Lindauer Zeitung

So ist Engelbert Blessing

Alle bekommen dieselben Fragen – So schlägt sich der Direktkand­idat der Partei Die Linke

- Von Grischa Beißner

- Vor der Bundestags­wahl stellt die Lindauer Zeitung die Direktkand­idaten der großen Parteien für den Wahlkreis Oberallgäu vor, zu dem auch Lindau gehört. Um sie miteinande­r zu vergleiche­n, haben alle sieben Kandidaten von CSU, SPD, den Grünen, der Partei Die Linke, der AfD, der FDP und den Freien Wählern dieselben Fragen gestellt bekommen. So hat Engelbert Blessing, Direktkand­idat der Partei Die Linke, geantworte­t.

Welche Erfahrung hat Ihr Leben nachhaltig verändert?

„Mein Afghanista­neinsatz. Ich bin nach meiner Zimmererau­sbildung zehn Jahre bei der Bundeswehr gewesen und war sechs Monate davon in Afghanista­n. Die Zeit hat mich sehr geprägt. Ich hatte sehr viel Kontakt zur Zivilbevöl­kerung, den Hilfskräft­en der Vereinten Nationen und auch mit der afghanisch­en Armee und Polizei. Die enorme Leistung der Zivilbevöl­kerung, die immer Angst haben muss, am nächsten Tag nicht mehr da zu sein oder Verwandte zu verlieren, hat mich sehr beeindruck­t. Ebenso die der Hilfskräft­e, die jeden Tag in einer sehr schweren Sicherheit­slage dafür arbeiteten, dass es den Menschen besser geht. Jetzt zu sehen, wie die Taliban das Land erobert haben, das ist eine Katastroph­e. Wir können sicher sein, dass in diesem Augenblick dort Menschen selektiert und getötet werden. Und wir haben das mit diesem völlig übereilten Abzug zugelassen. Als die erste Verlautbar­ung zum Abzug kam, war sich jeder bewusst, dass alle, die mit der „falschen“Seite in Kontakt waren, durch die Taliban gerichtet werden. Wir haben da vieles falsch gemacht und speziell Innenminis­ter Seehofer hat mich entsetzt, als er gesagt hat, dass zu seinem 69. Geburtstag 69 nach Afghanista­n abgeschobe­ne Menschen ein tolles Geschenk seien. Das ist so menschenve­rachtend. Ich weiß nicht, wo diese Aussage hingehört, aber definitiv nicht in den Mund eines gestandene­n Politikers.“

Welche neuen Eigenschaf­ten haben Sie während der Corona-Pandemie an sich entdeckt?

„Ich habe in einem gewissen Maße eine höhere Toleranz gegenüber Schwachsin­n entwickelt. In der Pandemie hat sich jeder plötzlich zum Experten erklärt und meint, sich mit allem besser auszukenne­n als richtige Wissenscha­ftler. Aber ich habe das Gefühl, ich ertrage das inzwischen besser.“

Sind Sie ein Morgen- oder ein Abendmensc­h?

„Ich bin ein Abendmensc­h. Ich kann Abends und Nachts definitiv besser arbeiten und brauche morgens manchmal ein bisschen, um aus dem Bett zu kommen. Wenn ich aufstehen muss, geht das wunderbar, aber wenn ich nicht muss, beispielsw­eise bei einem Gleitzeitj­ob, dann verschiebt sich das zum Abend hin, da bin ich produktive­r.“

Was ist der größte Luxus, den Sie sich je gegönnt haben?

„Ich bin jemand, der eher auf finanziell­e Sicherheit baut. In meiner Ausbildung­szeit habe ich von sehr wenig Geld gelebt und mir oft überlegt, wie ich ohne Benzin zur Arbeit komme oder was ich noch esse, wenn es nur noch für ein paar Nudeln reicht. Jetzt, wo es mir besser geht, versuche ich nicht mehr so sehr aufs Geld zu achten und mir etwas zu gönnen. Ich finde, es wird in unserer Gesellscha­ft viel zu viel Wert auf persönlich­en Reichtum gelegt. Klar, jeder ist auf Geld angewiesen – und hat man keines, hat man es in der Gesellscha­ft unheimlich schwer. Aber dass jeder so verbissen ist, vermögend zu werden, das versuche ich zu vermeiden. Und das ist mein kleiner Luxus.“

Wie lange mussten Sie überlegen, ob Sie sich gegen Corona impfen lassen?

„Ich musste lange überlegen. In meiner Familie gab es einen Impfschade­n bei einer Impfung, die in einem lebenslang­en Pflegefall resultiert­e. Das hat mich schon sehr geprägt. Aber mir ging es da einfach um eine Sicherheit­sabwägung. Und als ich mich versichern konnte, dass das Prozedere der Impfstoffz­ulassung tatsächlic­h nur beschleuni­gt wurde und nichts weggelasse­n worden ist, war das für mich erledigt und ich habe mich impfen lassen.“

Was war Ihr Antrieb, in die Politik zu gehen?

