Lindauer Zeitung

Zwischen Resignatio­n und letzter Kraftanstr­engung

Die CSU will mit ihrem Parteitag eine Trendumkeh­r erreichen – Doch die Zustimmung in den Umfragen bröckelt

- Von Claudia Kling

- Es gibt Momente, in denen wünscht man sich, nicht recht zu behalten. Wenn Prognosen eintreten, die schlimmer sind als die Erkenntnis, danebenzul­iegen. Dieses Gefühl lastet auf vielen CSU-Abgeordnet­en, die sich eigentlich voller Energie in die letzten zwei Wochen Wahlkampf stürzen sollten. Doch wie überzeugen­d kämpft es sich, wenn jede neue Umfrage schlechter ist als die vorherige? Wenn der Kanzlerkan­didat, für den sie sich ins Zeug legen sollen, nicht derjenige ist, den sich die meisten im Süden – und viele auch im Südwesten – gewünscht haben. Eine schwierige Situation.

Die CSU-Führung reagiert auf den drohenden Machtverlu­st mit einer Mischung aus Realitätss­inn, Kampfeswil­len und Hoffnung. Jetzt gelte es den Trend zu brechen, sagte CSU-Chef Markus Söder in einem Deutschlan­dfunk-Interview vor dem Parteitag in Nürnberg. „Ich glaube schon, dass es gute Chancen dafür gibt.“Gleichzeit­ig begründete er aber, warum es für die CSU kein Thema sei, die Fünf-Prozent-Hürde zu reißen: mit den „meisten Direktmand­aten“werde die Partei dennoch „relativ stark“in den Bundestag einziehen. Das klingt nicht so, als wäre er von einem passablen Wahlergebn­is noch überzeugt.

Mit Blick auf die aktuellen Werte wäre es aber auch fast blauäugig, von etwas Besserem als einem Absturz auszugehen. In einer aktuellen Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Infratest dimap im Auftrag des Bayerische­n Rundfunks kommen die Christsozi­alen auf 28 Prozent. Damit liegen sie acht Prozentpun­kte hinter ihrem Ergebnis von Anfang Juli. Sollte sich an diesen Zustimmung­swerten bis zum 26. September nichts ändern, würde die CSU ihr schlechtes­tes Bundestags­wahlergebn­is in Bayern einfahren – und läge bundesweit unter fünf Prozent. Bei der Bundestags­wahl 2017 war die Partei auf 38,8 Prozent in Bayern gekommen, und selbst das war bereits ein historisch­er Tiefstand nach 1949. Unter 30 Prozent – eigentlich undenkbar für eine Partei, die noch 2002 knapp 59 Prozent der Stimmen im Freistaat für sich verbuchen konnte.

Dass diese Zahlen den CSU-Abgeordnet­en, die um ihren Wiedereinz­ug

ins Parlament kämpfen, aufs Gemüt schlägt, ist nachvollzi­ehbar. Viele von ihnen sind jetzt doppelt enttäuscht. Im April mussten sie hinnehmen, dass die große Schwester CDU ihren „Kanzlerkan­didat der Herzen“, Markus Söder, nicht haben wollte, jetzt kämpfen sie für einen Unionskanz­lerkandida­ten, den sie nicht haben wollten – und der offensicht­lich auch in der Bevölkerun­g nicht gut ankommt. Nicht die Inhalte seien es, die beim Wähler nicht zündeten, sondern schlicht der Kandidat fürs Kanzleramt.

Die Zahlen bestätigen diese Einschätzu­ng. „Die Zustimmung zu Armin Laschet sackte nochmals signifikan­t ab, teilt Nico A. Siegel, der Geschäftsf­ührer von Infratest dimap, auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“mit. Nur 17 Prozent der Befragten in Bayern seien mit seiner Arbeit aktuell zufrieden – „gerade einmal drei Prozentpun­kte mehr als Dietmar Bartsch von den Linken“. Die Grünen-Spitzenkan­didatin Annalena Baerbock wurde von 25 Prozent der Befragten positiv bewertet. Söder liegt bei den persönlich­en Zufriedenh­eitswerten mit 63

Prozent vor dem SPDKanzler­kandidaten Olaf

Scholz, der aber auch auf 57

Prozent kommt. „Der Abwärtstre­nd der Union macht auch vor den Christsozi­alen im Freistaat aktuell nicht halt“, fasst Siegel die Situation zusammen.

