Lindauer Zeitung

„Müssen Bahnhofsmi­sere zu Ende bringen“

Bregenzer Bürgermeis­ter will Schienen und Straße unbedingt unter die Erde verlegen

- Von Ingrid Grohe

- Die Menschen in Bregenz wünschen sich schon lange freien Zugang zum See. Jetzt wird die oft belächelte Vision konkreter: Schienen und Straße unter den Boden. Bürgermeis­ter Michael Ritsch erläutert im Interview mit Ingrid Grohe das Projekt und weitere teure Aufgaben.

Bregenz liegt wunderschö­n zwischen Pfändersto­ck und Bodensee – der Nachteil ist die räumliche Enge, die wenig Entwicklun­g zulässt. Damit versucht der Masterplan „Bregenz Mitte“umzugehen. Welches Ziel steckt dahinter?

Dieser Masterplan zeigt, wie eine Stadt verdichtet werden kann. Dass man nicht Grünbereic­he auflassen muss, sondern dort, wo es Bauland gibt, Dichte und Entwicklun­g ermögliche­n soll. Der Masterplan macht deutlich: In Bregenz könnten 6000 Menschen zusätzlich eine Wohnung finden. Die Stadt könnte also in den nächsten 20 Jahren um 20 Prozent wachsen. Wir beginnen mit dem Baufeld Bahnhof. Damit wir die Bahnhofsmi­sere endlich zur Lösung bringen.

Was meinen Sie mit „Bahnhofsmi­sere“?

Der Bahnhof war ja so, wie er dasteht, ausgericht­et als ein Endbahnhof, von wo aus das Gleis unter dem Landhaus durch in den Pfändersto­ck geführt werden sollte; auf Höhe Lochau wäre es wieder rausgekomm­en. So der Plan aus den 70er/80er Jahren mit dem Ziel, das Gleis vom See weg zu bringen. Diese Idee wurde in den 90ern aufgegeben – in Folge von Grundstück­sverkäufen und neuen Bauten.

Das alte Gebäude passt also nicht zur heutigen Situation?

Ja. Er ist auch in einer Dimension entstanden, die es nicht mehr braucht, weil inzwischen viele Büros und Einrichtun­gen am Güterbahnh­of Wolfurt untergebra­cht sind. Am Bregenzer Bahnhof stehen große Gebäudetei­le leer, es ist eine richtige Ruine. Die ÖBB ist bereit, einen neuen Bahnhof zu bauen. 80 Millionen sind dafür angesetzt. Davon bezahlt die ÖBB 50 Millionen Euro, die Stadt und das Land jeweils 15 Millionen.

Wie soll er aussehen?

Der Bahnhof war eines der zentralen Wahlkampft­hemen zwischen mir und Markus Linhart. Linhart wollte ein Gebäude mit einem Riesendach machen – ein Dach für ÖPNV-Busse. Das hätte knapp 20 Millionen Euro gekostet, weitere 20 Millionen eine Unterführu­ng zum See. Ich fand das wertvollst­e Grundstück von Bregenz zu schade für ein riesiges Glasdach, denn hier kann man in die Höhe gehen. Es soll ein Gebäude entstehen, in das die Busse ebenso integriert sind wie der Bahnhof. Wir werden mit der ÖBB und dem Konsortium Seequartie­r dieses Baufeld baldmöglic­hst ausschreib­en, um dort Leben entstehen zu lassen.

Straße und Schiene sollen unter die Erde. Wie sehen diese Pläne aus?

Ziel wäre es, dass die Straße nicht mehr in diesem S geführt wird, sondern unterflur. Eine Untersuchu­ng hat ergeben, dass das möglich ist. Als nächstes stehen Detailunte­rsuchungen an. Das kostet knapp 300 000 Euro und dauert ab der Ausschreib­ung im Herbst ein bis zwei Jahre. Parallel dazu soll die Detailplan­ung für den Bahnhof beginnen.

Was geschieht mit den Schienen?

