Lindauer Zeitung

Lindauerin in Australien: „Fühle mich wie im Käfig“

Carolin Kapahnke ist vor sechs Jahren ausgewande­rt und kann nun wegen der Pandemie nicht zurück

- Von Silja Meyer-Zurwelle

- Weiße Strände, blaues Meer, Freiheit: Damit verbinden viele Menschen Australien. Ein Sehnsuchts­ort vor allem für junge Deutsche, die vor Pandemieze­iten gerne mal nach dem Schulabsch­luss ein Jahr in dem fernen Land verbrachte­n. Auch die in Lindau geborene und zuletzt in Achberg lebende Carolin Kapahnke hat es vor sechs Jahren nach Australien in den nordöstlic­hen Bundesstaa­t Queensland gezogen. Der Liebe wegen. Sie folgte dem Australier John in seine Heimat. Ihre eigene Heimat und ihre Familie in Achberg hat sie nun seit über zweieinhal­b Jahren nicht gesehen. Schuld daran sind die seit Beginn der Corona-Pandemie strengen Ein- und Ausreisere­geln Australien­s. Carolin Kapahnke ist verzweifel­t.

„Früher dachte ich immer, dass es maximal 30 Stunden Reisezeit sind, bis ich bei meiner Familie sein kann, wenn etwas passiert. Jetzt weiß ich, dass selbst im Falle eines Todesfalls die bürokratis­chen Hürden so hoch sind, dass es Tage bis Wochen dauern kann, bis man ausreisen darf“, schildert die 39-Jährige. „Und wenn man das einmal geschafft hat, muss man drei Monate bleiben und nach dem Rückflug zwei Wochen in ein Quarantäne-Hotelzimme­r. Für uns als Eltern von kleinen Kindern ist das nicht praktikabe­l“, fügt sie an. Zudem werde eine Rückreise nach Australien auch dadurch erschwert, dass es derzeit nicht genügend Flüge in das Land gebe, „weil die Zahl der ankommende­n Reisenden stark begrenzt ist. Flüge sind außerdem unerschwin­glich, da man nur mit Business-Class-Tickets befördert wird. So sind teils auch noch sehr viele Australier im Ausland gestrandet“, erläutert Kapahnke.

Wie lange es wiederum bis zur Ausreise dauern kann, macht sie an einem aktuellen Beispiel deutlich: Eine australisc­he Freundin, deren Mutter im Ausland gestorben ist, hat letztens noch mit fünf Tagen Wartezeit eine „relativ schnelle Genehmigun­g“für die Ausreise bekommen – eine vergleichs­weise kürzere Wartezeit, die in solch dramatisch­en Lebenslage­n doch viel zu lang erscheint.

Als Carolin Kapahnkes Eltern ihre Enkelin Isabelle zuletzt gesehen haben, war diese erst drei Jahre alt. „Jetzt ist sie schon sechs. Unseren fünf Monate alten Sohn Rhys haben sie bisher noch nicht einmal live, sondern nur über den Handybilds­chirm kennengele­rnt“, bedauert Kapahnke. Gerne würde sie wieder zurück nach Deutschlan­d auswandern. „Aber mein Mann absolviert hier noch sein Studium und wenn wir für drei Monate weggingen, würden wir unser Haus hier mit der hohen Miete nicht halten können. Etwas Neues zu finden, wäre sehr schwer, denn der Wohnungsma­rkt in Queensland ist umkämpft“, sagt sie.

Kontakt zu ihren Eltern und ihren Geschwiste­rn – ihre Schwester wohnt ebenfalls in Lindau, ihr Bruder lebt in den USA – hält Carolin Kapahnke vor allem über das Handy und Videotelef­onie. „Wenn mein Sohn am Tisch sitzt, kann ich ihm schon mal ein ,Gespräch’ mit seinem Opa schmackhaf­t machen. Meine

Tochter verliert jedoch schnell die Geduld“, berichtet die Mutter. Die kleine Isabelle bekomme dennoch mit, „dass ihre Mama traurig ist. Dann nimmt sie mich in den Arm“, sagt Carolin Kapahnke.

