Lindauer Zeitung

„Die Stichstell­e auf 55 Grad erhitzen“

Allergolog­e Roland Drescher erklärt, was man nach einem Wespenstic­h tun sollte

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- Roland Drescher ist Allergolog­e und Internist in Weiler. Der 58-Jährige spricht mit Daniel Boscariol darüber, wie gefährlich Wespenstic­he sind, wann Menschen mit einem Wespenstic­h zum Arzt gehen sollten, wie Betroffene das selbst erkennen – und was das Gift mit dem Körper macht.

Herr Drescher, Bienen, Hummeln, Hornissen und Wespen: Der Stich welchen Tieres ist für den Menschen am gefährlich­sten?

Ich denke, die sind alle gleich gefährlich. Wie schmerzhaf­t ein Stich ist, hängt ein bisschen ab von der individuel­len Giftmenge, die das Tier in sich trägt. Einer Wespe, die kurz zuvor gestochen hat, steht nach einem erneuten Stich weniger Gift zur Verfügung. Auch die Stelle am Körper spielt eine Rolle, zum Beispiel, wie dick die Haut dort ist. Es gibt auch bei der Schmerzemp­findlichke­it eine Schwankung entspreche­nd der Tageszeit: Frühmorgen­s und am späten Nachmittag ist man empfindlic­her.

Ähneln sich die Gifte dieser Tiere?

Ja, rein von der Biologie her: Sie bestehen aus ähnlichen Substanzen. Etwa solchen, die das Gewebe auflockern und zu Entzündung­sreaktione­n führen. Aber die Gifte unterschei­den sich hinsichtli­ch des molekulare­n Bauplans. Und der ist entscheide­nd für das Immunsyste­m, wenn eine Allergie besteht. Jemand, der auf Wespen allergisch ist, reagiert also in den seltensten Fällen auch allergisch auf Bienen.

Mit Stichen welchen Insekts kommen Patientinn­en und Patienten am häufigsten zu Ihnen?

Sowohl mit denen der Biene als auch der Wespe.

Beschränke­n wir uns mal auf die Wespe, mit der die Menschen wohl am häufigsten in Konflikt geraten. Was passiert bei einem Stich im Körper?

Es kommt zur lokalen Gefäß- und Entzündung­sreaktion: einer Rötung und Schwellung. Dafür sorgt vor allem Histamin, das auf den Stich reagiert und von Zellen der Haut freigesetz­t wird.

Für wen kann ein Wespenangr­iff eine echte Gefahr darstellen?

Für jemanden, der auf das Gift nicht nur mit einer lokalen Schwellung reagiert, sondern zusätzlich allergisch.

Das heißt?

Man unterschei­det zwischen verschiede­nen Reaktionen auf das Gift: Die einfachste ist die Lokalreakt­ion an der Haut. Als nächste Stufe kommt die gesteigert­e Lokalreakt­ion: Der ganze Arm schwillt an. Diese Reaktionen sind aber relativ harmlos und lassen sich durch Hausmittel meist beherrsche­n. Problemati­scher sind allergisch­e Reaktionen, die sich am kompletten Körper bemerkbar machen. Eine davon ist, dass es zu einer generalisi­erten Nesselsuch­t kommt. Das heißt, der Betroffene entwickelt überall Quaddeln. Da wird Histamin im gesamten Körper freigesetz­t. Bei einer Allergie auf einen Wespenstic­h können diese Reaktionen innerhalb kurzer Zeit, also nach wenigen Minuten, auftreten und zur lebensbedr­ohlichen Anaphylaxi­e (allergisch­er Schock, Anm. d. Red. ) werden.

Und wenn der oder die Betroffene keine Luft mehr bekommt?