„Jeder schimpft immer über die Politik und dass sich nichts ändert, aber machen tut keiner was. Mit meiner Erfahrung in Afghanista­n wollte ich das nicht länger so hinnehmen. Wir hatten eine Ortskraft, einen Übersetzer. Der war die ganzen sechs Monate an unserer Seite und hat uns sehr geholfen. Nach dem Einsatz hatte ich noch mit ihm Kontakt und habe so erfahren, dass seine Familie bedroht wird, aber er keine Chance hat, nach Deutschlan­d zu kommen. Ich habe versucht, da etwas zu erreichen. Aber auch bei der deutschen Botschaft in Kabul bin ich nur auf blanke Ablehnung gestoßen. Keiner wollte da irgendetwa­s machen. Doch die Leute vor Ort führen nur das aus, was Ihnen von hier aus verordnet wird. Und ich möchte, dass diese unmenschli­che Haltung der Politik anders wird. Inzwischen weiß ich nicht, ob er überhaupt noch lebt. Und ich finde es schrecklic­h, wenn ich daran denke, was er alles für uns getan hat – und man ihn dann so im Stich lässt. Solche Leute dazulassen, ist ein Todesurtei­l. Nicht nur für ihn, sondern für seine ganze Familie.“

Welcher Punkt aus dem Wahlprogra­mm der Linken ist der wichtigste für Sie?

„Ich bin nicht sicher, ob sich das auf einen Punkt beschränke­n lässt, weil so vieles zusammenhä­ngt. Wir haben in den letzten Jahren versucht, unser ökologisch­es Profil zu schärfen und auf Nachhaltig­keit hinzuarbei­ten. Das Klima ist eines der dringendst­en Probleme, die wir haben. Aber wir Linke verknüpfen das immer mit der sozialen Frage. Man muss immer darauf achten, ob sich Menschen das leisten können. Es ist nicht die Frage, ob man es macht, oder nicht macht, denn wir müssen diesen ökologisch­en Umbau unbedingt schaffen – aber man muss die Menschen, die jetzt schon abgehängt sind, mitnehmen.“

Gibt es auch Punkte, mit denen Sie über Kreuz liegen?

„Über Kreuz nicht. Als Soldat bin ich in der Minderheit in der Partei. Die Linksparte­i entstand ja aus der Friedensbe­wegung und lehnt deswegen Militärein­sätze generell ab. Als ehemaliger Soldat habe ich da einen anderen Blick drauf, obwohl mir die

Haltung der Partei gefällt. Alle Bundeswehr­einsätze, die bisher verabschie­det worden sind, haben wir uns ehrlich angeschaut und haben sie dann auf Grundlage unserer Überzeugun­gen ablehnen müssen. Wenn es einen Einsatz geben würde, der aus unserer Sicht sinnvoll wäre, dann würden wir dem auch zustimmen.“

Was wäre nach dem 26. September Ihre Wunschkoal­ition?

„Eindeutig Grün-Rot-Rot. Also auf jeden Fall nicht Schwarz-Grün und auf keinen Fall Schwarz-Gelb, das wäre die Katastroph­e. Es muss sich klimatechn­isch etwas tun und da braucht es eine ökologisch­e Kraft, aber es braucht auch die soziale Frage.“

Was machen Sie persönlich, um Ihren ökologisch­en Fußabdruck möglichst klein zuhalten?

„Ich finde es schade, dass ich nicht auf mein Auto verzichten kann. Ich wohne in einem kleinen Dorf, das nicht wirklich gut an den öffentlich­en Nahverkehr angeschlos­sen ist und muss jeden Tag 30 Kilometer zur Arbeit pendeln. Ich bin zwar kein Vegetarier, aber ich esse recht selten Fleisch, könnte vermutlich aber niemals auf Käse verzichten – deshalb versuche ich, alles zu reduzieren. Und ich versuche auf Flugreisen zu verzichten. Vor der Pandemie war ich in Rom und zwar mit dem Schlafzug. Das war super. Man spart sich den Stress, steigt abends in den Zug ein, schläft ein, wacht morgens in Rom auf und das war richtig wunderbar.“

Welche Eigenschaf­t hätten Sie gern von Merkel?

„Also politisch bin ich ja sehr weit von der Union weg, aber persönlich finde ich Frau Merkel sehr spannend. Ich schaue mir auch gern ihre Pressekonf­erenzen an und ich glaube, dass sie ein sehr sympathisc­her Mensch ist. Wenn ich eine Eigenschaf­t rauspicken müsste, würde ich diesen nordischen Humor nehmen. Ich finde, der ist ein bisschen hintergrün­dig und nicht so laut.“

Was war der größte Mist, den Sie als Jugendlich­er gebaut haben?

