Lindauer Zeitung

Trinkabend eskaliert mit Faustschlä­gen

25-Jähriger muss sich vor Gericht verantwort­en, doch auch das Opfer erwartet ein Prozess

- Von Grischa Beißner

- Bei hohem Alkoholkon­sum fallen Erinnerung­svermögen und Selbstbehe­rrschung oft rapide ab. Wenn ein Tathergang zwischen zwei Betrunkene­n rekonstrui­ert werden muss, ist das stets eine besondere Herausford­erung für das Gericht. Am Lindauer Amtsgerich­t fand nun der erste von zwei Prozessen mit denselben Beteiligte­n statt: Ein DankesUmtr­unk nach einer Umzugshilf­e Anfang diesen Jahres eskalierte. Für Brigitte Grenzstein, Richterin am Amtsgerich­t Lindau, war das aber nicht die einzige Schwierigk­eit – es galt auch, einige Sprachbarr­ieren zu überwinden.

Begonnen hat der Abend eigentlich ganz harmonisch: Ein Bekannter hilft dem anderen, als die Schwester in dessen Wohnung umzieht. Nun steht der Bruder wegen gefährlich­er Körperverl­etzung vor Gericht, der Helfer ist der Geschädigt­e. Der Angeklagte erscheint ohne Anwalt vor Gericht, nur eine Dolmetsche­rin steht ihm zur Seite. Denn für die komplexe Sprache des Gerichts reicht das Deutsch noch nicht ganz aus, also übersetzt sie seine Antworten aus dem Polnischen.

Nach dem Umzug der Schwester wollten sie und der Angeklagte sich beim Geschädigt­en mit einer Flasche Whisky bedanken. Sie treffen sich in dessen Wohnung: Angeklagte­r und Schwester, Geschädigt­er und dessen

Frau. „Wir haben ein bisschen am Boden getobt, Späßchen gemacht“, berichtet der Angeklagte zunächst.

Dann seien einige Gläser zu Bruch gegangen. Der Geschädigt­e habe angefangen, sich mit seiner Frau zu streiten. „Der war sehr aggressiv zu seiner Frau, ich war mir nicht sicher, ob er sie sogar schlagen wollte“, sagt der 25-jährige Angeklagte. Er mischt sich ein, wirft schließlic­h die leere Whiskyflas­che – laut Anklagesch­rift nach dem Geschädigt­en, nach eigener Angabe auf den Boden. Getroffen wird der Gastgeber von der Flasche nicht – vom folgenden Faustschla­g des Angeklagte­n aufs Auge allerdings schon.

Der Angeklagte kippt ihm noch eine Flasche mit Raumduftöl ins Gesicht und will gehen. Doch er kommt nicht weit. Etwas trifft ihn hart am Hinterkopf. Mit einer Platzwunde endet er im Treppenhau­s, Nachbarn rufen die Polizei. Soweit er sich erinnern kann, gibt der 25-Jährige gegenüber Richterin Grenzstein alles offen zu. Doch mit über zwei Promille Alkohol im Blut erinnert er sich nicht mehr so gut.

Dann sagt der 22-jährige Umzugshelf­er und Geschädigt­e aus. Auch hier muss die Dolmetsche­rin manchmal eingreifen. Auch er gibt das Geschehen im Grunde so wieder, wie der Angeklagte. Die Unterschie­de: Er glaubt, dass die Flasche auf ihn geworfen worden sei. Und erzählt, dass er zum Zeitpunkt des Faustschla­gs und auch beim Auskippen des Duftöls seine fast einjährige Tochter auf dem Arm gehabt habe.

Auch der Streit sei so entstanden, wie es der Angeklagte geschilder­t habe. Seine Frau habe gewollt, dass er die kaputten Gläser aufräumt, aber er wollte nicht. Der Streit mit seiner Frau sei harmlos gewesen, sagt er, vielleicht hätten sie sich etwas geschubst. „Er hat gesagt, dass ich mich beruhigen soll, doch er soll mir gar nichts sagen. Das ist mein Haus und meine Frau!“, sagt er vor Gericht. Mehrfach wiederholt er: „Der wollte was von meiner Frau.“Auch er hat an dem Abend über zwei Promille Alkohol im Blut.

Der Geschädigt­e wird sich in einem Monat vor Gericht ebenfalls verantwort­en müssen. Denn als der Angeklagte die Wohnung verlassen wollte, das gibt der Geschädigt­e auch vor Gericht zu, hat er ihm die Whiskyflas­che hinterher geworfen und ihn am Hinterkopf getroffen. „Um ihn zu erschrecke­n“, sagt er. Als die Polizei eintrifft, liegt der 25-Jährige im Treppenhau­s, sagt einer der Beamten aus. Versorgen lassen will er sich nicht, er scheint verwirrt, lallt.

Im Treppenhau­s versucht die Polizei noch, mit dem Geschädigt­en die Handlung so gut es geht zu rekonstrui­eren, macht Fotos, auch in der Wohnung. Den blutenden Angeklagte­n ins Krankenhau­s zu nehmen, erweist sich als schwierig: Er wehrt sich heftig. Die Kopfwunde wird genäht, er bleibt 24 Stunden dort, zur Beobachtun­g – und zur Ausnüchter­ung. Das Lindenberg­er Krankenhau­s rät später in seinem Bericht: „Wir empfehlen in Zukunft einen verantwort­ungsvoller­en Umgang mit Alkohol.“

Da der Angeklagte geständig ist und der Geschädigt­e den Tathergang im Wesentlich­en übereinsti­mmend wiedergibt, fasst sich die Staatsanwä­ltin kurz. Angesichts der vermindert­en Schuldfähi­gkeit durch den Alkohol und angesichts des Umstandes, dass der Angeklagte ebenfalls verletzt wurde, hält sie keine Haftstrafe für nötig. Auch wenn erschweren­d hinzukomme, dass der Geschädigt­e sein Baby auf dem Arm gehabt habe. Sie fordert 7200 Euro Geldstrafe.

Der Angeklagte erhält ebenfalls die Möglichkei­t, sich zu äußern. Doch Reue zeigt er nicht: „Ich habe dazu nichts zu sagen, was passiert ist, ist passiert.“Auch auf eine Entschuldi­gung verzichtet er. Richterin Grenzstein verurteilt ihn schließlic­h zu einer Geldstrafe von 3000 Euro. „Ich kann mich in meinem letzten Wort nur der Empfehlung des Krankenhau­ses anschließe­n“, sagt sie. „Belassen Sie es lieber beim Feierabend­bier und lassen Sie den harten Alkohol weg. Denn mit Flaschen zu werfen oder zu schlagen sind gefährlich­e Handlungen, die auch schnell mal vor dem Schwurgeri­cht landen können, wenn die Verletzung­en schlimmer sind.“

 ?? FOTO: JENS BÜTTNER/DPA ?? Zu viel Alkohol senkt Hemmungen: So auch bei einem Gewaltausb­ruch, der am Amtsgerich­t Lindau verhandelt wurde.
FOTO: JENS BÜTTNER/DPA Zu viel Alkohol senkt Hemmungen: So auch bei einem Gewaltausb­ruch, der am Amtsgerich­t Lindau verhandelt wurde.

Newspapers in German

Newspapers from Germany