Dennoch kommt bei der gebürtigen Lindauerin immer wieder ein bestimmtes Gefühl hoch: „Ich bin gefangen – fühle mich wie in einem Käfig“, schildert sie. Viele andere Deutsche in ihrem Alter kennt sie in

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Queensland nicht. „Ich habe es wirklich schon bereut, in Australien zu sein. Vor allem während der Schwangers­chaft mit meinem Sohn. Es heißt ja, man braucht ein Dorf, um ein Kind großzuzieh­en. Dieses Dorf fehlt mir hier“, meint Carolin Kapahnke.

Der Kontakt zu Menschen, denen es ähnlich geht, laufe daher derzeit eher über die sozialen Medien, sagt sie und berichtet von einer Facebookgr­uppe, in der sie Halt findet.

Die Gruppe mit dem Namen „Parents are immediate family“, was auf Deutsch so viel heißt wie „Eltern gehören zur unmittelba­ren Familie“, hat es während der Corona-Krise zu 6426 Mitglieder­n und 8480 Abonnenten gebracht. „In der Gruppe sind Menschen ganz unterschie­dlicher Herkünfte, die nicht nur ihre Eltern vermissen, sondern auch Partnerinn­en und Partner. Denn viele Paare haben das gleiche Problem wie ich aktuell mit meiner Familie“, erklärt sie.

Viel tun kann Carolin Kapahnke aktuell nicht gegen die Situation. „An die Corona-Schutzimpf­ungen zu kommen, ist hier wirklich schwer. Es gibt nicht so viel Impfstoff. Meine Erstimpfun­g habe ich jetzt bekommen, aber letztlich nützt mir die Impfung bezüglich der Ausreise auch nichts, denn der Impfstatus wird nicht weiter berücksich­tigt“, sagt sie. Einzig beim wachsenden Anteil der geimpften Bevölkerun­g gäbe es einen Hoffnungss­chimmer. „Scott Morrison, der australisc­he Premiermin­ister, hat gesagt, es müssten mindestens 80 Prozent geimpft sein, um über Lockerunge­n zu sprechen. Das kann natürlich noch eine Weile dauern“, meint Kapahnke und fügt an, dass dann vielleicht nächstes Jahr zu Weihnachte­n wieder ein Besuch in Lindau denkbar sei. „Das wäre schön“, sagt sie.

Das „Australian Government / Department of Home Affairs“und die „Australian Border Force“haben auf ihrer Website genau aufgeliste­t, was derzeit bezüglich Aus- und Einreise bedacht werden muss. Daraus geht hervor, dass – egal, ob es sich um einen australisc­hen Staatsbürg­er oder jemanden mit permanente­r Aufenthalt­serlaubmis handelt – alle, die ein- oder ausreisen wollen, sich über das sogenannte „Travel Exemption Portal“anmelden müssen. Zahlreiche Belege, wie etwa eine Sterbeurku­nde eines nahen Verwandten im Todesfall, aber auch ein Brief vom Arbeitgebe­r, der einen zum Beispiel im Ausland erwartet oder ein Beweis, dass man im Zielland ein festes Heim hat, müssen erbracht werden, bevor die Unterlagen vom „Department of Home Affairs“geprüft werden.

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FOTO: PRIVAT Carolin Kapahnke mit ihren beiden Kindern Isabelle und Rhys am Strand in Australien.
 ?? FOTO: PRIVAT ?? „Ich will Oma und Opa sehen“– die sechsjähri­ge Isabelle hält ein Plakat mit klarer Botschaft in den Händen. Die ganze Familie hofft, dass ihr Wunsch bald erfüllt werden kann.
FOTO: PRIVAT „Ich will Oma und Opa sehen“– die sechsjähri­ge Isabelle hält ein Plakat mit klarer Botschaft in den Händen. Die ganze Familie hofft, dass ihr Wunsch bald erfüllt werden kann.

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