Auf den Spuren des Lindauer Boten
Zehn Reiter überqueren die Alpen auf der historischen Strecke – Wie es dazu kam
- Zehn Reiterinnen und Reiter haben sich mit Pferden auf die Hufe gemacht, um den Spuren des Lindauer Boten zu folgen. Bei dem siebentägigen Ritt geht es vom Bodensee durch das Rheintal bis hinter den Splügenpass. Zwei Männer mit Begeisterung für Pferde und die Geschichte organisieren den Trip.
Mailänder Bote wurde er genannt, wenn er von Nord nach Süd unterwegs war, Lindauer Bote hingegen, wenn er sich von Mailand an den Bodensee aufmachte. Der Transportdienst, der vom 14. bis ins 19. Jahrhundert Waren, Post und Reisende zwischen Lindau und Mailand beförderte, wurde in den vergangenen Jahren immer wieder von Reisegruppen in einer Kutsche bereist.
Dabei war der Transportdienst wohl nie mit einer Kutsche unterwegs – das hat Marcellus Peuckert nach Recherche im Lindauer Stadtarchiv herausgefunden. In den rund 500 Jahren seien die Wege für Kutschen über weite Strecken unpassierbar gewesen. „Selbst Johann Wolfgang von Goethe, der mit dem Lindauer Boten über die Alpen nach Mailand gelangte, saß in keiner Kutsche, sondern musste zu Pferd die Strecke bewältigen“, erzählt Peuckert. Der ehemalige Chemiker und Pferdefreund aus dem Frankfurter Raum hatte daher die Idee, eine echte Reittour auf den Spuren des Lindauer Boten zu veranstalten.
Seit einigen Jahren nimmt Peuckert an sogenannten Trekkingtouren des Schweizer Reitstalls von Men Juon in Engadin teil. Mit der Idee, auf den Spuren des Lindauer Boten zu reisen, kam Peuckert daher auf Juon zu. Nachdem dieser die Route mit dem Mountainbike erkundet hatte, willigte er ein, diese Tour zu organisieren. „Auf gut Glück mit den Pferden los zu reiten mache ich nicht, schon gar nicht mit Gästen“, begründet er die Vorerkundung.
Auch Juon hat sich lange mit der Geschichte des Lindauer Boten beschäftigt, für ihn waren diese Männer weit mehr als einfache Boten. „Sie brauchten einen guten Leumund, mussten als Reiter, Berg- und Reiseführer geeignet sein und sich mit den ganzen Zoll und Reisebestimmungen auskennen“, so Juon.
Hinzu käme, dass die Boten eine hohe Kaution hinterlegen mussten, damit die Exklusivität des Lindauer Boten gesichert war, berichtet er. „Im 18. Jahrhundert waren das 1000 Gulden, eine Summe, für die man ein gutes Stadthaus in Chur kaufen konnte.“Die Boten waren also lizenzierte Transportunternehmer, die auch Post, Geld und Reisende beförderten. Men Juon fügt hinzu: „Wäre ich vor 700 Jahren geboren, ich hätte mich als Lindauer Bote beworben.“
Es gibt allerdings deutliche Unterschiede zu damals, wie die Reiterinnen und Reiter die Alpen überqueren: Auf dieser aktuellen Tour startete die Gruppe ohne Pferde von Lindau. Die Tiere warteten in einem Stall in Widnau auf ihre Reiter. Dadurch ersparte sich die Gruppe schon eine Reihe von Komplikationen
an den Grenzen. Auch geht es nicht so eilig zu. Während die Boten damals in gut fünf Tagen die 325 Kilometer bis Mailand bewältigten, führt die Trekkingtour nur über 160 Kilometer bis hinter den Splügenpass nach Andossi – dafür nimmt sich die Gruppe sieben Tage Zeit. Danach wäre es für die Pferde kein Vergnügen mehr, die Reise müsste auf der Autostraße fortgesetzt werden, außerdem gäbe es da kaum noch Unterkünfte für Pferd und Reiter.
So aber haben die Pferde nach den 160 Kilometern auf einer Alpe in Andossi einen Ruhetag, bis eine weitere Gruppe mit ihnen die Tour wieder zurück an den Bodensee macht. Die Reiterinnen und Reiter sitzen alle auf Freibergern, der letzten ursprünglichen Schweizer Pferderasse. Als leichtes Kaltblut oder auch schweres
Warmblut bezeichnet, weil man ihm den Kaltblüter äußerlich nicht ansieht. Freiberger würden unter anderem beim Militär zuverlässige Dienste leisten, das gutmütige und arbeitswillige Tier sei vielseitig als Arbeits-, Kutsch-, Familien- und Reitpferd einsetzbar, erklärt Men Juon. Er habe in seinem Stall und auf seiner Koppel ausschließlich Freiberger und habe diese kompakte Pferderasse in sein Herz geschlossen, sagt Juon. Für die Art Trekking, die er anbietet, seien sie glänzend geeignet.
Der erste Tag sei für die Pferde geradezu Urlaub, sagt Juon, denn in so flachem Terrain sind sie nicht oft unterwegs. Die erste Etappe ist daher eine gute Gelegenheit für Mensch und Tier, sich kennenzulernen. Für die Pferde eine neue Erfahrung, auch einmal paarweise nebeneinander her zu schreiten oder zu traben, weil ihre Reiter gerne ein Schwätzchen halten wollen. In den nächsten Tagen der Tour wird es dann steiler. Die Gruppe wird nur noch in einer Reihe reiten können – da muss die Konversation der Menschen untereinander auf die Pausen verlegt werden. Diese Art der Fortbewegung habe aber auch einen positiven Effekt, wie Marcellus Peuckert schwärmt: „Diese Art zu reisen bedeutet eine große Entschleunigung und hat dadurch eine regelrechte therapeutische Wirkung.“Zumindest für den reitenden Menschen. Doch die Mitreitenden freuen sich nicht nur auf die therapeutische Wirkung. Viele interessieren sich vor allem für den geschichtlichen Hintergrund, sie wissen um Peuckerts und Jouns Kentnisse und sind deswegen mit dabei.