracht haben. Nur: Die Geschichte stammt nicht aus einem Film. Sie hat sich so abgespielt. Und sie hat das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland in den Frostbereich bewegt: der Fall Alexej Nawalny.
Ausgerechnet auf diesen Freitag hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihren Abschiedsbesuch bei Wladimir Putin gelegt. Auf den Tag, an dem vor einem Jahr das Drama um den russischen Oppositionellen Nawalny begann. Zufall oder Absicht? „Tatsache ist, dass sich das Verhältnis zu Russland auch durch den Fall Nawalny dramatisch verschlechtert hat“, sagt Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) der „Schwäbischen Zeitung“.
Es war auf dem Flug von der sibirischen Stadt Tomsk nach Moskau, als der russische Dissident am 20. August 2020 ohnmächtig wurde und deutliche Anzeichen einer Vergiftung zeigte. Über Jahre hatte der Videoblogger Korruption in Russland angeprangert. Mit seinen Enthüllungen war der heute 45-Jährige zum Star der Opposition aufgestiegen – und ins Visier der Staatsmacht geraten. Er konnte nur gerettet werden, weil er nach zwei Nächten in einer Omsker Klinik in die Berliner Charité ausgeflogen wurde.
Untersuchungen ergaben, dass er mit dem ehemals sowjetischen Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet worden war. Wie internationale Recherchen ergaben, hatten russische Agenten seine Unterhose mit dem Gift präpariert, wodurch es über die Haut in seinen Körper eindrang.
Russland streitet die Vorwürfe bis heute kategorisch ab. Das Außenministerium spricht von einer „aggressiven Propagandakampagne westlicher und mit ihnen verbundener russischer Informationsquellen“.
Seit seiner Heimkehr sitzt Nawalny im Gefängnis. Einer, der von Deutschland aus immer wieder an den Blogger erinnert, ist der FDPVorsitzende Christian Lindner. Jeden Sonntag twittert er, seit wie vielen Tagen der Russe in Haft ist, inzwischen sind es 215. „Alexej Nawalny darf nicht in Vergessenheit geraten“, betont Lindner auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“und fordert seine Freilassung. „Der Druck auf die russische Führung darf hier nicht nachlassen.“
Mit dem Fall Nawalny hat sich Deutschland ein Problem ins Land gezogen, das es vorher vor allem von der Außenlinie betrachtet hatte: das brutale Vorgehen russischer Agenten gegen missliebige Bürger. Dennoch lief es auch schon vorher in den Beziehungen zu Russland nicht rund. Schon die Spuren des HackerAngriffs auf den Bundestag im Jahr 2015 und der Mord an dem Georgier Selimchan Changoschwili im Berliner Tiergarten im Sommer 2019 führten zum russischen Geheimdienst. Dann kam Nawalny – und eine diplomatische Krise zwischen dem Kanzleramt und dem Kreml nahm ihren Lauf.
„Die Beziehungen sind sehr schlecht“, stellt auch der RusslandExperte Janis Kluge von der Stiftung Wissenschaft und Politik fest. „Man hat bei russischen Äußerungen inzwischen das Gefühl, es kümmere sie gar nicht, ob das Verhältnis zu Deutschland noch schlechter wird.“Er nennt das Verhältnis sogar „schizophren“. Obwohl Deutschland Russland zum Beispiel mit der Fertigstellung der Nord-Stream-2-Pipeline durch die Ostsee einen großen Gefallen getan habe, sei der diplomatische Tonfall aus Moskau „sehr abwertend“.
Deshalb sieht auch Außenminister Maas keinen Grund für ein Bedauern im Fall Nawalny. „Im Rückblick bleibt es trotzdem richtig, ihn zur Behandlung nach Deutschland geholt zu haben.“Er verweist auf den „schweren Verstoß“gegen das Chemiewaffenabkommen. „Darauf musste Europa, darauf mussten wir reagieren.“
Die künftige Bundesregierung werde ihr Verhalten in Hinsicht auf
Moskau nur graduell ändern, erwartet Russland-Experte Kluge. Die Mehrheit der Deutschen wolle keinen sehr viel härteren Kurs gegen Moskau.
Mit Angela Merkel trete eine Politikerin ab, der „die Versöhnung zwischen dem russischen und dem deutschen Volk nach dem Zweiten Weltkrieg eine tiefe Mission“sei, schon aufgrund ihrer DDR-Vergangenheit. „Diese Generationenaufgabe der Versöhnung sehe ich als einen Grund, warum sie immer wieder alles versucht hat, das Verhältnis zu Russland am Laufen zu halten“, sagt Kluge. Ihre möglichen Nachfolger im Bundeskanzleramt hätten diese persönliche Beziehung zur deutsch-russischen Geschichte nicht mehr. Sie sprächen nicht mal Russisch.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj will die eigene Schwarzmeer-Flotte bis 2035 massiv aufrüsten. „Unsere Aufgabe ist es, eine professionelle, mächtige Flotte zu bauen, die in der Lage ist, jedem eine Abfuhr zu erteilen“, sagte der 43-Jährige am Donnerstag in einem Interview, das er mehreren ukrainischen Medien gab. Der Staatschef kündigte Korvetten, Schnellboote und U-Boote an. „Wir bereiten uns darauf vor, die Blockade der Schwarzmeer-Region zu brechen“, unterstrich der Politiker mit Blick auf Russland.
Mit der russischen Annexion der Schwarzmeer-Halbinsel Krim hat die Ukraine 2014 in Sewastopol den wichtigsten Hafen ihrer Flotte verloren. Der ukrainische Schiffbau liegt mangels Aufträgen seit Jahren am Boden. Erst im Juni erklärte ein Gericht eine Traditionswerft in Mykolajiw für zahlungsunfähig. Dort wurden zu sowjetischen Zeiten noch Kreuzer und Flugzeugträger gebaut.
Unterdessen ist bei Kämpfen zwischen der Armee und prorussischen Separatisten in der Ostukraine erneut ein ukrainischer Soldat getötet worden. Die Armee teilte am Donnerstag im Online-Dienst Facebook mit, der Soldat habe während eines „feindlichen Beschusses eine tödliche Schusswunde“erlitten. Es ist bereits der zweite Todesfall in den Reihen der ukrainischen Armee in dieser Woche. In dem seit 2014 andauernden Konflikt zwischen pro-russischen Separatisten und der ukrainischen Armee in der Ostukraine wurden bereits mehr als 13 000 Menschen getötet.(dpa/AFP)