„Ich war eigentlich ein unglaublic­h braves Kind. Aber mit 18 hatte ich gerade frisch meinen Führersche­in und ich hatte verschlafe­n. Da dachte ich, es sei klug, das Verschlafe­n mit schnell zur Arbeit fahren zu kompensier­en. Ich bin dann mit gefühlter Lichtgesch­windigkeit zur Arbeit gefahren. Da hat sich mein Auto gegen einen Baum gelegt. Ich hab mir dabei einen Brustwirbe­l gebrochen und bin trotzdem noch aus dem Auto raus und meinem Chef entgegenge­laufen. Seitdem fahre ich unglaublic­h langsam. Das regt einige Beifahrer richtig auf.“

Welche Fotos dürften auf keinen Fall an die Öffentlich­keit gelangen?

„Ich bin sehr pingelig, was die Technik angeht, daher habe ich keine Daten auf meinem Handy. Ich glaube, dass ich mich nicht davor schützen könnte, wenn es jemand wirklich darauf anlegt, sich in mein Handy einzuhacke­n.“

Was haben Sie zuletzt bei Amazon bestellt?

„Das ist eine fiese Frage, weil ich eigentlich gegen Amazon bin. Aber ich habe mir vor zwei Tagen FFP2-Masken aus Korea gekauft. Die haben eine größere Oberfläche, dass man da auch im Zug komfortabe­l atmen kann. Das tut mir auch leid, aber ich hab die nirgendwo anders gefunden.“

Was ist das politisch Unkorrekte­ste, was Sie je getan haben?

„Wüsste ich jetzt nicht, ehrlich gesagt.“

Wann haben Sie sich zuletzt für einen Parteikoll­egen geschämt?

„Ich lege großen Wert auf Meinungsfr­eiheit und mir ist es sehr wichtig, dass Menschen sagen können, was sie möchten. Und in der Linksparte­i haben wir untereinan­der sehr konträre Meinungen und das finde ich gut. Der Diskurs schärft ja die Meinung. Ich entwickele meine Meinung ja immer erst, und dazu brauche ich es, dass ich mich mit jemandem streite. Daher fällt mir kein Moment ein, in dem ich mich für jemanden geschämt habe.“

Was halten Sie vom Gendern?

„Ich finde das wichtig. Klar, muss man irgendwo Grenzen ziehen. Ich würde jetzt niemanden verdammen, der das nicht macht, und auch keine historisch­e Literatur umschreibe­n – aber ich finde, wo es möglich ist, kann man das schon machen. Wir müssten auch gar nicht gendern, wenn Frauen in der Gesellscha­ft genauso anerkannt wären und die gleichen Verdienstm­öglichkeit­en hätten wie Männer. Natürlich wäre mir lieber, wenn Frauen den gleichen Verdienst hätten und die Pflege- und Sorgezeit für Kinder genauso geachtet und bezahlt würde, wie andere Arbeit auch. Aber das haben wir nicht und da sind wir weit entfernt davon. Das Gendern, so schlimm das für manche auch sein mag, ist da wenigstens ein Anfang.“

Engelbert Blessing ist 1985 in Immenstadt geboren. Er ist gelernter Zimmererme­ister und war nach Ende seiner Lehre 10 Jahre lang Zeitsoldat. Dabei war er auch in Afghanista­n im Einsatz. Inzwischen arbeitet er als Planer und Konstrukte­ur in einem Ingenieurb­üro.

Die Schwäbisch­e Zeitung lädt Experten zum Gespräch auf die! Radio 7"-B"üh!ne#und diskutiert mit ihnen vor laufender Kamera folgendes Thema:

Dü0r#r!e&n" und!&Ü+bers7ch%w*"em0*m! u!n&.g'e0n/,&"H-i/tz)e&w/ &e%ll*e"n*und Wetterextr­eme:

D1e+r- K( li0m#"a*w!a"n- del)w"ir-di#m+(m$"e*r!s"p.ürb%a"r)er. Und das auch in der Region.

Wo manche sich einfach über Sonnenmona­te freuen und Regenwoche­n ärgern, we&"rden*d!i"e)S&o"rg%en/ f!alt.en"b&.e"i *an1d"e-6re*n!"M-/ens"ch- en"0m/i.t B%l(ic*k!auf+d0i-e&.Z)u0k.unf(7t %ti/efer.%--6!"- W.&e*l!che0.A1u"s-w' ir0k#u/ nge.n %ha/td+e-r/K"l&i(m" #a7w- a(+n'de("l in *d/e"r-R*e"g%i)on",-u$n(d"&w%i5e"k&/a&n$n-"na$c&h"h-"a*ltig"e.s0 Ha&*n%d"e&l)n &h.e%lfe"n.?"*.&

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FOTO: PRIVAT Engelbert Blessing mit seiner Bundeswehr Dienst-Badehose: „Ein Sinnbild moderner konservati­ver Werte“, wie er sagt.
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