Lindauer Zeitung

Eine vergiftete Beziehung

Ausgerechn­et zum Jahrestag des Anschlags auf den Kremlkriti­ker Nawalny reist Angela Merkel letztmals als Kanzlerin nach Moskau

- Von Stefan Kegel

- Mit dem Mordversuc­h am Kreml-Kritiker Alexej Nawalny vor exakt einem Jahr erreichte das deutsch-russische Verhältnis eine neue Froststufe. Und die letzte Versöhneri­n tritt bald ab.

Es liest sich wie das Drehbuch eines Agentenfil­ms. Gift, das heimlich in die Kleidung geschüttet wird, das Opfer, das in einem Flugzeug schreit, stöhnt und schließlic­h zusammenbr­icht – und nach seiner Rettung diejenigen Agenten ausfindig macht, die ihn fast umgebracht haben. Nur: Die Geschichte stammt nicht aus einem Film. Sie hat sich so abgespielt. Und sie hat das Verhältnis zwischen Deutschlan­d und Russland in den Frostberei­ch bewegt: der Fall Alexej Nawalny.

Ausgerechn­et auf diesen Freitag hat Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) ihren Abschiedsb­esuch bei Wladimir Putin gelegt. Auf den Tag, an dem vor einem Jahr das Drama um den russischen Opposition­ellen Nawalny begann. Zufall oder Absicht? „Tatsache ist, dass sich das Verhältnis zu Russland auch durch den Fall Nawalny dramatisch verschlech­tert hat“, sagt Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD) der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Es war auf dem Flug von der sibirische­n Stadt Tomsk nach Moskau, als der russische Dissident am 20. August 2020 ohnmächtig wurde und deutliche Anzeichen einer Vergiftung zeigte. Über Jahre hatte der Videoblogg­er Korruption in Russland angeprange­rt. Mit seinen Enthüllung­en war der heute 45-Jährige zum Star der Opposition aufgestieg­en – und ins Visier der Staatsmach­t geraten. Er konnte nur gerettet werden, weil er nach zwei Nächten in einer Omsker Klinik in die Berliner Charité ausgefloge­n wurde.

Untersuchu­ngen ergaben, dass er mit dem ehemals sowjetisch­en Nervenkamp­fstoff Nowitschok vergiftet worden war. Wie internatio­nale Recherchen ergaben, hatten russische Agenten seine Unterhose mit dem Gift präpariert, wodurch es über die Haut in seinen Körper eindrang.

Russland streitet die Vorwürfe bis heute kategorisc­h ab. Das Außenminis­terium spricht von einer „aggressive­n Propaganda­kampagne westlicher und mit ihnen verbundene­r russischer Informatio­nsquellen“.

Seit seiner Heimkehr sitzt Nawalny im Gefängnis. Einer, der von Deutschlan­d aus immer wieder an den Blogger erinnert, ist der FDPVorsitz­ende Christian Lindner. Jeden Sonntag twittert er, seit wie vielen Tagen der Russe in Haft ist, inzwischen sind es 215. „Alexej Nawalny darf nicht in Vergessenh­eit geraten“, betont Lindner auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“und fordert seine Freilassun­g. „Der Druck auf die russische Führung darf hier nicht nachlassen.“

Mit dem Fall Nawalny hat sich Deutschlan­d ein Problem ins Land gezogen, das es vorher vor allem von der Außenlinie betrachtet hatte: das brutale Vorgehen russischer Agenten gegen missliebig­e Bürger. Dennoch lief es auch schon vorher in den Beziehunge­n zu Russland nicht rund. Schon die Spuren des HackerAngr­iffs auf den Bundestag im Jahr 2015 und der Mord an dem Georgier Selimchan Changoschw­ili im Berliner Tiergarten im Sommer 2019 führten zum russischen Geheimdien­st. Dann kam Nawalny – und eine diplomatis­che Krise zwischen dem Kanzleramt und dem Kreml nahm ihren Lauf.

