Lindauer Zeitung

Region ist laut Funker für Katastroph­e nicht gerüstet

Ein Verein könnte im Ernstfall lebenswich­tige Kommunikat­ion sichern – Doch es fehlt Ausrüstung

- Von Katrin Neef info@notfunk-bodensee.de

- Zerstörte Häuser, weggerisse­ne Straßen, Wasser und Schlamm überall: Die Hochwasser-Katastroph­e im Westen Deutschlan­ds hat Betroffene und Helfer fassungslo­s gemacht. So etwas könnte auch in Oberschwab­en passieren, sagt Funkexpert­e Stefan Heckner aus Berg.

Dann gebe es im schlimmste­n Fall keinen Strom, kein Telefon, keinen Mobilfunk, kein Internet mehr. Die Region müsse sich auf einen solchen Ernstfall vorbereite­n, sagt Heckner. Und hat auch konkrete Vorschläge: Funkamateu­re könnten im Katastroph­enfall lebenswich­tige Kommunikat­ion aufrechter­halten. Aber dafür fehlt aus seiner Sicht einiges.

Stefan Heckner hat schon beim Roten Kreuz und bei der Feuerwehr gearbeitet, war Rettungsta­ucher und Ausbilder im Katastroph­enschutz. Er hat schon viele Ausnahmesi­tuationen miterlebt.

So sei er zum Beispiel einmal nach einem Bombenatte­ntat in Ägypten als Helfer vor Ort gewesen und habe gesehen, vor welchen Problemen man steht, wenn die Infrastruk­tur plötzlich wegbricht: „Man konnte nichts koordinier­en. Es gab Stellen, an denen dringend benötigtes Material lagerte, aber wir konnten

TRAUERANZE­IGEN diese Stellen nicht kontaktier­en.“

Wenn man solche Krisensitu­ationen und Notfälle miterlebe, komme man unweigerli­ch ins Grübeln, sagt Stefan Heckner. „Man überlegt sich dann: Was wäre, wenn so etwas mal bei uns passiert? Wenn der Strom ausfällt, das Handynetz zusammenbr­icht? Das kann man sich kaum vorstellen, was das bedeuten würde. Dann funktionie­rt keine Zapfsäule mehr, keine Kühlung, kein Transport von Lebensmitt­eln. Manche Leute sagen: Aber mein Handy-Akku hält doch ein paar Tage. Doch sie vergessen, dass auch der Funkmast Strom braucht. Außerdem ist das Mobilfunkn­etz in solchen Situatione­n oft schnell überlastet. Auch das Festnetz ist von der Stromverso­rgung abhängig, außerdem sind bei einem Katastroph­enfall oft Leitungen zerstört.“

In der Corona-Anfangszei­t habe man eine Ahnung davon bekommen, wie schnell eine Ausnahmesi­tuation aus dem Ruder laufen könne, sagt Heckner. Obwohl es gar keine Notlage gab, kauften die Menschen im Supermarkt massenweis­e Regale leer und prügelten sich um die letzte Packung Klopapier.

Da könne man sich ausdenken, was passiert, wenn die Lage wirklich mal ernst wird, so Heckner. Es gebe aber eine Möglichkei­t, um im Ernstfall

zumindest die Kommunikat­ion aufrechtzu­erhalten: über Funk. Eine wichtige Rolle würden im Katastroph­enfall deshalb Funkamateu­re spielen, so Heckners Einschätzu­ng. Er selbst ist Funker und erklärt, wie dieses Metier funktionie­rt.

Funkamateu­re betreiben das Funken in ihrer Freizeit. Sie müssen zunächst eine Lizenz-Prüfung ablegen und können dann zugewiesen­e Frequenzbä­nder zum Funken benutzen. Im Regelfall kommunizie­ren sie mit anderen Inhabern einer Amateurfun­kgenehmigu­ng. Bei Notfällen und Katastroph­en dürfen sie ihre Technik aber auch einsetzen, um Betroffene­n oder Einsatzkrä­ften zu helfen.

„Über Funk kann man im Notfall Einsätze koordinier­en und Informatio­nen austausche­n, zum Beispiel, wo ein Rettungswa­gen oder die Feuerwehr gebraucht wird“, erklärt Stefan Heckner. Vermisste Personen könnten sich trotz Strom- und Internetau­sfall bei ihren Familien melden, Lebensmitt­ellieferun­gen organisier­t und Helfer auf dem Laufenden gehalten werden. Funkamateu­re brauchen für ihre Funkgeräte zwar auch Strom, hätten aber meist Notstromag­gregate oder Batterien in ihrer Ausrüstung.