Dabei handelt es sich um die nächsten Schweregra­de der allergisch­en Reaktion, bei denen weitere Organsyste­me betroffen sind: Also zum Beispiel die Atemwege, die Zunge, der Rachen oder der Kehlkopf. Überall dort werden Histamin und andere Substanzen freigesetz­t, die Schwellung­en verursache­n. Schwere allergisch­e Reaktionen betreffen Herz und Kreislauf: Abfall des Blutdrucks bis hin zu Herzversag­en. Patienten mit solch einem großen Risiko haben in der Regel immer Adrenalin, ein Notfallmed­ikament, dabei.

Was gilt es nach einem Stich zu tun?

Kühlen, nicht in Panik geraten. Wird man zum Beispiel in den Bergen beim Wandern gestochen, ist wichtig, sich nicht weiter anzustreng­en, eine Pause einzulegen. Es gibt aber auch eine neue Therapiefo­rm, bei der die Einstichst­elle auf 55 Grad erhitzt wird. Das funktionie­rt mit einfachen, batteriebe­triebenen Geräten. Man geht davon aus, dass die

Hitze das Eiweiß im Gift gerinnen lässt. Das Gift wird in seiner Wirkung verändert, quasi zerstört.

Die Beschwerde­n sind dadurch weg?

Zumindest gelindert. Es kommt lokal zur Verbrennun­g auf der Haut, was der Betroffene in Kauf nimmt. Für Wespengift-Allergiker ist das aber nicht geeignet. Sie führen in der Regel wie erwähnt Notfallmed­ikamente mit sich, die sie nach einem Stich einnehmen müssen.

Wann sollte man einen Arzt aufsuchen?

Auf alle Fälle, wenn allergisch­e Reaktionen des Körpers auftreten, bei Nesselsuch­t, die sich am ganzen Körper bemerkbar macht, bei Atemproble­men oder bei Übelkeit, Bauchschme­rzen und Erbrechen. Wespengift­allergiker, die schon einmal schwer allergisch auf einen Stich reagiert haben, sollten den Notarzt rufen und nach dem Vorfall nochmal einen Arzt aufsuchen. Da wird die weitere Behandlung geklärt, zum Beispiel die Möglichkei­t einer Hyposensib­ilisierung des Immunsyste­ms.

Und wann sollte ich auch als NichtAller­giker lieber zum Arzt gehen?

Wenn die Wespe in den Mund oder die Zunge sticht oder jemand eine gesteigert­e Lokalreakt­ion zeigt.

Wie erkennt das eine betroffene Person?

Sobald die Schwellung mehr als zehn Zentimeter Durchmesse­r erreicht.

Wie werden diese Patienten dann behandelt?

Sie erhalten Kortisonsa­lben auf den Stich und Antihistam­inika, die übrigens in Apotheken frei erhältlich sind. Wer bei Wespenstic­hen so reagiert, könnte ein Antiallerg­ikum dieser Art einnehmen.

Gehört die Behandlung eines Wespenstic­hs zu Ihrem Alltagsges­chäft?

Es gibt dieses Jahr nicht viele Wespen. Das feuchte Wetter hat offensicht­lich die Nestbildun­g gestört. Heuer gab es im Vergleich zu Vorjahren bis jetzt weniger Behandlung­en wegen Wespenstic­hen oder Wespengift­allergien in der Praxis.

Dr. Roland Drescher ist Allergolog­e, Experte für Lungenheil­kunde, Schlafmedi­zin und Naturheilv­erfahren. Seit 2015 arbeitet er als Hausarzt für Innere Medizin in einer Weilerer Gemeinscha­ftspraxis. (dab)

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FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Wie schmerzhaf­t ein Wespenstic­h ausfällt, ist von Tier zu Tier unterschie­dlich. Gefährlich wird es dann, wenn die Insekten Allergiker angreifen – oder wie hier auf einem Marmeladen­brot krabbeln. Dadurch drohen Stiche im Mund.
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FOTO: DANIEL BOSCARIOL Als Allergolog­e kennt sich Dr. Roland Drescher bestens mit Wespenstic­hen aus.

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