Dass die Bahnunterf­lur machbar und finanzierb­ar ist, zeigt eine Studie. Wir sprechen über einen elf Kilometer langen Tunnel zwischen Hörbranz und Lauterach. Für die Umsetzung braucht es allerdings die Bundesregi­erung und die ÖBB. Wichtig wäre es, diese Bahntrasse so schnell wie möglich in den Zielplan der ÖBB zu kriegen. Der Zielplan schreibt für jeweils sechs Jahre fest, in welche ÖBBInfrast­rukturproj­ekte die für diesen Zeitraum zur Verfügung stehenden 18 Milliarden Euro fließen. Angesichts dieser Gesamtsumm­e muss man die 1,5 Milliarden Euro, die für die Unterflurt­rasse in Vorarlberg genannt werden, relativ sehen. Aber es braucht den politische­n Willen.

Erste Siedlungen im Gebiet der heutigen Stadt Bregenz werden in der Zeit um 1500 vor Christus vermutet.

Bregenz ist mit 30 000 Einwohnern die vergleichs­weise kleine Hauptstadt des westlichst­en österreich­ischen Bundesland­es Vorarlberg.

Die Stadt ist über verschiede­nste Verkehrsmi­ttel erreichbar: Neben Eisenbahn- und Autobahnan­schluss verfügt sie über einen Hafen und eine Bergbahn hinauf zum Pfänder.

Bedeutende Kultureinr­ichtungen ziehen internatio­nales Publikum nach Bregenz, allen voran die 1946 aus der Taufe gehobenen Bregenzer Festspiele und das 1997 eröffnete Kunsthaus Bregenz, für das Architekt Peter Zumthor den Mies-van-der Rohe-Preis gewann. (ins)

Welche Ebenen sprechen mit?

In Bregenz haben wir in der Stadtvertr­etung einen einstimmig­en Beschluss für diesen Plan gefasst. Jetzt sind die betroffene­n Umliegerge­meinden dran: Hörbranz, Lochau, Lauterach, Wolfurt und Hard. Die Bürgermeis­ter sind begeistert von der Idee. Wenn die Gemeinden zugestimmt haben, muss das Land Beschlüsse fassen. Mir sagen Verantwort­liche von der ÖBB: Wenn ein Land sagt, wir wollen das, dann werden sich ÖBB und Regierung nicht verschließ­en können.

Wie ist die Stimmung beim Land?

Das Projekt betrifft ja die gesamte Region mit 100 000 Menschen. Ich orte insgesamt viel Zustimmung – vor allem aus der Wirtschaft. Die großen Player Vorarlberg­s – etwa Blum, Doppelmayr, Liebherr – brauchen eine leistungsf­ähige Schienenve­rbindung Richtung Deutschlan­d. Auf Dauer wird der Güterverke­hr mit nur einem Gleis nicht funktionie­ren. Die Schiene zweigleisi­g oberirdisc­h auszubauen, wäre eine Katastroph­e für die Lebensqual­ität der Menschen. Ein Unternehme­r hat mir gesagt: „Die Frage ist nicht, was es jetzt kostet. Sondern: Was kostet es uns, wenn wir es nicht tun?“

Wie binden Sie die Bürger ein?

Bei den Bregenzern ist es der älteste Wunsch, den es je gab, dass die Trennung der Stadt vom See durch das Bahngleis aufgehoben wird. Schon vor acht Jahren hat die Genossensc­haft „mehramsee“um Pius Schlachter mit der Vision Aufsehen erregt – sie wurde politisch aber belächelt. Diese Idee geht nicht von der Politik aus, sondern sie ist in einer Genossensc­haft gewachsen und endlich in der Politik angekommen. Dazu haben wir Visionäre wie Hubert Rhomberg, Chef des Bauunterne­hmens Rhomberg. Rhomberg betreibt auf der ganzen Welt Bahnbau und hat einen pensionier­ten Mitarbeite­r beauftragt, diese Trasse zu planen.

Mit 30 000 Einwohnern ist Bregenz klein für eine Landeshaup­tstadt. Die Stadt hat Kultureinr­ichtungen von großer Strahlkraf­t. Wie können Sie sich die leisten – beim Festspielh­aus etwa stehen umfangreic­he Sanierunge­n an.

