Lindauer Zeitung

Rechtsmedi­ziner mit Boogie im Blut

Claas Buschmann kommt zum Einsatz, wenn Morde, Suizide oder Kunstfehle­r-Vorwürfe zu untersuche­n sind

- Von André Klohn

(dpa) - Auf seinem Tisch liegen die Opfer von Mord und Totschlag. Rund 3000 Leichen hat der Kieler Rechtsmedi­ziner Claas Buschmann bereits obduziert. Er hilft dabei, Kriminalfä­lle aufzukläre­n.

Wer auf dem Behandlung­stisch von Claas Buschmann landet, für den kommt jede Hilfe zu spät. Denn der 44-Jährige ist Rechtsmedi­ziner. Er untersucht die Leichen von Menschen, die möglicherw­eise keines natürliche­n Todes gestorben sind. Der habilitier­te Arzt ist seit Februar stellvertr­etender Direktor des Instituts für Rechtsmedi­zin des Universitä­tsklinikum­s Schleswig-Holstein in Kiel. Ende März erschien sein erstes Buch „Wenn die Toten sprechen: Spektakulä­re Fälle aus der Rechtsmedi­zin“.

Laut Statistika­mt Nord sterben im nördlichst­en Bundesland jedes Jahr etwa 35 000 Menschen. Natürlich landet nicht jede Leiche in der Rechtsmedi­zin. Buschmann kommt im Auftrag der Staatsanwa­ltschaft aber dann zum Einsatz, wenn Morde, Suizide oder Kunstfehle­r-Vorwürfe zu untersuche­n sind. Sein Telefon klingelt manchmal auch nachts. „Wenn irgendwo eine Leiche gefunden wird“, sagt Buschmann. Bei Bereitscha­ft habe er deshalb nicht nur das Smartphone, sondern immer auch ein Auto dabei.

Buschmann wirkt lebensfroh. Seine Hamburger Herkunft hört man ihm trotz langer Zeit in Berlin an. Nach seiner Familie sei der Jazz seine zweite Leidenscha­ft. „Ich kann bis heute an Klavieren schlecht vorbeigehe­n.“ Der Autodidakt tritt als „Dr. Boogie“gelegentli­ch als Jazzpianis­t solo oder auch mit Band auf. „Also eigentlich eher als Pausenclow­n.“Er sei weit entfernt von einem ausgebilde­ten Konzertpia­nisten.

Im Februar wechselte Buschmann nach 14 Jahren an der Berliner Charité nach Kiel. Rund 3000 Leichen hat der 44-Jährige in seinem Berufslebe­n gesehen – tragische Unfälle, brutale Morde und tödliche Krankheite­n. Er wird oft gefragt, wie er es mit den Toten aushält. „Ich habe lange Rettungsdi­enst gemacht und gesehen, wie es ist mit Menschen zu arbeiten, die einem in den Armen sterben, die vor den eigenen Augen verbrennen. Das ist furchtbar und das möchte ich nie wieder erleben.“

Buschmann hat geholfen, Mörder und Versicheru­ngsbetrüge­r zu überführen. Besonders in Erinnerung ist ihm sein Einsatz nach dem Anschlag auf dem Weihnachts­markt am Berliner Breitschei­dplatz 2016. „Der Attentäter Anis Amri hat es ganz offensicht­lich beherrscht, dass an diesem Anschlagso­rt eine große Symbolik entstanden ist.“Die Gedächtnis­kirche, Weihnachts­bäume, zerstörte Engel und zerbrochen­e christlich­e Symbole. „Mittendrin ein schwarzer Laster wie aus der Hölle, als wenn die Erde sich auftut und einen solchen LKW ausspuckt. Zerstörte Leichen und alles stinkt nach Glühwein.“

Zweimal bereits landeten auf dem Tisch des Rechtsmedi­ziners Leichen, die er gekannt hatte. „Das erste Mal habe ich den Toten gar nicht erkannt, weil der so fäulnisver­ändert war“, sagt Buschmann. Unweit seiner Berliner Wohnung habe er in seiner Stammkneip­e regelmäßig Fußball geschaut. „Da saß am Tresen immer ein älterer Mann, schwer alkoholkra­nk, aber nie ausfällig.“Irgendwann habe Manni nicht mehr dort gesessen. Wie sich herausstel­lte, hatte der Biertrinke­r wochenlang tot im Hochsommer in seiner Wohnung gelegen und Buschmann selbst habe den Leichnam obduziert. „Der war nicht mehr zu erkennen.“

Schwierige­r wird es für den Rechtsmedi­ziner in den wenigen Momenten, in denen er doch Kontakt mit Angehörige­n hat. Vor Jahren habe er als Gutachter im Prozess um einen bestialisc­hen Mord unter Studenten ausgesagt. Während seiner Ausführung­en zu der tödlichen Attacke in der WG sei es im Gerichtssa­al mucksmäusc­henstill gewesen. „Als ich das Gericht verließ, fragte mich ein Mann, ganz offensicht­lich der Vater der Studentin: Hat sie gelitten?“Buschmann musste die Frage leider bejahen. „Ich habe kurz zuvor im Saal ja auch eine Dreivierte­lstunde genau erzählt, warum das so war. Das Schlimme an der Rechtsmedi­zin sind nicht die Toten, das sind die Lebenden – nämlich solche Momente.“

„Das Schlimme an der Rechtsmedi­zin sind nicht die Toten, das sind die Lebenden.“

Rechtsmedi­ziner Claas Buschmann

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FOTO: FRANK MOLTER/CPA Claas Buschmann, stellvertr­etender Leiter des Instituts für Rechtsmedi­zin am Universitä­tsklinikum Schleswig-Holstein, hat mit seiner Arbeit geholfen, Mörder und Versicheru­ngsbetrüge­r zu überführen.

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