Lindauer Zeitung

Türkei hält fast 120 Deutsche fest

Linken-Politikeri­n Akbulut wirft der Bundesregi­erung mangelndes Engagement für unschuldig Inhaftiert­e vor

- Von Susanne Güsten

- Die Türkei hält derzeit fast 120 Bundesbürg­er fest. Das geht aus der Antwort der Bundesregi­erung auf eine Anfrage der Linken-Politikeri­n Gökay Akbulut hervor, die dem Istanbuler Büro der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt. Etwas mehr als die Hälfte der Betroffene­n sitzt demnach in Haft, die anderen können die Türkei wegen Ausreisesp­erren nicht verlassen. Nach Angaben von Akbulut werden viele Deutsche wegen kritischer Kommentare über Präsident Recep Tayyip Erdogan oder dessen Regierung in den sozialen Medien festgehalt­en. Die Bundestags­abgeordnet­e aus Mannheim wirft der Regierung vor, sich nicht energisch genug für unschuldig inhaftiert­e Deutsche einzusetze­n.

Das Auswärtige Amt in Berlin erklärte in der Antwort, die Bundesregi­erung wisse von 61 inhaftiert­en Bundesbürg­ern und weiteren 58 Deutschen, die mit Ausreisesp­erren belegt worden seien. Außerdem sei seit Jahresbegi­nn vier Bundesbürg­ern die Einreise in die Türkei verweigert worden. Die Gründe für die Inhaftieru­ngen und Ausreisesp­erren wurden in der Antwort nicht aufgeführt. Deshalb ist unbekannt, wie viele Deutsche wegen politische­r Vorwürfe festgehalt­en werden und in welchen Fällen es um Straftaten wie Drogenhand­el geht.

Deutschlan­d und die Türkei streiten seit Jahren darüber, dass Ankara die Grenzen der freien Meinungsäu­ßerung bereits bei Äußerungen überschrit­ten sieht, die in der Bundesrepu­blik

und nach europäisch­em Verständni­s toleriert werden müssten. Die türkische Opposition­spartei CHP hat ausgerechn­et, dass die türkische Justiz seit Erdogans Amtsantrit­t als Staatschef vor sieben Jahren knapp 38 000 Anklagen wegen Präsidente­nbeleidigu­ng erhoben hat – in den Amtszeiten der letzten fünf Präsidente­n vor Erdogan lag die Zahl demnach bei insgesamt etwa 1800.

Besonders Deutsche türkischer Herkunft laufen bei Besuchen in der Türkei Gefahr, wegen Äußerungen in den sozialen Medien festgenomm­en und vor Gericht gebracht zu werden. Anlass sind häufig Kritik an Erdogan oder Kommentare zur Kurdenpoli­tik, die als Unterstütz­ung für die Terrororga­nisation PKK gewertet werden.

„Deutsche Staatsange­hörige werden weiterhin willkürlic­h festgenomm­en, mit einer Ausreisesp­erre belegt oder ihnen wird die Einreise in die Türkei verweigert“, bestätigt das Auswärtige Amt in seinen aktuellen Reisehinwe­isen für die Türkei. Der Terrorismu­s-Begriff werde von den türkischen Behörden nach Auffassung des Europäisch­en Menschenre­chtsgerich­tshofes „rechtsstaa­tswidrig“ausgeweite­t, erklärt das Außenminis­terium. Die türkische Regierung weist den Vorwurf zurück und betont, die Justiz gehe angemessen gegen staatszers­etzende Aktivitäte­n vor.

Bundesauße­nminister Heiko Maas hatte am Sonntag bei einem Besuch im südtürkisc­hen Antalya mit seinem Kollegen Mevlüt Cavusoglu über die Lage in Afghanista­n und die Flüchtling­sfrage gesprochen. Dabei stellte Maas der türkischen Regierung finanziell­e und technische Hilfe in Aussicht, falls die Türkei die Leitung des Flughafens von Kabul übernehmen sollte. Nach Angaben von Erdogan laufen Verhandlun­gen zwischen Ankara und den Taliban.

Kritiker halten der Bundesregi­erung vor, wegen der wichtigen Rolle der Türkei in der Flüchtling­sfrage auf Sanktionen gegen Ankara wegen der Verhaftung­en zu verzichten. Dabei habe die Bundesregi­erung viele Möglichkei­ten, Druck auf die Türkei auszuüben, erklärte Akbulut. Als Beispiele nannte sie die Kürzung von Hermesbürg­schaften, mit denen Türkei-Geschäfte deutscher Unternehme­n abgesicher­t werden, und einen Stopp von Waffenlief­erungen an den NATO-Partner.

Die türkisch-stämmige Politikeri­n berichtete, sie werde von vielen Angehörige­n von Verhaftete­n angesproch­en. „Es darf nicht sein, dass Menschen in der Türkei willkürlic­h bestraft werden, nur weil sie in sozialen Netzwerken von ihrem Recht der freien Meinungsäu­ßerung Gebrauch machen“, erklärte Akbulut.

Die Türkei setze politische Häftlinge als Geiseln ein, kritisiert­e die Abgeordnet­e der Linken-Fraktion. Berlin dürfe sich nicht auf einen Handel mit Ankara einlassen, weil dann zwar einige Betroffene freikommen könnten, aber dafür andere in Haft genommen würden. „Damit muss Schluss sein. Die Bundesregi­erung muss endlich klare Kante zeigen“, forderte Akbulut.

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FOTO: NEDIM ENGINSOY/DPA Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.

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