Nicht ganz gebacken
Na, wollen Sie Ihren Laden eigentlich nicht mal wieder aufmachen?“Wer eine allwöchentliche Zeitungsrubrik schreibt und sich im Sommer eine verdiente Auszeit gönnt, muss auf solche spöttischen Fragen gefasst sein. Die Antwort lautet: Der Laden ist wieder offen – und wird gleich selbst zum Thema.
Auch ein Allerweltswort wie Laden hat seine Geschichte. Verwandt ist es mit Latte, und schon im Mittelhochdeutschen war es ein Synonym für Brett oder Bohle. Weil aber Fenster abends mit Brettern verschlossen wurden, bürgerte sich der Begriff Fensterladen ein. Und darauf geht auch der Laden im heutigen Sinn von Geschäft zurück. Auf manchen Bildern des Mittelalters wird der Hintergrund klar: Da sieht man Häuser mit quer geteilten Fensterläden im Erdgeschoss, bei denen der nach oben geklappte Teil als Schutzdach diente, der untere in die Waagrechte gekippte als Warenauslage – für Stoffe, Schmuck oder Töpferwaren, für Fleisch, Gemüse und vor allem für das tägliche Brot. So bürgerte sich auch der morgendliche Gang zum Bäckerladen ein – mit dem Unterschied, dass wir heute in diesen Laden auch hineinkönnen und mit dem Bäcker unseres Vertrauens plaudern. Zum Beispiel über Zitate und Redensarten rund um sein ehrenwertes Handwerk.
Gewaltig ist die spirituelle Bedeutung, die dem Brot als wichtigstem Grundnahrungsmittel quer durch die Kulturen zugemessen wird. Um das tägliche Brot bittet man Gott im Vaterunser, und deswegen reden wir auch vom täglichen Brot, das es zu verdienen gilt – wenn man es nicht sogar im Schweiße seines Angesichts essen muss, wie der arme Adam schon in der Genesis leidvoll erfährt. Sprichwörtlich wurde auch die erste elegische Zeile aus einem Gedicht in Goethes „Wilhelm Meister“-Roman: Wer nie sein Brot mit Tränen aß... Weil sie selten zitiert wird, hier die Fortsetzung: …wer nie die kummervollen Nächte / auf seinem Bette weinend saß, / der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte. Auch Verse aus Ludwig Uhlands Gedicht „Der wackere Schwabe“über Kaiser Rotbarts Fahrt ins Heilige Land passen hierher: Daselbst erhob sich große Not, / viel Steine gab’s und wenig Brot.
Über den Rest jenes martialischen Poems – Stichwort: zur Rechten sieht man wie zur Linken…, schweigen wir jetzt lieber und wenden uns harmloseren Redewendungen zu. Wenn jemand kleinere Brötchen backt, so hat er zurückstecken müssen. Ein anderer hat vielleicht das Glück, dass etwas weggeht wie warme Semmeln. Obwohl dieser Ausdruck Semmel für Brötchen vor allem in Bayern üblich ist, flitzen Rennsemmeln – sprich: flotte Kleinwagen – deutschlandweit herum. Und überall regen sich – nicht ohne Grund – Frauen auf, wenn irgendwelche Machos Gebäckstücke bemühen und von ihrer aufgebrezelten Gespielin als „meine Zuckerschnecke“schwärmen oder aber despektierlich von einer Dampfnudel reden, nur weil ein anderes weibliches Wesen noch nicht die passende Diät gefunden hat.
Wir wollen den Wahlkampf nicht vergessen. Der Eindruck, dass es gewisse Politiker und Politikerinnen – so viel Gender muss hier sein – nicht gebacken kriegen, drängte sich in der letzten Zeit leider recht häufig auf. Manche meinen gar, einige Exemplare dieser Spezies seien nicht ganz gebacken. Wie auch immer: Warten wir den 26. September ab. Dann wissen wir, ob wir – je nach politischer Präferenz – künftig unser Brot mit Tränen essen oder nicht.
Wenn Sie Anregungen zu Sprachthemen haben, schreiben Sie! Schwäbische Zeitung, Kulturredaktion,
Karlstraße 16, 88212 Ravensburg