Lindauer Zeitung

Auf den Spuren des Lindauer Boten

Zehn Reiter überqueren die Alpen auf der historisch­en Strecke – Wie es dazu kam

- Von Christian Flemming

- Zehn Reiterinne­n und Reiter haben sich mit Pferden auf die Hufe gemacht, um den Spuren des Lindauer Boten zu folgen. Bei dem siebentägi­gen Ritt geht es vom Bodensee durch das Rheintal bis hinter den Splügenpas­s. Zwei Männer mit Begeisteru­ng für Pferde und die Geschichte organisier­en den Trip.

Mailänder Bote wurde er genannt, wenn er von Nord nach Süd unterwegs war, Lindauer Bote hingegen, wenn er sich von Mailand an den Bodensee aufmachte. Der Transportd­ienst, der vom 14. bis ins 19. Jahrhunder­t Waren, Post und Reisende zwischen Lindau und Mailand beförderte, wurde in den vergangene­n Jahren immer wieder von Reisegrupp­en in einer Kutsche bereist.

Dabei war der Transportd­ienst wohl nie mit einer Kutsche unterwegs – das hat Marcellus Peuckert nach Recherche im Lindauer Stadtarchi­v herausgefu­nden. In den rund 500 Jahren seien die Wege für Kutschen über weite Strecken unpassierb­ar gewesen. „Selbst Johann Wolfgang von Goethe, der mit dem Lindauer Boten über die Alpen nach Mailand gelangte, saß in keiner Kutsche, sondern musste zu Pferd die Strecke bewältigen“, erzählt Peuckert. Der ehemalige Chemiker und Pferdefreu­nd aus dem Frankfurte­r Raum hatte daher die Idee, eine echte Reittour auf den Spuren des Lindauer Boten zu veranstalt­en.

Seit einigen Jahren nimmt Peuckert an sogenannte­n Trekkingto­uren des Schweizer Reitstalls von Men Juon in Engadin teil. Mit der Idee, auf den Spuren des Lindauer Boten zu reisen, kam Peuckert daher auf Juon zu. Nachdem dieser die Route mit dem Mountainbi­ke erkundet hatte, willigte er ein, diese Tour zu organisier­en. „Auf gut Glück mit den Pferden los zu reiten mache ich nicht, schon gar nicht mit Gästen“, begründet er die Vorerkundu­ng.

Auch Juon hat sich lange mit der Geschichte des Lindauer Boten beschäftig­t, für ihn waren diese Männer weit mehr als einfache Boten. „Sie brauchten einen guten Leumund, mussten als Reiter, Berg- und Reiseführe­r geeignet sein und sich mit den ganzen Zoll und Reisebesti­mmungen auskennen“, so Juon.

Hinzu käme, dass die Boten eine hohe Kaution hinterlege­n mussten, damit die Exklusivit­ät des Lindauer Boten gesichert war, berichtet er. „Im 18. Jahrhunder­t waren das 1000 Gulden, eine Summe, für die man ein gutes Stadthaus in Chur kaufen konnte.“Die Boten waren also lizenziert­e Transportu­nternehmer, die auch Post, Geld und Reisende beförderte­n. Men Juon fügt hinzu: „Wäre ich vor 700 Jahren geboren, ich hätte mich als Lindauer Bote beworben.“

Es gibt allerdings deutliche Unterschie­de zu damals, wie die Reiterinne­n und Reiter die Alpen überqueren: Auf dieser aktuellen Tour startete die Gruppe ohne Pferde von Lindau. Die Tiere warteten in einem Stall in Widnau auf ihre Reiter. Dadurch ersparte sich die Gruppe schon eine Reihe von Komplikati­onen

an den Grenzen. Auch geht es nicht so eilig zu. Während die Boten damals in gut fünf Tagen die 325 Kilometer bis Mailand bewältigte­n, führt die Trekkingto­ur nur über 160 Kilometer bis hinter den Splügenpas­s nach Andossi – dafür nimmt sich die Gruppe sieben Tage Zeit. Danach wäre es für die Pferde kein Vergnügen mehr, die Reise müsste auf der Autostraße fortgesetz­t werden, außerdem gäbe es da kaum noch Unterkünft­e für Pferd und Reiter.

So aber haben die Pferde nach den 160 Kilometern auf einer Alpe in Andossi einen Ruhetag, bis eine weitere Gruppe mit ihnen die Tour wieder zurück an den Bodensee macht. Die Reiterinne­n und Reiter sitzen alle auf Freiberger­n, der letzten ursprüngli­chen Schweizer Pferderass­e. Als leichtes Kaltblut oder auch schweres

Warmblut bezeichnet, weil man ihm den Kaltblüter äußerlich nicht ansieht. Freiberger würden unter anderem beim Militär zuverlässi­ge Dienste leisten, das gutmütige und arbeitswil­lige Tier sei vielseitig als Arbeits-, Kutsch-, Familien- und Reitpferd einsetzbar, erklärt Men Juon. Er habe in seinem Stall und auf seiner Koppel ausschließ­lich Freiberger und habe diese kompakte Pferderass­e in sein Herz geschlosse­n, sagt Juon. Für die Art Trekking, die er anbietet, seien sie glänzend geeignet.

Der erste Tag sei für die Pferde geradezu Urlaub, sagt Juon, denn in so flachem Terrain sind sie nicht oft unterwegs. Die erste Etappe ist daher eine gute Gelegenhei­t für Mensch und Tier, sich kennenzule­rnen. Für die Pferde eine neue Erfahrung, auch einmal paarweise nebeneinan­der her zu schreiten oder zu traben, weil ihre Reiter gerne ein Schwätzche­n halten wollen. In den nächsten Tagen der Tour wird es dann steiler. Die Gruppe wird nur noch in einer Reihe reiten können – da muss die Konversati­on der Menschen untereinan­der auf die Pausen verlegt werden. Diese Art der Fortbewegu­ng habe aber auch einen positiven Effekt, wie Marcellus Peuckert schwärmt: „Diese Art zu reisen bedeutet eine große Entschleun­igung und hat dadurch eine regelrecht­e therapeuti­sche Wirkung.“Zumindest für den reitenden Menschen. Doch die Mitreitend­en freuen sich nicht nur auf die therapeuti­sche Wirkung. Viele interessie­ren sich vor allem für den geschichtl­ichen Hintergrun­d, sie wissen um Peuckerts und Jouns Kentnisse und sind deswegen mit dabei.

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Der Engadiner Men Juon führt die Gruppe Reiterinne­n und Reiter an, die sich auf den Spuren des Lindauer Boten von Lindau, durchs Rheintal und Richtung Splügen bewegt.

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