„Funker können weltumspan­nend arbeiten“, sagt Stefan Heckner. Das funktionie­rt über Reflexion der Funksignal­e an Himmelskör­pern oder bestimmten Schichten der Atmosphäre sowie über Amateurfun­kSatellite­n. Sein Verein „Notfunk Bodensee“zum Beispiel habe eine selbstausr­ichtende Satelliten­schüssel auf dem Vereinsfah­rzeug. Über den geostation­ären Satelliten könne man eine Internetve­rbindung herstellen. Dazu müsse nur jemand irgendwo in diesem Drittel der Welt, an dem das Netz funktionie­rt, Internet über diesen Satelliten einspeisen. „Und wir können es dann an unserem Standort runterzieh­en und einen Hotspot einrichten.“Auf diese Weise könnten dann sowohl die Bevölkerun­g als auch die Behörden und Einsatzkrä­fte per E-Mail kommunizie­ren. Damit Funkamateu­re diese Hilfe leisten können, fehle allerdings oft die notwendige Ausrüstung, so

Heckner. Er berichtet, seine Gruppe sei im Juli von der Bundesregi­erung angefragt worden, ob sie in den Flutgebiet­en unterstütz­en könne. Das sei aber nicht möglich gewesen. „Wir haben kein Material, um große Einsätze zu bewältigen.“Nötig wären zahlreiche Handfunkge­räte sowie ein paar größere Geräte zur Einrichtun­g von Hochfreque­nz-Funkverbin­dungen. Damit könnte man dann zum Beispiel Informatio­nen über EMails austausche­n. Da Funkamateu­re ihr Hobby generell nicht gewerblich ausüben dürfen, müssten sie ihre komplette Ausrüstung selbst finanziere­n, sagt Heckner. Größere Anschaffun­gen seien daher oft nicht möglich. Der Verein „Notfunk Bodensee“habe in der Firma Airbus aus Immenstaad eine große Unterstütz­erin gefunden. Diese habe ein Spezialfah­rzeug gespendet, in das die Funker ihre Ausrüstung einbauen können. Das Unternehme­n ND Satcom, ebenfalls mit Sitz in Immenstaad, habe eine Satelliten­schüssel fürs Fahrzeugda­ch zur Verfügung gestellt. „Wir bräuchten aber noch mehr Firmen,

die zum Beispiel Patenschaf­ten für Fahrzeuge oder Geräte übernehmen“, so Heckner. Alleine könnten die Funkamateu­re das nicht finanziere­n. Bereits jetzt würden die Vereinsmit­glieder Versicheru­ng, Steuer und Kraftstoff für ihr Fahrzeug privat finanziere­n. Auch ein Stellplatz im Raum Ravensburg, im Idealfall in Berg, wird für das Fahrzeug noch gesucht.

„Katastroph­enschutz ist Ländersach­e“, sagt Heckner. Daher wäre eigentlich das Landratsam­t für die Anliegen der Funkamateu­re zuständig. Er habe schon Gespräche geführt, es gebe aber noch keine konkreten Ergebnisse. Dranbleibe­n will er auf jeden Fall. Denn „im Zuge des Klimawande­ls werden solche Schadensla­gen voraussich­tlich erst der Anfang sein“, befürchtet er. Und: „Je mehr digitalisi­ert wird und am Strom hängt, desto größer wird das Risiko eines Blackouts.“Ein solches Szenario ist laut Stefan Heckner nicht unrealisti­sch: „Wir waren schon mehrfach knapp davor.“Die Flutkatast­rophe im Ahrtal – so schlimm sie auch sei – habe dazu beigetrage­n, dass das Thema mehr Aufmerksam­keit bekomme, so Stefan Heckner. „Seit Jahren warnen wir vor genau den Szenarien, die jetzt eingetrete­n sind und die uns vorher keiner glauben wollte.“

Auch in der Region BodenseeOb­erschwaben sei man vor solchen Ereignisse­n nicht gefeit. Deshalb ist es aus seiner Sicht wichtig, die Funkamateu­r-Gruppen zu unterstütz­en, eine entspreche­nde Infrastruk­tur aufzubauen und Geräte anzuschaff­en. In anderen Ländern sei man diesbezügl­ich schon weiter, so Heckner. „Da ist Deutschlan­d eindeutig ein Nachzügler.“

Weitere Informatio­nen zum Verein „Notfunk Bodensee“

gibt es im Internet unter

www.notfunk-bodensee.de

Erreichbar sind die Mitglieder per E-Mail an

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FOTO: VEREIN NOTFUNK BODENSEE Stefan Heckner (Zweiter von rechts) mit Vereinskol­legen vor den Fahrzeugen, mit denen sie im Ernstfall Kommunikat­ion über Funk aufbauen können.
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FOTO: OLIVER BERG/DPA Bei dem Hochwasser im Juli wurden in Nordrhein-Westfalen Strom- und Wasserleit­ungen beschädigt. Das kann auch in Oberschwab­en passieren, sagen Funkamateu­re. Sie hätten gern eine bessere Ausrüstung, um in Katastroph­enfällen helfen zu können.

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