Lindauer Zeitung

84-jährige fährt 920 Kilometer mit dem Rad

Wie Gretl Montag aus Amtzell in 13 Etappen den Ort Straupitz im Spreewald erreichte

- Von Susi Weber

- Was tun, wenn man gerne reist, Corona ist und man trotzdem gerne in die Ferne möchte? Gretl Montag aus Amtzell hatte eine Idee, wenn auch für ihr Alter etwas ungewöhnli­che: Sie besuchte ihre Tochter im Spreewald. Mit dem Fahrrad. 920 Kilometer standen am Ende zu Buche – und ein kleines Abenteuer mit vielen schönen Begegnunge­n.

„Ich bin eigentlich eine reisefreud­ige Frau“, erzählt Gretl Montag. Mit ihrem Mann war sie früher viel mit dem Wohnmobil unterwegs, später hat die Witwe nahezu jedes Jahr eine Flugreise mit einer Freundin gemacht. Doch dann kam Corona.

Mit den ersten Lockerunge­n kam Gretl Montag auch ein Gedanke: „Irgendwas wollte ich wagen.“Eine der vier Töchter wohnt im Spreewald: „Sie sagte mir, sie bringt mich wieder zurück nach Hause, wenn ich sie besuchen komme.“

Die Idee mit dem Rad reifte. Die begeistert­e Radlerin nahm sich einen Atlas und zeichnete sich die Strecke ein. Enkel Korbinian suchte via PC eine Radstrecke heraus und lud ihr auch entspreche­nde Apps aufs Handy.

Zugleich machte sich Gretl Montag Notizen über die Orte, durch die sie fahren wollte. „Ich habe mit der Familie gesprochen und gesagt, was ich vorhabe. Von allen hatte ich die Zusage, dass sie mich holen kommen, sollte etwas passieren.“Drei der acht Enkel leben in Leipzig. Auch sie wollte Gretl Montag besuchen. Mitte Juni ging es los. Direkt vor der Haustüre, am Altenheim St. Gebhard: „Ich habe mir vier Wochen vorgenomme­n. Reine Fahrzeit hatte ich 13 Tage“, erzählt Gretl Montag. Tag eins führte die rüstige Rentnerin bis Ulm: „Dort habe ich bei meiner Schwägerin übernachte­t und erst einmal einen Tag Pause eingelegt.“Im Schnitt bewältigte Gretl Montag zwischen 70 bis 75 Kilometer je Tag. Über Monheim, Pleinfeld, Nürnberg ging es weiter nach Creußen und in Richtung Norden. „In Nürnberg habe ich durch die Stadt mal das Navi eingeschal­tet“, sagt Montag.

Ihre Schlafstät­ten suchte die 84-Jährige immer gegen 17 Uhr spontan, sofern sie nicht bei Verwandten oder Freunden unterkam: „In Creußen entdeckte ich ein Hotel, in dem aber alles zu gewesen ist.“

Die Aussage, dass alles voll sei, akzeptiert­e sie nicht: „Ich habe häufiger auf der Reise mit meinem Alter kokettiert und fragte, ob es nicht doch noch irgendwo ein Plätzchen gibt.“Schließlic­h landete sie auf dem Sofa einer älteren Dame. In Blankenste­in, im thüringsch­en Saale-Orla-Kreis, hatte Gretl Montag ihr nach eigenem Bekunden schönstes Erlebnis: „Ich habe in einem ebenfalls geschlosse­nen Hotel doch noch ein Zimmer bekommen und war der einzige Gast. Der Wirt kam morgens extra wegen mir ins Hotel – und ich bekam ein Frühstück vom Feinsten.“

Von dort aus gönnte sich die rüstige Amtzelleri­n eine Zugfahrt bis nach Saalfeld: „Ab da ist der Saaleradwe­g sehr schön.“Auch aus Naumburg, jenem Ort, an dem Gretls Montag auf der Flucht 1945 ihren achten Geburtstag gefeiert hat, nahm sie gute Erinnerung­en mit: „Mein Geburtstag­sgeschenk war damals ein Zwieback mit Zucker, was sehr schön war und in Erinnerung blieb. Nun wollte ich mich bei der Touristiki­nformation nach einer Straße erkundigen, die im damaligen Anmeldefor­mular stand.“

Die Straße wurde zwischenze­itlich umbenannt und war nicht mehr zu finden, aber auch in Naumburg hatte Gretl Montag angenehme Gespräche.