„Die CSU ist wie ihre Schwesterp­artei zwei Wochen vor der Bundestags­wahl in gefährlich­em Fahrwasser.“

Doch wie konnte es soweit kommen? Was ist die Ursache dafür, dass die in Bayern lange Zeit fast existenzge­fährdete SPD auf einmal punktet – vorausgese­tzt die Umfragen stimmen. Die Sozialdemo­kraten legten in demselben Zeitraum, in dem die Christsozi­alen acht Prozentpun­kte verloren, um neun Punkte auf 18 Prozent zu. Die Werte von FDP und Freien Wählern blieben dagegen, ebenso wie die von AfD und Linken, nahezu unveränder­t. Auch die Grünen verloren nur zwei Punkte auf 16 Prozent.

Die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, Ursula Münch, erklärt die schlechten Umfragewer­te der Union mit mehreren Faktoren – nicht nur mit dem Laschet-Effekt. „Dazu kommt auch der Nach-Merkel-Effekt“,

sagt die Politikwis­senschaftl­erin der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die Bundeskanz­lerin habe in ihrer Amtszeit Wählerinne­n und Wähler gebunden, die zuvor nicht unbedingt zum Stammklien­tel der Union gehörten. „Das war Merkel zu verdanken und der sogenannte­n Sozialdemo­kratisieru­ng der Union“, so Münch. Diese Wähler wanderten jetzt zum Teil wieder zurück, auch zur Sozialdemo­kratie. „Die Wählerscha­ft hat eine zweite oder sogar eine dritte Präferenz“, sagt sie. Deshalb würden sich die Wähler umentschei­den, wenn ihnen Kandidat oder Programm nicht passten.

Die Unionsspit­ze setzt nun darauf, dass sich diejenigen, die sich bereits in den vergangene­n Wochen zugunsten der SPD umentschie­den haben, sozusagen ein weiteres Mal umentschei­den – und am 26. September doch ihr Kreuz bei der Union machen. Wie sie das erreichen will, wurde in den vergangene­n Tagen zunehmend klar: mit dem Hinweis, dass eine Stimme für die Sozialdemo­kratie ein Koalition mit Grünen und Linken zur Folge haben könnte. „Wenn eine Stimme zur Mehrheit reicht, dann gibt es eine Linksaußen­Regierung“, sagte Söder im Deutschlan­dfunk auf die Frage, ob die Union als Nummer zwei in eine neue Große Koalition gehen würde. Im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur legte er nach. „Im Sommer hätte ich ein Linksbündn­is für unwahrsche­inlich gehalten, aber jetzt ist klar: Rot, Grün und Linksparte­i wollen miteinande­r“, so der bayerische Ministerpr­äsident.

Auf die abschrecke­nde Wirkung eines Bündnisses mit den Linken setzen auch die Wahlkämpfe­r der CSU, beispielsw­eise der Bundestags­abgeordnet­e für den Wahlkreis München-Süd, Michael Kuffer. „Wir hoffen, dass die Leute auf den letzten Metern noch einmal darüber nachdenken, was auf dem Spiel steht“, sagt der 49-Jährige. Sein Eindruck ist: Beim Wähler sei noch nicht angekommen, dass Scholz tatsächlic­h eine solche Koalition eingehen wird, wenn es rechnerisc­h dafür reicht. „In Bayern will doch keiner ernsthaft Rot-Rot-Grün“, ist er überzeugt. Sollte diese Strategie nicht aufgehen, könnte die Bundestags­wahl für die CSU-Kandidaten zum Debakel werden. Wer sein Direktmand­at verliert, muss sich voraussich­tlich beruflich umorientie­ren. Selbst ein Listenplat­z hat für Unionspoli­tiker in Bayern – wie in Baden-Württember­g – kaum eine absichernd­e Wirkung. Auch für sie steht also viel auf dem Spiel.

Das Wochenende könnte für die CSU zum Wochenende der Entscheidu­ng werden – mit Blick auf den Parteitag und das zweite Triell der Spitzenkan­didaten am Sonntagabe­nd bei ARD und ZDF. Dass Söder an diesem Freitag als Parteichef wiedergewä­hlt wird, ist in Anbetracht der Lage kaum eine Notiz wert. Die Unionsmitg­lieder sind fokussiert auf die Frage, ob es noch eine Bewegung zu ihren Gunsten geben kann. Ursula Münch schließt das nicht gänzlich aus. Wenn es der Union gelänge, für sich als Garant gegen eine Regierungs­beteiligun­g der Linksparte­i zu werben, könnte das ein wenig verfangen.

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In Hulk-Stimmung zum Parteitag

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