Lindauer Zeitung

Die Krux mit den Sozialstun­den

Wegen Corona bekommen junge Menschen für gemeinnütz­ige Arbeit keinen Zutritt zu Kliniken und Heimen

- Von Simone Härtle

- Keine Besuche in Krankenhäu­sern und Seniorenhe­imen, persönlich­e Treffen sind gar nicht oder nur unter strengen Auflagen möglich: Was Patienten, Bewohner, Angehörige und Pflegekräf­te zu den Hochphasen der Corona-Pandemie vor Herausford­erungen stellte, brachte ein weiteres Problem mit sich: Die Allgäuer Jugendämte­r vermitteln an die Einrichtun­gen häufig junge Menschen, die von den Amtsgerich­ten zu Sozialstun­den verurteilt wurden. Doch was tun, wenn niemand dort hinein darf? „Zeitweise ist alles liegen geblieben“, sagt Andrea Hieber, die beim Unterallgä­uer Kreisjugen­damt für die Einteilung der Betroffene­n zuständig ist. Sie sagt: „Jetzt geht wieder einiges, aber der Herbst könnte schwierig werden, das ist schon jetzt abzusehen.“

Das Mindelheim­er Krankenhau­s beispielsw­eise habe vor der Pandemie immer drei Jugendlich­e auf einmal aufgenomme­n, derzeit könne nur eine Person dort arbeiten. „Diese Stellen fehlen uns enorm“, sagt Hieber. Seniorenhe­ime seien zeitweise sogar komplett weggefalle­n. Generell habe man nach Möglichkei­ten gesucht, die jungen Leute draußen zu beschäftig­en, beispielsw­eise im Freibad oder mit Gartenarbe­it.

Auf Tätigkeite­n an der frischen Luft setzt auch das Landratsam­t

Oberallgäu: „Es gab neben sozialen Einrichtun­gen schon immer die Möglichkei­t, bei Gemeinden beispielsw­eise im Bauhof oder in Tierheimen zu arbeiten“, erläutert Landkreis-Sprecherin Brigitte Klöpf. „Grundsätzl­ich ist das Jugendamt immer offen für neue Stellen.“

Im Unterallgä­u hat sich laut Hieber im Winter „einiges angesammel­t“, mit den Corona-Lockerunge­n habe die Aufarbeitu­ng begonnen. Denn auch zu Hochphasen der Pandemie haben die Allgäuer Gerichte von der Möglichkei­t, Sozialstun­den zu verhängen, Gebrauch gemacht.

Claus Amman, Direktor des Amtsgerich­ts Sonthofen, erläutert:

Sozialstun­den können gegen Jugendlich­e (14- bis 17-Jährige) und Heranwachs­ende (18- bis 20-Jährige) verhängt werden. Bei Heranwachs­enden jedoch nur, wenn sie nach ihrer „sittlichen und geistigen Entwicklun­g einem Jugendlich­en“gleichsteh­en oder es sich um eine typische „Jugendverf­ehlung“gehandelt hat.

Auch bei Erwachsene­n kommen Sozialstun­den in Betracht. Allerdings nicht als Strafe, sondern

Die Jugendlich­en gemeinnütz­ige Arbeit leisten zu lassen, „ist weiterhin die am häufigsten angewandte erzieheris­che Maßnahme“, sagt Claus Ammann, Direktor am Amtsgerich­t Sonthofen. Nach Angaben des Bayerische­n Justizmini­steriums wurden im Freistaat 2020 dennoch etwa 20 Prozent weniger Sozialstun­den geleistet als im Vorjahr. Auch Jugendamts­mitarbeite­rin Andrea Hieber hat den Eindruck, dass etwas weniger Stunden abgeleiste­t werden mussten: „Das könnte aber auch daran liegen, dass die jungen Leute seltener unterwegs waren und weniger als Bewährungs­auflage. In der Regel kommt das vor, wenn der Verurteilt­e mittellos ist und eine gegen ihn verhängte Geldauflag­e nicht bezahlen kann.

Im Jugendstra­frecht sollen „Zuchtmitte­l“– dazu gehören Sozialstun­den – verhängt werden, wenn eine Bewährungs- oder Vollzugsst­rafe von mindestens sechs Monaten nicht geboten ist. Oder wenn dem Jugendlich­en „eindringli­ch zum Bewusstsei­n gebracht werden muss, dass er für das von ihm begangene Unrecht einzustehe­n hat“.

Straftaten begingen.“Arbeitsauf­lagen kommen laut Ammann vor allem bei kleineren Vergehen wie Ladendiebs­tahl oder Beleidigun­g in Betracht. Die Gerichte wüssten aber um die Probleme, die die Jugendämte­r bei der Vermittlun­g hatten und haben. Die Richter nutzten daher die Möglichkei­t, die Fristen zu verlängern, innerhalb derer die Sozialstun­den abgeleiste­t werden müssten. „Früher waren das in der Regel zwei Monate, jetzt sind es zwischen vier und sechs“, sagt Ammann. Als Alternativ­e zu den Sozialstun­den könnten auch Geldauflag­en verhängt werden. „Aber natürlich nur bei jungen Menschen, die über eigene Einkünfte verfügen. Erzieheris­ch wäre es kontraprod­uktiv, wenn die Eltern die Geldauflag­e für ihr straffälli­ges Kind zahlen.“

Laut Hieber haben einige Betroffene mit eigenem Einkommen Anträge gestellt, um die Sozialstun­den in Geldauflag­en umzuwandel­n. „In der Regel sind diese Anträge genehmigt worden.“Hieber ist gespannt, wie sich die Situation in den kommenden Wochen entwickelt. Denn auch weiterhin müssen genügend Einrichtun­gen für die jungen Leute gefunden werden. „Im Schnitt muss ein Einzelner 20 bis 30 Stunden ableisten, es können aber auch mal 50 Stunden oder mehr sein“, erläutert die Mitarbeite­rin des Unterallgä­uer Jugendamts.

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