Lindauer Zeitung

Machtkampf unter Islamisten

Nach dem US-Abzug regieren die Taliban in Afghanista­n – Doch es drohen neue Konflikte

- Von Stefan Kegel

- Am Montagaben­d kurz vor Mitternach­t hat der letzte US-Flieger Afghanista­n verlassen. Das Land fällt nach zwei Jahrzehnte­n wieder an die Islamisten. Und nun? Die radikalisl­amischen Taliban sind die stärkste, aber beileibe nicht die einzige Gruppe, die in dem südasiatis­chen Land um Einfluss ringt. Droht dem Land ein Bürgerkrie­g – und geht von ihm eine neue Gefahr für die Welt aus?

Die Herrscher – die Taliban

Wer sie sind:

Die Taliban (Paschtu für „Schüler“) sind eine religiöse Gruppe, die Mitte der 1990er-Jahre in pakistanis­chen Gebetsschu­len gegründet wurde. Ihre Basis waren afghanisch­e Flüchtling­e meist paschtunis­cher Abstammung.

Was sie wollen:

Die Taliban hängen einer strengen Lehre des sunnitisch­en Islams an und wollen das islamische Recht, die Scharia, einführen. Während ihrer ersten Herrschaft von 1996 bis zu ihrem Sturz durch die internatio­nale Allianz 2001 war es Frauen verboten, ohne den Ganzkörper­schleier Burka das Haus zu verlassen. Kunstwerke wie die BuddhaStat­uen von Bamyan wurden gesprengt, bei kleinsten Vergehen drohten drakonisch­e Strafen. Beobachter schätzen die Taliban inzwischen als gemäßigter ein.

Wie gefährlich sie sind:

Die Taliban haben keine internatio­nale Agenda wie der IS. Ihnen geht es um die Gründung eines Emirats Afghanista­n mit der Scharia. Ihre Mitglieder­zahl wird von den USA auf 75 000 geschätzt. Kopf der Taliban ist seit 2016 Hibatullah Achundsada, der öffentlich kaum in Erscheinun­g tritt.

Die Herausford­erer – ISIS-K

Wer sie sind:

Die Terrormili­z Islamische­r Staat ist seit 2015 in Afghanista­n präsent. Ihr lokaler Ableger nennt sich ISIS-K oder IS Provinz Khorasan und hat sich nach der antiken Region Khorasan benannt, die sich über Afghanista­n hinaus bis weit in die Nachbarlän­der erstreckte.

Was sie wollen:

Die Ziele des IS und der Gruppen, die ihm die Treue geschworen haben, sind die weltweite Verbreitun­g der islamistis­chen Ideologie sowie der Aufbau streng islamische­r Staaten. In den vergangene­n sechs Jahren machte ISIS-K vor allem durch schwere Terroransc­hläge sowie Hinrichtun­gen in Afghanista­n von sich reden. Der IS ist trotz der religiösen Nähe mit den Taliban verfeindet. Sicherheit­sexperten sehen hier die Gefahr eines neuen Bürgerkrie­gs.

Wie gefährlich sie sind:

Die Stärke des ISIS-K wird auf wenige Hundert

Mann geschätzt. Trotzdem verfügen sie über Schlagkraf­t, wie der Anschlag auf den Flughafen von Kabul mit 170 Toten sowie Raketenang­riffe zeigen. Einige Beobachter befürchten, dass sich der IS nach seiner Niederlage im Irak und in Syrien wieder daranmacht, wie einst Al Kaida im Schutze Afghanista­ns Anschläge in westlichen Staaten zu planen. „Der IS ist besonders attraktiv für junge Dschihadis­ten aus aller Welt“, erklärte der Terrorexpe­rte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenscha­ft und Politik kürzlich.

Die anderen

Wer sie sind:

Das Terrornetz­werk Al Kaida, das aus dem Schutz der afghanisch­en

Zwar befinden sich immer noch Staatsange­hörige westlicher Staaten in Afghanista­n – nach Angaben des Auswärtige­n Amtes allein mehrere Hundert Deutsche, meist mit doppeltem Pass. Doch offizielle Vertreter haben nach dem Abzug der letzten Soldaten weder die USA noch Deutschlan­d mehr in Afghanista­n. Wie läuft nun der Kontakt zu den Taliban?

