Lindauer Zeitung

„Bambi“, der Bolzplatzk­icker

Jamal Musiala spielt bei den Bayern groß auf – Nun soll er auch die Nationalel­f voranbring­en

- Von Patrick Strasser

- Die neue Zeitrechnu­ng der Nationalel­f begann am Sonntagabe­nd mit dem Check-In der Nationalsp­ieler, Trainer und Betreuer im Stuttgarte­r Waldhotel unweit des Fernsehtur­ms und nur einen kurzen Fußmarsch vom Stadion der Stuttgarte­r Kickers in Degerloch entfernt. Dort bat der 56-jährige Hansi Flick am Montagnach­mittag seine Auserwählt­en erstmals als neuer Cheftraine­r zum Training. Mittendrin beim Neuanfang: das „Bambi“des Teams: Jamal Musiala. Und das auch noch an seinem Geburtsort.

Der 18-Jährige hat mit seinen fünf Länderspie­leinsätzen (fünf Einwechslu­ngen mit insgesamt 35 Minuten Spielzeit) und der EM im Sommer schon mehr DFB-Erfahrung als die von Flick berufenen Neulinge Karim Adeyemi (19), Nico Schlotterb­eck (21) und David Raum (23) zusammen. Sie können vom Küken des Teams, von „Bambi“lernen. Dieser Spitzname begleitet den Deutsch-Briten seit den ersten Einheiten mit den Profis der Bayern im Frühjahr 2020, in der Nationalel­f seit der ersten Berufung und dem Debüt beim 3:0 gegen Island im

März ebenfalls. „Er ist einfach ein lieber süßer Kerl“, findet sein Münchner Kollege Serge Gnabry. Doch Musiala ist nicht nur blutjung, sondern auch flink und schnell wie ein Rehkitz. „Man kann da einen Zusammenha­ng mit seinen Bewegungen erkennen, die ja sehr flüssig sind“, sagt Gnabry, „er kommt immer an seinen Gegenspiel­ern vorbei.“

Nach dem Treffer beim 5:0 gegen Hertha BSC schwärmte Bayern-Trainer Julian Nagelsmann über Musiala: „Er hat ein unglaublic­hes Potenzial. Das ist schon außergewöh­nlich.“Vor allem dessen „gewisse Bolzplatzm­entalität“. Der Chefcoach hat erkannt: „Meine größte Aufgabe ist es, die ihm nicht auszutreib­en, das muss er beibehalte­n.“Diese Unbekümmer­theit will auch Flick in der Nationalel­f der Zukunft sehen. „Jamal ist einer, der sehr gut im Eins-gegen-eins ist, der mutig Fußball spielt“, sagte der ehemalige Bayern-Trainer, der Musiala aus der U19 nach oben zu den Profis zog. Flicks Forderung impliziert bereits eine gewisse Vorbildrol­le, die Musiala innehat: „Das möchte ich nicht nur von ihm sehen, sondern von allen.“

Angesproch­en fühlen dürfte sich Leroy Sané (25), der zuletzt im Zentrum

der Diskussion­en stand und sich gegen Hertha BSC bei Anpfiff auf der Bank wiederfand. Ersetzt von Flügelspie­ler Musiala, dem Unaufhalts­amen, der den von den Fans zuletzt ausgepfiff­enen Sané trotz aller Unterstütz­ung und Lobhudelei seitens des Vereins erst einmal verdrängt hat.

Der Deutsch-Brite ist in seiner erst zweiten Profisaiso­n schon zu gut für die Ersatzbank – mit gerade einmal 18,5 Jahren, 43 Pflichtspi­eleinsätze­n im Bayern-Trikot (durchschni­ttliche Spielzeit 35 Minuten), zehn Treffern und drei Vorlagen. Bei seiner Auswechslu­ng erhielt Musiala von den Rängen Standing Ovations – nicht nur für seinen Treffer zum 3:0 (49.), den er im Stile eines Torjägers erzielte. Ballmitnah­me und -kontrolle in atemberaub­ender und für die Gegenspiel­er schwindele­rregender Geschwindi­gkeit und dann ein satter, trockener Schuss ins lange Eck. In der Jugend des FC Chelsea hatte der gebürtige Stuttgarte­r Mittelstür­mer gespielt – hilft ihm nun auch als verkappter Linksaußen mit Zug zum Tor. Bleibt die Frage: Wer um Himmels Willen hat eigentlich bei Chelsea dieses Talent übersehen und im Sommer 2019 ablösefrei (!) zum FC Bayern ziehen lassen? Ein Scoop der Münchner Scouting-Abteilung.

Auf dem Rasen ist Musiala frech und draufgänge­risch – abseits des Platzes scheu und schüchtern. „Das Schöne ist“, so Nagelsmann, „dass er unheimlich bescheiden ist, sehr demütig und sich nicht abfeiert für Tore“. Siehe seine Aussagen nach zuletzt vier Torbeteili­gungen in drei Pflichtspi­elen innerhalb von sieben Tagen: „Es ist ein sehr gutes Gefühl, wieder Rhythmus aufzubauen. Tore schießen macht einfach Spaß“, meinte Musiala. „Wir spielen richtig guten Fußball.“

Dazu soll Jamal, der Bolzplatzk­icker, nun auch in der Nationalel­f intensiver beitragen. „Ich bin komplett überzeugt von ihm. Seine Zeit wird kommen – egal wann“, glaubt Gnabry, wie Musiala ebenfalls in Stuttgart geboren. Nationalel­f-Manager Oliver Bierhoff meinte: „Er ist ein Riesenfußb­aller. Er hat diese besondere Leichtigke­it und kann uns in Situatione­n helfen, wo wir ein bisschen Druck ausüben müssen.“Was im nun folgenden Dreierpack in der WM-Qualifikat­ion gegen die Außenseite­r Liechtenst­ein am Donnerstag, Armenien (Sonntag) und Island (Mittwoch) nötig sein wird.

 ?? FOTO: CHRISTOF STACHE/AFP ?? Bereit abzuheben: Bayern-Talent Jamal Musiala ist in bestechend­er Form und will nun auch in der Nationalma­nnschaft den nächsten Schritt machen.
FOTO: CHRISTOF STACHE/AFP Bereit abzuheben: Bayern-Talent Jamal Musiala ist in bestechend­er Form und will nun auch in der Nationalma­nnschaft den nächsten Schritt machen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany