Der Traum und die harte Wirklichkeit
Mentoren wollen Auszubildenden in der Pflege über Zweifel und Krisen hinweghelfen
(epd) Kristina Pinther ist Pflegerin, Simon Bayer leitete ein diakonisches Pflegeheim. Seit einem Jahr engagieren sich beide in dem damals neu gestarteten Mentorenangebot für Pflegeschüler des Bayerischen Landesamts für Pflege. Eine Ausbildung in der Pflege ist nämlich nicht nur anstrengend, sondern mitunter richtig frustrierend: Pflege-Azubis können das, was sie in der Schule lernen, in der Praxis oft nicht anwenden. Meist, weil Zeit fehlt.
Dieser „Theorie-Praxis-Gap“wurde inzwischen mehrmals von den bislang 30 beratenen Azubis angesprochen, sagt Simon Bayer. Eine Auszubildende etwa hatte in der Schule gelernt, dass man alte Menschen am besten mit einem Lifter lagert. Das wollte sie auch an ihrer Ausbildungsstelle tun. Doch es war keine Zeit, den Lifter zu holen. Für die junge Frau stellte dies ein Problem dar. Wie sollte sie lernen, den Lifter richtig zu nutzen, wenn sie ihn mangels Zeit im Alltag nicht einsetzen kann?
In keiner Ausbildung läuft immer alles wie geplant. Meist stellt sich bereits im ersten Lehrjahr heraus, dass der vermeintliche Traumjob ganz anders ist, als man sich das vorgestellt hat. Fast jeder vierte Azubi bricht seine Lehre ab. In der Pflege waren es laut Bayerischen Pflegeministerium 2019 knapp 30 Prozent. Das ist zwar nicht viel mehr als im Durchschnitt aller Ausbildungsberufe. Allerdings stieg die Zahl der Abbrüche in der Pflege in den vergangenen zehn Jahren laut Kristina Pinther deutlich an.
Das hat mehrere Gründe. Als Pflegekraft sei man immerzu mit Krankheit, Leid, Sterben und Tod konfrontiert. Wobei es auch viel weniger dramatische Probleme gibt, die Jugendliche schwer belasten können. „Mein längstes Beratungsgespräch hatte ich mit jemandem, der große Schwierigkeiten mit seinen Klassenkameraden hatte“, schildert Simon Bayer. Drei Stunden. Doch häufig hilft den Azubis auch schon ein kleiner Tipp. Viele Telefonate dauern deshalb nicht länger als eine Viertelstunde.
Läuft zu viel schief, ist irgendwann das Maß voll. Dann hängt die Ausbildung am seidenen Faden. Noch mussten die Pflegementoren keine jungen Leute beraten, bei denen die Lehre ernsthaft auf der Kippe stand. Dies liegt sicher auch daran, dass das Angebot auch ein Jahr nach dem
Start aufgrund der Corona-Krise in Bayern noch kaum bekannt ist. Die inzwischen sechs Pflegementoren können nicht vor Ort für sich werben. Statt nur zu beraten, entwickeln sie aktuell Workshops.
Kristina Pinther sagt, es sei nicht gut, wenn in der Öffentlichkeit ausschließlich auf die Probleme in der Pflege hingewiesen wird. Natürlich dürfe man die nicht vertuschen, so die 33-Jährige. Doch wenn nur die Schattenseiten dargestellt werden, habe natürlich niemand mehr Lust, in die Pflege einzusteigen. Dabei, so ihr Kollege Simon Bayer, ist der Pflegeberuf sehr erfüllend. Auch Heim- und Klinikleiter bestätigen, dass der Mangel an Azubis nicht zuletzt am nicht optimalen Pflege-Image liegt.
Das negative Image bestätige sich für viele allerdings meist rasch nach dem Einstieg in den Beruf. „Die Kluft zwischen Theorie und Praxis ist zu groß“, sagt Michael Bauch, Betriebsratsvorsitzender
Michael Bauch, Betriebsratsvorsitzender des
Klinikums Würzburg-Mitte
des Klinikums Würzburg-Mitte. Wegen Personalmangels hätten Pflegende zudem oft das Gefühl, dass das, was sie tun, nie genüge. Auch dies kann die Freude an der Ausbildung trüben. Der Staat müsse für eine bessere Personalausstattung sorgen, um den Nachwuchsmangel zu beheben.
Das gilt für die Pflege in der Klinik ebenso wie für die Pflege in den Einrichtungen der Seniorenhilfe. Dass die Abbrecherquote in diesem Bereich besonders hoch ist, bestätigt Ulrike Hahn, die bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Unterfranken für den Bereich „Senioren“verantwortlich ist. 15 Pflegeeinrichtungen betreibt der Sozialverband in der Region. Rund 50 junge Leute beginnen hier pro Jahr ihre Ausbildung: „Meist bleiben am Ende nur um die 30 übrig“, erläutert Ulrike Hahn.
Wer sich irgendwo auf einer Party als Pflegekraft oute, ernte oft Bewunderung.
Noch öfter allerdings Mitleid: „Warum tust du dir das an!“Auch das motiviere nicht. Nicht selten flüchten die Teenager bereits in der Probezeit aus der Lehre, sagt Helena Armbrecht von der Diakonie Bayern. Schon in den ersten Wochen werde die beträchtliche Kluft zwischen der schönen Vorstellung vom Traumjob und der harten Realität oft spürbar.
Auch sehr gewissenhafte Teenager, die das Für und Wider einer Pflegeausbildung vorab sorgfältig abgewogen haben, sind höchst überrascht von dem, was sie in der Praxis erleben. Fast alle leiden darunter, das sie nie genug Zeit für das haben, was die Schule als „gute Pflege“vermittelt hat. „Die Diakonie unterstützt mit Mitteln der Landeskirche Projekte zur Entlastung von Pflegepersonal durch den Einsatz von Springern“, erläutert Helena Armbrecht. Zumindest ein Anfang.
Ulrike Hahn, AWO Unterfranken. Rund 50 junge Leute beginnen dort
pro Jahr eine Pflege-Ausbildung
„Die Kluft zwischen Theorie und Praxis ist
zu groß.“
„Meist bleiben am Ende nur um die 30
übrig.“