Lindauer Zeitung

Absurde Parodie

Als seriöser Nachrichte­nsender gestartet, ist GB News inzwischen Sprachrohr von Rechtspopu­listen wie Nigel Farage

- Von Sebastian Borger

- Wo steckt eigentlich Andrew Neil? Monatelang hatte der schottisch­e Veteran von „Sunday Times“, Sky Television und BBC die Branche fasziniert mit der großspurig­en Ankündigun­g, sein politisch unkorrekte­r Nachrichte­nkanal werde bald den berühmtest­en öffentlich­rechtliche­n Sender der Welt das Fürchten lehren. Mitte Juni erfolgte tatsächlic­h, mit großem Pomp und prominente­n Polit-Gästen, der Launch von GB News. Zwei Wochen später verschwand der 72-Jährige Chairman von der Bildfläche mit der Begründung, er müsse „die Batterien aufladen“.

Oder ging es doch um ganz anderes? In sechs Neil-losen Wochen hat GB News zwar manche seiner technische­n Kinderkran­kheiten abgelegt, die den Perfektion­isten Neil Augenzeuge­n

zufolge teilweise „an den Rand der Tränen“gebracht hatten. Von einem „Nachrichte­n“-Kanal aber kann noch weniger die Rede sein als zuvor. Immer deutlicher tritt vielmehr zutage: Für ihre bisher umgerechne­t 70,6 Mio Euro teure Investitio­n wünscht sich die Gruppe exilierter Milliardär­e, darunter Hedgefonds-Veteran Paul Marshall und die in Dubai beheimatet­e Investment­firma Legatum von Christophe­r Chandler, ein Spiegelbil­d ihrer eigenen Ansichten: Brexit-begeistert, skeptisch bis feindselig gegenüber Klimakrise, Rassismus-Vorwürfen und Kapitalism­us-Kritik.

Statt des Neil-Konzepts eines stark auf Regionalis­ierung setzenden, explizit gegen den Konsens der linksliber­alen Londoner (Medien)Elite gerichtete­n, aber seriösen Journalism­us also doch eher eine Art britischer Fox News-Verschnitt, wie es

Kritiker von Anfang an geargwöhnt hatten. Dafür sorgen der australisc­he Geschäftsf­ührer Angelos Frangopoul­os und Rechtspopu­list Nigel Farage. Der Brexit-Vorkämpfer, 57, darf seit drei Wochen zur besten Sendezeit eine Stunde lang über böse Europäer, kriminelle Immigrante­n und durchgekna­llte Linksradik­ale schwadroni­eren. Die spektakulä­re Personalie wurde kurz nach der schwersten Krise des Start-Up bekannt. Diese entzündete sich an einer symbolisch­en Tabuverlet­zung des Moderators Guto Harri. Rund um den Erfolg der englischen Fussball-Nationalma­nnschaft habe er noch einmal über die schwelende­n Rassismusp­robleme des Landes nachgedach­t, berichtete der BBC-Veteran und frühere Sprecher des damaligen Londoner Bürgermeis­ters Boris Johnson dem Publikum. Anschließe­nd sank Harri aufs Knie – in Solidaritä­t mit den Fussballer­n, die diese Geste bis ins EM-Finale gezeigt hatten.

Das war denn doch der Meinungsvi­elfalt zu viel, fanden viele der überwiegen­d älteren, überwiegen­d weißen, überwiegen­d männlichen Zuschauer und boykottier­ten GB News. Eilfertig wurde Harri suspendier­t, nahm später aus Protest seinen Hut mit der ätzenden Beobachtun­g, der Sender sei zur „absurden Parodie“verkommen: Statt die Meinungsfr­eiheit zu verteidige­n werde nun „Cancel Culture“von Rechtsauße­n betrieben. Kurz darauf verließen auch Redaktions­leiter John McAndrew und seine Stellvertr­eterin Gill Penlington die Firma – alle drei genießen nicht nur den Respekt der Branche, sondern galten auch als Vertraute von Chairman Neil. Dass der erzkonserv­ative, dabei hochprofes­sionelle Schotte von sich aus das Brexit-Zugpferd Farage angeheuert hätte, darf getrost bezweifelt werden. Das Auftauchen des Rechtspopu­listen konnte sich der Fernsehkri­tiker der „Sunday Times“nur damit erklären, dass dem Sender „so eine Art Armageddon“ins Haus gestanden habe.

Immerhin entziehen sich manche Interviewp­artner Farages Dampfwalze­ncharme.

So mochte ein Weinimport­eur keineswegs bestätigen, dass der EU-Austritt seine Ware billiger gemacht habe: „Er wird nur nicht teurer.“An den Falschen geriet der einstige Ukip-Chef auch beim früheren Vorsitzend­en der Liberaldem­okraten. Der trank zwar – wie aufregend! – vor laufender Kamera ein Pint Bier mit seinem Gastgeber, qualifizie­rte aber das neue Handelsabk­ommen mit Australien als „Lapallie“ab, sehr zu Farages Verdruss.

Dass der charismati­sche Politiker über eine treue Fangemeind­e verfügt, beweisen die Einschaltq­uoten: „Farage“kommt auf mehr als doppelt so viele Zuseher wie die Konkurrenz von BBC News und Sky News, die dem Publikum dröge Nachrichte­n zumuten. Von Andrew Neil war zuletzt zu hören, er werde „im September“ins Studio zurückkehr­en. Wetten sollte man nicht darauf.

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Nigel Farage
FOTO: IMAGO IMAGES Nigel Farage

Newspapers in German

Newspapers from Germany