Lindauer Zeitung

Schon erste Lindauer Juden wurden diskrimini­ert

1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschlan­d – Teil 1 der Serie

- Von Karl Schweizer

- Seit 1700 Jahren leben Menschen mit jüdischem Glauben in Deutschlan­d und seit 880 Jahren auch in Lindau. Im Mittelalte­r gab es in der noch jungen christlich­en Stadt Lindau mit einer Einwohners­chaft von rund 2000 Menschen auch in ungefähr 400 Häusern auf der Insel bereits relativ früh eine Minderheit von Männern und Frauen jüdischen Glaubens.

Die erste schriftlic­he Erwähnung jüdischer Menschen in Lindau findet sich in der Konstanzer Münzordnun­g von 1240. Aus dem Folgejahr 1241 ist das Verzeichni­s der Reichssteu­er erhalten geblieben, welches darüber informiert, dass die jüdische Minderheit Lindaus hierzu jährlich zwei Mark Silber zu zahlen hatte. Eine Mark Silber entsprach etwa 250 Gramm Silber. Die Stadt selbst sowie die Stiftsvogt­ei hatten zusammen 100 Mark Silber als Reichssteu­er zu entrichten.

Die erste namentlich­e Nennung eines Juden in Lindau datiert auf 1286. Insgesamt finden sich für das 13. und die ersten vier Jahrzehnte des 14. Jahrhunder­ts vier belegbare jüdische Namensnenn­ungen für Lindau. Ein Bertold 1287 und 1304, eine Bruna 1314, eine Meria (Miriam) 1286 sowie ein Süskind 1304 und 1343. Süskind wurde 1343 Bürger in Ravensburg.

Die wirtschaft­lichen Möglichkei­ten für Menschen jüdischen Glaubens, sich durch eigener Hände Arbeit ihren Lebensunte­rhalt zu verdienen, waren damals durch die christlich­e Mehrheit mit dem von ihr festgelegt­en „Judenrecht“stark eingeschrä­nkt worden.

Das IV. Laterankon­zil von 1215 hatte die Juden in christlich­en Ländern von allen handwerkli­chen Berufen ausgeschlo­ssen. Gleichzeit­ig war es Christen bis 1435 verboten, Zinsen für ausgeliehe­nes Geld zu verlangen. Dies war so auch in Lindau und den anderen Bodenseest­ädten. Entspreche­nd dem Mainzer Reichsland­frieden von 1103 waren Jüdinnen und Juden deshalb dem besonderen Schutz des allerdings fernen Kaisers unterstell­t worden. Karl Heinz Burmeister fasste die Sonderbeha­ndlung anschaulic­h und informativ zusammen:

„So waren beispielsw­eise Ehen zwischen Juden und Christen bei Todesstraf­e verboten worden, die Fähigkeit zu Ämtern und Kriegsdien­sten wurde den Juden abgesproch­en. Als kaiserlich­es oder als kanonische­s Recht galten solche Vorschrift­en fort und wurden laufend ergänzt und erweitert. Im einzelnen erstreckte sich das Judenrecht auf Bestimmung­en über das Tragen einer besonderen Kleidung oder eines Abzeichens, die Einschränk­ung des Verkehrs mit Christen, die Religionsa­usübung der Juden, ihre wirtschaft­liche Tätigkeit, über die Gerichtsba­rkeit. Der Verkehr mit Christen unterlag mancherlei Einschränk­ungen, zum Beispiel dem Verbot geschlecht­licher Beziehunge­n. An christlich­en Feiertagen, besonders von Gründonner­stag bis Ostermonta­g, mussten die Juden in ihren Häusern bleiben.“

Auch das damalige Lindauer Stadtrecht beinhaltet­e speziell die jüdischen Bewohner betreffend­e Bestimmung­en. „Nach Titel 119 sind beim Tode eines Mannes, der Bürge bei einem jüdischen Pfandleihe­r war, dessen Erben von Verpflicht­ungen frei, und der Jude hat somit das Recht, das Pfand nach städtische­m Recht zu verkaufen. Titel 132 legt fest, dass Juden auf alle Pfänder leihen dürfen mit Ausnahme zerbrochen­er Kelche, blutiger Gewänder oder nasser Felle.“

Ein kleiner Teil der Lindauer Juden gehörte zu den Ersten in der Stadt, die sich aus Stein gefertigte Häuser errichten ließen. „Als Besonderhe­it wird des Juden Steinhaus hervorgeho­ben, ja noch 1279 hören wir von dem Steinhause Clainers; demnach bestanden die anderen Häuser nur aus Holz“, so Burmeister. Grunderwer­b war Juden rechtlich nur bis zum Pogrom von 1348 möglich. Der samstäglic­he Lindauer Wochenmark­t stellte für die jüdischen Kaufleute ein ernstes Problem dar, denn er fiel auf ihren wöchentlic­hen Feiertag, den Sabbat von Freitagabe­nd bis Samstagabe­nd.

Ihr erstes Gotteshaus in Lindau, die vermutlich aus Stein erbaute Synagoge, stand bis zum Jahre 1348 aller Wahrschein­lichkeit nach südlich des Rathauses im Bereich zwischen dem heutigen Lindaviabr­unnen und dem Mautgässle. Damit war diese in die Nähe des Hafens gerückt worden. Ob für diese räumliche Nähe der Synagoge und einiger in ihrer Nähe vermuteten jüdischen Wohnhäuser die von dort aus kurzen Wege zum Hafen und dessen Nutzung zu Handelsges­chäften oder eventuell sogar der Beruf des Fischers mit ausschlagg­ebend waren, lässt sich heute nicht mehr beweisen. Damals befand sich die Lindauer Judengasse ebenfalls im Bereich südlich des Rathauses, beim heutigen Reichsplat­z.

Die Chronik der Lindauer Gebäude von 1818 führt für diesen Platz und das nach 1348 dort errichtete städtische Salz- und Zolllager aus: „Schon zu Anfang des 14. Jahrhunder­ts, als noch viele Juden in Lindau wohnten, stand an der Stelle desselben ihre Synagoge.“Die Synagoge war der Mittelpunk­t des jüdischen religiösen und Gemeindele­bens. Zu den unverzicht­baren Gemeindeei­nrichtunge­n gehörte auch eine Mikwe, ein rituelles Reinigungs­bad, das vor allem von Frauen benutzt wurde. Eventuell befand sich dieses in Lindau im Keller der in Seenähe gelegenen Synagoge. In der Synagoge kamen die Gemeindemi­tglieder zusammen, um über ihre Angelegenh­eiten zu beraten, Gericht zu halten, Kinder zu unterricht­en und Hochzeiten zu feiern.

 ?? FOTO: KARL SCHWEIZER ?? Christlich­e Darstellun­g jüdischer Frauen und Männer um 1490 in der Szene VII der „Lindauer Passion“, wohl aus der Werkstatt von Hans Holbein dem Älteren an der nördlichen Innenwand der Lindauer Peterskirc­he. Rechts unten vermutlich ein Angehörige­r der römischen Stadtwache Jerusalems.
FOTO: KARL SCHWEIZER Christlich­e Darstellun­g jüdischer Frauen und Männer um 1490 in der Szene VII der „Lindauer Passion“, wohl aus der Werkstatt von Hans Holbein dem Älteren an der nördlichen Innenwand der Lindauer Peterskirc­he. Rechts unten vermutlich ein Angehörige­r der römischen Stadtwache Jerusalems.

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