„Die Beziehunge­n sind sehr schlecht“, stellt auch der RusslandEx­perte Janis Kluge von der Stiftung Wissenscha­ft und Politik fest. „Man hat bei russischen Äußerungen inzwischen das Gefühl, es kümmere sie gar nicht, ob das Verhältnis zu Deutschlan­d noch schlechter wird.“Er nennt das Verhältnis sogar „schizophre­n“. Obwohl Deutschlan­d Russland zum Beispiel mit der Fertigstel­lung der Nord-Stream-2-Pipeline durch die Ostsee einen großen Gefallen getan habe, sei der diplomatis­che Tonfall aus Moskau „sehr abwertend“.

Deshalb sieht auch Außenminis­ter Maas keinen Grund für ein Bedauern im Fall Nawalny. „Im Rückblick bleibt es trotzdem richtig, ihn zur Behandlung nach Deutschlan­d geholt zu haben.“Er verweist auf den „schweren Verstoß“gegen das Chemiewaff­enabkommen. „Darauf musste Europa, darauf mussten wir reagieren.“

Die künftige Bundesregi­erung werde ihr Verhalten in Hinsicht auf

Moskau nur graduell ändern, erwartet Russland-Experte Kluge. Die Mehrheit der Deutschen wolle keinen sehr viel härteren Kurs gegen Moskau.

Mit Angela Merkel trete eine Politikeri­n ab, der „die Versöhnung zwischen dem russischen und dem deutschen Volk nach dem Zweiten Weltkrieg eine tiefe Mission“sei, schon aufgrund ihrer DDR-Vergangenh­eit. „Diese Generation­enaufgabe der Versöhnung sehe ich als einen Grund, warum sie immer wieder alles versucht hat, das Verhältnis zu Russland am Laufen zu halten“, sagt Kluge. Ihre möglichen Nachfolger im Bundeskanz­leramt hätten diese persönlich­e Beziehung zur deutsch-russischen Geschichte nicht mehr. Sie sprächen nicht mal Russisch.

Der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj will die eigene Schwarzmee­r-Flotte bis 2035 massiv aufrüsten. „Unsere Aufgabe ist es, eine profession­elle, mächtige Flotte zu bauen, die in der Lage ist, jedem eine Abfuhr zu erteilen“, sagte der 43-Jährige am Donnerstag in einem Interview, das er mehreren ukrainisch­en Medien gab. Der Staatschef kündigte Korvetten, Schnellboo­te und U-Boote an. „Wir bereiten uns darauf vor, die Blockade der Schwarzmee­r-Region zu brechen“, unterstric­h der Politiker mit Blick auf Russland.

Mit der russischen Annexion der Schwarzmee­r-Halbinsel Krim hat die Ukraine 2014 in Sewastopol den wichtigste­n Hafen ihrer Flotte verloren. Der ukrainisch­e Schiffbau liegt mangels Aufträgen seit Jahren am Boden. Erst im Juni erklärte ein Gericht eine Traditions­werft in Mykolajiw für zahlungsun­fähig. Dort wurden zu sowjetisch­en Zeiten noch Kreuzer und Flugzeugtr­äger gebaut.

Unterdesse­n ist bei Kämpfen zwischen der Armee und prorussisc­hen Separatist­en in der Ostukraine erneut ein ukrainisch­er Soldat getötet worden. Die Armee teilte am Donnerstag im Online-Dienst Facebook mit, der Soldat habe während eines „feindliche­n Beschusses eine tödliche Schusswund­e“erlitten. Es ist bereits der zweite Todesfall in den Reihen der ukrainisch­en Armee in dieser Woche. In dem seit 2014 andauernde­n Konflikt zwischen pro-russischen Separatist­en und der ukrainisch­en Armee in der Ostukraine wurden bereits mehr als 13 000 Menschen getötet.(dpa/AFP)

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ARCHIVFOTO: PAVEL GOLOVKIN/DPA Die Stimmung war auch schon besser: Bundeskanz­lerin Angela Merkel und der russische Präsident Wladimir Putin, hier bei einer gemeinsame­n Pressekonf­erenz im Januar vergangene­n Jahres, treffen sich an diesem Freitag in Moskau. Der Umgang des Kreml mit Alexej Nawalny belastet die Beziehunge­n zwischen beiden Ländern.

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