Von Naumburg aus wurde die Amtzelleri­n von ihrer Enkelin Katja und deren Baby mit dem Rad abgeholt und es wurde gemeinsam nach Leipzig geradelt. Dort gönnte sich Gretl Montag ein paar Ruhetage. Von Leipzig aus wurde Gretl Montag von ihren Enkelinnen Katja und Barbara die 170 Kilometer bis nach nach

Straupitz begleitet. Dort wurde sie dann mit einem Schild begrüßt. „Ziel“stand dort. Das „Ziel Amtzell“erreichte sie nach dem Urlaub mit dem Auto – gemeinsam mit der Tochter.

Geradelt ist Gretl Montag immer schon gerne: „Mein Mann und ich sind vor einigen Jahren nach Wien und zurück und auch nach Bonn und zurück geradelt.“Dass sie fürs Radfahren eine solche Leidenscha­ft hegt, kommentier­t sie selbst mit einem Schmunzeln und den Worten: „Wenn der liebe Gott gewusst hätte, dass ich so gerne Fahrrad fahre, hätte er mir wahrschein­lich Räder statt Füße gegeben.“Auch zu ihrem Bruder nach Eglofs fährt die Amtzelleri­n regelmäßig, seit etwa zehn Jahren übrigens mit einem E-Bike.

Jetzt, auf ihrer Reise in den Spreewald, hat sich Gretl Montag nicht gescheut, auch einfach einmal an Haustüren zu klingeln und nach Wasser zu fragen. Überrascht war sie auch, wie gut die Radwege ausgeschil­dert sind. Dennoch gab es ab und an auch Irrwege: „In Jena gab es eine Umleitung. Nach einer halben Stunde dachte ich: Da war ich doch schon mal… .“

Einmal rutschte sie aus und fiel: „Die anschließe­nde Knieschwel­lung war zwar etwas dumm, ich habe die Tour aber trotzdem fortgesetz­t.“

Wie ihre Bilanz ausfällt? „Ich hatte Wetterglüc­k und habe viele sehr nette Leute getroffen“, antwortet Gretl Montag. Öfters habe sie sich auch einfach auf eine Bank gesetzt, im mitgenomme­nen Buch gelesen, etwas getrunken oder gevespert oder auch einfach in eine Wiese gelegt und den Moment genossen.

Ihre Erlebnisse hat sie in einer Art Tagebuch festgehalt­en. Immer zur Mittagspau­se und am Abend habe sie sich in der Familien-WhatsappGr­uppe gemeldet – und Bescheid gegeben, wo sie sich gerade befand. Sehr viel ruhiger wird es für Gretl Montag im Übrigen auch in den nächsten Tagen nicht werden. Denn in der kommenden Woche geht Montag, die „normalerwe­ise 2000 Kilometer im Jahr“auf dem Rad verbringt und auch das Fotografie­ren zu ihren Hobbys zählt, mit dem Schwäbisch­en Albverein zur Wanderwoch­e in den Harz. Auto fährt Gretl Montag auch mit 84 Jahren immer noch: „Aber nur, wenn ich Größeres transporti­eren muss – oder schlechtes Wetter ist.“

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FOTO: PRIVAT Gretl Montag aus Amtzell war mit ihrem Pedellec mehr als 900 Kilometer unterwegs. Am Ende erreichte sie ihr Ziel, den Spreewald.

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