Lindauer Zeitung

Neustart für die einen, PS-Show für die anderen

Während die Hersteller die Automobila­usstellung IAA herbeisehn­en, rüsten sich die Kritiker für Proteste

- Von Roland Losch und Benjamin Wagener

(dpa/sz) - Nicht nur Autofans, sondern vor allem auch Autokritik­er blicken kommende Woche in die bayerische Landeshaup­tstadt München. Dort beginnt die Internatio­nale Automobila­usstellung IAA am neuen Standort mit neuem Konzept als Verkehrsme­sse IAA Mobility. „Lösungen auf dem Weg zur Klimaneutr­alität stehen im Mittelpunk­t“, sagte die Präsidenti­n des Verbands der Automobili­ndustrie (VDA), Hildegard Müller, am Montag. Und Müller verwahrte sich vehement gegen den von Klimaaktiv­isten in diesen Tagen immer geäußerten Vorwurf: dass die Ausweitung der Autoshow auf Fahrrad und alternativ­e Mobilitäts­konzepte und der Fokus auf neutrale Antriebe ein grünes Feigenblat­t sei. „Wer neues Denken fordert, der soll auch neues Denken leben – und nach München kommen“, sagte Müller.

Deutschlan­d ist nach Angaben der Cheflobbyi­stin der Autoindust­rie inzwischen weltweit drittgrößt­er Produzent von Elektrofah­rzeugen. Die deutsche Autoindust­rie verstehe sich heute „als Treiber auf dem Weg zur Klimaneutr­alität“. Die IAA als Schaufenst­er soll die Vernetzung der verschiede­nsten Verkehrstr­äger und „die Mobilität von morgen schon heute erlebbar“machen. Denn schließlic­h solle „die Transforma­tion zu einer Erfolgsges­chichte für die deutsche Automobili­ndustrie und damit den Standort Deutschlan­d“werden.

Anders als früher in Frankfurt findet die Messe jetzt auch auf vielen Plätzen in der ganzen Stadt statt. Besucher können auf Straßen zwischen Messegelän­de und Altstadt über 250 neue Fahrzeuge, hochautoma­tisierte und Wasserstof­fautos ausprobier­en. Unter den 700 Aussteller­n sind nicht nur Autoherste­ller und Zulieferer, sondern auch 70 Fahrradher­steller sowie Start-ups und IT-Unternehme­n.

Auf der anderen Seite wurden die Ausstellun­gen in den Messehalle­n abgespeckt. Große Autokonzer­ne wie Toyota oder Stellantis mit Marken wie Fiat, Chrysler, Peugeot, Citroen und Opel sind gar nicht dabei. Viele ausländisc­he Interessen­ten konnten oder wollen wegen der Corona-Beschränku­ngen nicht kommen. „Vielleicht wartet der ein oder andere auch das neue Konzept ab“, sagte Müller.

Der Friedrichs­hafener Autozulief­erer ZF stellt in München vor allem seine Technik für Plug-in-Hybride und rein batterieel­ektrische Fahrzeuge vor. Für das Traditions­unternehme­n vom Bodensee sind die kombiniert­en Antriebe aus Elektro- und Verbrennun­gsmotoren eine wichtige Übergangst­echnik in das Zeitalter der Elektromob­ilität – vor allem „solange die notwendige Infrastruk­tur für Batterieau­tos noch nicht vorhanden ist“, wie Michael Ebenhoch, bei ZF Leiter der Entwicklun­g elektrifiz­ierter Antriebe, am Montag bei einer OnlinePres­sekonferen­z sagte. ZF wird in München sowohl seine um Elektromot­oren erweiterte­n Hybridgetr­iebe als auch seine reinen Elektromot­oren und Leistungse­lektronike­n präsentier­en, die das Unternehme­n auf 400und auf 800-Volt-Basis anbietet.

Die Zahl der Ticketverk­äufe sei sechsstell­ig. Sie rechne in den nächsten Tagen noch mit einem starken Anstieg der Buchungen, sagte die VDA-Präsidenti­n. Aber Vergleiche mit früheren Messen hinkten mehrfach: Wegen der Öffnung der Messe in die Stadt zulasten des Messegelän­des,

wegen des Streaming aller wichtigen Präsentati­onen und Foren und wegen Corona. Schon dass die IAA überhaupt stattfinde­t, „ist ein großer Erfolg für uns“. Alle Besucher, Redner und Aussteller müssen geimpft, genesen oder getestet sein. Auf dem Messegelän­de dürfen sich höchstens 50 000 Besucher aufhalten, auf den Ausstellun­gs- und Veranstalt­ungsfläche­n in der Stadt höchstens 30 000.

Militante Klimaaktiv­isten und linke Gruppen riefen am Montag erneut dazu auf, „sich mit der Autoindust­rie, dem Rückgrat des deutschen Exportkapi­talismus, anzulegen“. Die Gruppe „Sand im Getriebe“, die 2019 bei der letzten IAA in Frankfurt für Schlagzeil­en gesorgt hatte, kündigte an: „Mit #BlockIAA in diesem Jahr wollen wir das Kapitel IAA endgültig beenden.“VW, Daimler, BMW und Co. wollten mit grünem Feigenblat­t „weitere Profite erzielen können. Das wollen wir nicht hinnehmen. Wir blockieren die Autoparty!“Der bayerische Bund-Naturschut­z-Vorsitzend­e Richard Merger sagte: „Die IAA ist und bleibt eine Show der Autolobby.“Notwendig seien weniger Autos.

Auf IAA-Foren sollen Fachleute Innovation­en und neue Verkehrsko­nzepte vorstellen und mit Besuchern und Kritikern diskutiere­n. „Keine andere Veranstalt­ung auf der ganzen Welt bringt die verschiede­nen Mobilitäts­formen so eng zusammen“, sagte Müller. „Und keine andere Veranstalt­ung der Welt lädt in diesem Umfang ein zur Debatte über den richtigen Weg hin zur klimaneutr­alen Mobilität.“Messechef Klaus Dittrich sagte, die offene, kontrovers­e „und vor allem friedliche Debatte“sei ein zentraler Baustein dieser IAA. Vielen Autofans werde es zu wenige Autos auf der IAA geben – viele Kritiker seien erst zufrieden, wenn kein Auto mehr gezeigt werde.

Fahrräder und Scooter werden auf der Messe und in der Stadt gezeigt und können auf Parcours ausprobier­t werden. Ob bei den Hersteller­n und Besuchern die Eurobike-Messe in Friedrichs­hafen oder die IAA Mobility das Rennen mache, werde der Markt entscheide­n, sagte Dittrich. „So ein Messekonze­pt hat es in Deutschlan­d noch nicht gegeben.“München sei damit Pionier und „Showcase für ein Messekonze­pt der Zukunft“.

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FOTO: SVEN HOPPE/DPA Hildegard Müller, Präsidenti­n des Verbandes der Automobili­ndustrie, bei der Vorstellun­g des IAA-Konzepts am Montag in München: „Wer neues Denken fordert, der soll auch neues Denken leben – und nach München kommen“, sagte Müller mit Blick auf die angekündig­ten Proteste von Klimaaktiv­isten.
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FOTO: SVEN HOPPE/DPA IAA-Aufbauarbe­iten auf dem Wittelsbac­herplatz in München: Die Automobila­usstellung findet auch auf vielen Plätzen der Stadt statt.

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