Von magischer Anziehungskraft
Kunstverein Wasserburg eröffnet die Ausstellung „Gefügt und geschichtet“vom Wangener Künstler Wolfgang Scherer
- Sein bevorzugtes Metier ist die Radierung, und das auf ganz besondere Weise. Dem Wangener Künstler Wolfgang Scherer widmet der Kunstverein Wasserburg mit Kunst im Bahnhof (Kuba) die Ausstellung „Gefügt und geschichtet“. Sie zeigt in drei Räumen experimentelle Druckgrafik und Skulpturen. Letztere aus Carrara-Marmor gehauen stehen in engem Bezug zu den Bildern. Am Freitagabend hat das Kuba die Schau mit über 30 Werken eröffnet.
„Kunst ist ein Lebensmittel. Sie ist etwas, das uns nährt“, schickte Kunstvereinsmitglied Christa Hagel der Eröffnung im Freien auf dem Bahnsteig voraus. Es sei 2021 immerhin die dritte Ausstellung, und dies zeige einmal mehr die Unverzichtbarkeit von live erlebbarer Kultur.
Scherer, 1945 in Wangen geboren, ist von ruhigem und wohlüberlegtem Temperament. Er weiß genau, wovon er spricht, wenn es um das Thema Radierung und deren komplexe Herstellungstechniken geht. So fiel es ihm am Abend auch nicht schwer, dem Publikum
anhand von Anschauungsmaterial zu erläutern, „wie man das macht“. Zur Anwendung für ein solches Tiefdruckverfahren kommen Kupfer- oder Zinkplatten. Sie werden zuerst so lange poliert, bis alle Kratzer beseitigt sind. Dann mit Asphaltlack eingestrichen, das Motiv aufgebracht, bevor geätzt wird.
Zum Drucken mittels Radierpresse verwendet Scherer wechselweise Bütten- oder Japanpapier. Ist die Platte eingefärbt und die Walze über das Papier gerollt, kommt der überraschende Moment: Ist es etwas geworden oder kann es weg? Um den ganzen Prozess noch spannender zu gestalten, schweißt er mehrere Bleche zusammen. Das ergibt eine größere Druckplatte und damit interessantere Formen. Wie im Falle der großen Seidenarbeit „Draußen“von 2015.
Wolfgang Scherer ist Autodidakt. Mit 40 Jahren tat er den ersten Schritt in Richtung freischaffender Künstler. Ausgelöst durch einen Besuch in Berlin bei Willibrord Haas: „Nachdem ich bei ihm war, habe ich gesagt: Ich mache Radierungen. Das war plötzlich ganz klar. Das Handwerkliche gefällt mir und die Vielfalt der künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten.“
Angefangen hat er mit Aquarellieren und Zeichnen. Dann Freie Kunstschule Ravensburg, Kißlegger Kunstwochen, Abendstudium an der Schule für Kunst und Gestaltung in Ravensburg, von 2005 bis 2008 Malereiund Grafikstudium an der Polish University
in London. „Ich muss meinen eigenen Arbeitsplatz haben“, lautete schließlich seine Devise.
Seit 2009 verfügt er über ein Atelier im Wangener Gewerbegebiet Atzenberg, wo die Mehrzahl der nun gezeigten Werke entstanden ist. „Mein Atelier ist mit einer großen Radierpresse gut ausgestattet. Dadurch habe ich die Möglichkeit, alle Radierungen selbst zu drucken und auch experimentelle Druckverfahren zu erproben und auszuführen“, äußert er sich in einem Interview.
Nichts scheint bei einem Rundgang durch die Ausstellung auf den ersten Blick figürlich zu sein. Das sagt Scherer auch von sich selbst, dass er gegenstandslos arbeite. Die Formelemente Linie, Fläche und Raum dominieren das Bildgeschehen. Sie gelte es zu differenzieren und in die Malerei zu übernehmen.
Diese Kombination aus Malerei und Grafik biete ihm ein großes künstlerisches Spielfeld. Dennoch – bei längerem Hinsehen entpuppen sich einzelne Bilder durchaus als gegenstandsbezogen. Scherer setzt darin Fläche an Fläche, deren Innenleben feinst strukturiert ist, und so bauen sich Torsi und Köpfe zusammen.
In den offenen Raum hinein platziert hat er einzelne Skulpturen aus hell leuchtendem Carrara-Marmor. Sie nehmen die Formelemente der Bilder auf und wandeln sie zu Dreidimensionalem. Von magischer Anziehungskraft sind seine übereinander geschichteten und jeweils einzeln gedruckten Japanpapiere.
Sie vermitteln Durchblicke, die aber wie vernebelt erscheinen. Silhouettenhaftes zeichnet sich ab, getaucht in warme Gelbtöne oder kühles Blau und Türkis. Schwarze und graustufige Lineaturen überziehen die Papiere, verwickeln sich in „Geheimnis“zu einem dichten Knäuel oder geben sich im Kontrast dazu offen und leicht in „Kristallin“.
Aus Erlebtem und Erfahrenem im Alltag und auf Reisen an den Bodensee oder 1973 nach Indien und Afghanistan bezieht Scherer seine Inspirationen, die er durchwegs abstrakt bildnerisch umsetzt.
Die Kunst zwinge ihn zu einer Auseinandersetzung mit ihm selbst, und diese Feinfühligkeit widerspiegeln seine Werke in ihrer ganzen Vielfältigkeit.
Die Ausstellung „Gefügt und geschichtet“mit experimenteller Druckgrafik und Skulpturen von Wolfgang Scherer im Kunstverein Wasserburg im Bahnhof, Bahnhofstraße 18, dauert bis 5. September 2021. Sie ist freitags, samstags und sonntags von 15 bis 18 Uhr geöffnet. Eine Künstlerführung ist am Sonntag, 5. September, um 16 Uhr. Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.ku-ba.org und www.scherer-wolfgang.de