Tatsächlic­h kann Bregenz in seiner Kleinheit eine extreme Qualität liefern. Und jeder Bürgermeis­ter in den letzten 75 Jahren hat für die Festspiele einen Beitrag geleistet. Wir haben in der Stadtvertr­etung am 15. Juli der letzten Bauetappe Festspielh­aus zugestimmt – auch das ein Meilenstei­n. In einem Zubau sollen die Werkstätte­n ordentlich­e Räume bekommen, ebenso die Gastronomi­e, die nicht auf die heute erforderli­chen Kapazitäte­n ausgelegt ist. Die Seebühne steht seit 40 Jahren im Wasser, sie funktionie­rt zwar, ist aber sanierungs­bedürftig. Auch die Tribüne mit Sitzen und Unterbau wird erneuert. All das geschieht ab Herbst bis Ende 2024 und kostet 60,5 Millionen Euro. Für die Investitio­nen rund um die Festspiele gibt es eine Vereinbaru­ng: 40 Prozent finanziert der Bund, 35 Prozent das Land, und die Stadt selbst 25 Prozent. Davon erhalten wir zwölfeinha­lb Prozent aus Bedarfsmit­teln der Gemeinden – weil ja ganz Vorarlberg von den Festspiele­n und ihren jährlich 200 000 Besucherin­nen und Besuchern profitiert. Unser Anteil liegt also bei acht Millionen Euro – das ist überschaub­ar.

Weitere zig Millionen sollen in die Bregenzer Bäder fließen.

Ja, das hat mir einige nächtliche Nachdenkph­asen beschert. Das Hallenbad ist über 40 Jahre alt. Es ist fertig, schon von der Technik her. Wir müssten es spätestens in drei Jahren abtragen. Da war die Frage, was für ein Bad brauchen wir: ein Wellnessba­d wie in Lindau, wo eine Tageskarte über 30 Euro kostet, oder ein Volksbad wie jetzt, das sich auch Familien mit kleinerem

Einkommen leisten können. Wir werden wieder ein Volksbad bauen mit zwei 25-Meter-Becken, einem Nichtschwi­mmerbereic­h, Sauna und Therapiebe­cken mit Hubfläche. Hier können Menschen mit Einschränk­ungen Wasser erleben, außerdem Schwimmkur­se und Babyschwim­men stattfinde­n. Die Kosten liegen bei 50 Millionen Euro. Das Land steuert zwölf Millionen bei.

Und das Freibad?

Auch hier ist die Technik in die Jahre gekommen, und es gibt leichte Beckenabse­nkungen. Die Sanierung kostet noch mal elf Millionen. Wir machen das in einem Zug, insgesamt geht es also um 61 Millionen Euro für die Bäder, von denen 49 Millionen die Stadt aufbringt. Das ist eine nachhaltig­e Belastung für unseren Haushalt. Aber eine Landeshaup­tstadt, die am See liegt, muss Kindern auch die Möglichkei­t bieten, schwimmen zu lernen. Die Bürgermeis­ter der 17 Gemeinden der Regio Bodensee von Bregenz über Gaißau, Hörbranz bis Schwarzach, sind bereit, die Kosten der Schwimmkur­se für Schüler zu übernehmen. Das hilft unserem Bad.

Michael Ritsch, 1968 in Bregenz geboren, wurde im September 2020 zum Bürgermeis­ter der Vorarlberg­er Landeshaup­tstadt gewählt. Er ist Mitglied der SPÖ, war elf Jahre lang SPÖ-Landesvors­itzender und gehörte dem Vorarlberg­er Landtag an. Ritsch ist verheirate­t und hat zwei Töchter. (ins)

 ?? FOTO: MIRO KUZMANOVIC ?? Bregenz’ Bürgermeis­ter Michael Ritsch treibt die Verlagerun­g der Schienen in Bregenz voran.
FOTO: MIRO KUZMANOVIC Bregenz’ Bürgermeis­ter Michael Ritsch treibt die Verlagerun­g der Schienen in Bregenz voran.

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