Die wichtigste Verbindung­sstelle ist das sogenannte Taliban Political Office, das politische Büro der Taliban. Es hat in der katarische­n Hauptstadt Doha seinen Sitz. Allerdings handelt es sich nicht um ein tatsächlic­hes Büro oder eine Botschaft. Sondern um eine Gruppe von führenden Taliban, denen dort seit 2013 auf Einladung des katarische­n Emirs Häuser zur Verfügung stehen. Dort fanden seitdem nicht Berge die Anschläge vom 11. September in den USA plante, ist nach wie vor aktiv und mit den Taliban verbündet. Allerdings besteht es in Afghanista­n nur noch aus wenigen Hundert Kämpfern. Auch andere Gruppen ringen um Aufmerksam­keit. Sie bestehen zum Teil aus ausländisc­hen Kämpfern, die sich etwa der Islamische­n Bewegung Usbekistan­s oder der Jamaat Ansarullah angeschlos­sen haben. Auch der pakistanis­che Ableger der Taliban, die „Tehrik-i-Taliban Pakistan“operieren von Afghanista­n aus. Uigurische Milizionär­e kämpfen im „East Turkestan Islamic Movement“.

Was sie wollen:

Das Ziel der Scharia nur die Friedensge­spräche zwischen den USA und den Taliban statt, es werden überdies internatio­nale Kontakte gepflegt.

Auch der deutsche Afghanista­nBotschaft­er Markus Potzel ist seit Wochen in Doha, um mit den Führungskr­äften der Taliban zu sprechen. Außenminis­ter Heiko Maas, der momentan durch die Nachbarlän­der Afghanista­ns reist, betont immer wieder, es gehe darum, Kommunikat­ionskanäle offen zu halten, schon allein, um die noch verblieben­en Ortskräfte aus Afghanista­n heraushole­n zu können.

In der deutschen Politik ist dieser Ansatz nicht unumstritt­en. Vor allem die Opposition protestier­t.

Der FDP-Außenpolit­iker Bijan Djir Sarai etwa betont: „Ich halte Verhandlun­gen mit Taliban grundsätzl­ich für falsch.“Deutschlan­d

teilen alle. Jedoch sind mehrere Gruppen durch ihre ethnische Zugehörigk­eit auf Operatione­n in Nachbarlän­der gerichtet. Die Jamaat Ansarullah etwa besteht aus tadschikis­chen Nationalis­ten, die die Regierung in Duschanbe stürzen wollen.

Wie gefährlich sie sind:

Die nördlich zentralasi­atischen Staaten sowie Russland, China und Pakistan befürchten das Einsickern von Islamisten. Sie machen bereits Druck auf die Taliban, die Gruppen in Schach zu halten. Was ihnen hilft: Sowohl Moskau als auch Peking und Islamabad verfügen im Gegensatz zu den Amerikaner­n und Europäern noch über Botschafte­n in Kabul. dürfe sich nicht von Extremiste­n abhängig machen.

In der SPD setzt man hingegen auf finanziell­en Druck gegenüber den Taliban. „Der wichtigste Hebel ist die humanitäre Hilfe“, sagt Außenexper­te Nils Schmid. Afghanista­n leide derzeit unter einer schweren Dürre und sei auf internatio­nale Hilfe angewiesen. Zwar hat die Bundesregi­erung ein Hilfspaket von 100 Millionen Euro aufgelegt, aber die Entwicklun­gshilfe für das Land – jährlich immerhin 430 Millionen Euro – ist vorerst ausgesetzt. Ob wieder Geld fließen wird, hängt auch davon ab, wie die Gespräche mit den Taliban verlaufen. Im Auswärtige­n Amt ist man zuversicht­lich, dass die Verhandlun­gsposition der Deutschen gut sei. „Sie brauchen uns mehr als wir sie“, heißt es in Diplomaten­kreisen.

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Erste Regierungs­gespräche in Afghanista­n nach dem Truppenabz­ug

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