„Die Welt ist eine große Spielwiese“
Amateurfunker bauen im ehemaligen Feriendorf in Scheidegg eine Station auf
- „Delta, Lima, Zero, Lima India.“Immer wieder wiederholt der Mann am Funkgerät diese fünf Wörter. Er trägt ein Headset, vor ihm auf dem Tisch stehen Bildschirme, mehrere kleine Geräte mit allerhand Drehknöpfen, Schaltern und Zeigern. Der Mann sitzt in einem mittelgroßen Zelt, sein Hocker steht auf dem Grasboden.
Aufgebaut haben dieses Zelt und die Technik darin die Mitglieder des Ortsverbands Lindau-Westallgäu des Deutschen Amateur-Radio-Clubs auf dem Gelände des verlassenen Feriendorfs Saarland in Scheidegg. Dort, zwischen alten, teils kaputten und mit Graffiti beschmierten Ferienhäuschen, haben sie innerhalb von drei Stunden eine autarke Anlage errichtet, mit der sie fast die ganze Welt erreichen können. Hinter dem höchstgelegenen Häuschen ragt eine meterhohe Antenne in den Himmel.
Der Ortsverband nimmt an diesem Tag an einem Field-Day teil, einem weltweiten Wettkampf der Funkamateure. Ziel ist es, innerhalb von 24 Stunden möglichst viele Funkstationen in möglichst vielen Ländern zu erreichen. Um 15 Uhr setzt sich zunächst Manfred Wolf aus Wangen ans Funkgerät. Er ist amtierender Vizeweltmeister der Amateurfunker. In der deutschen Rangliste liegt er auf Platz eins, europaweit auf Platz acht.
Mit Routine schaltet er durch die Frequenzen. Sobald er hört, dass eine Verbindung steht, gibt er das Rufzeichen der Ortsgruppe durch: „Delta,
Lima, Zero, Lima, India.“Dabei handelt es sich um Buchstaben aus dem Nato-Alphabet: „DL steht für Deutschland. Null für einen Club und LI für Lindau“, erklärt Herbert Rupp aus Scheidegg. Dieses Rufzeichen wurde dem Ortsverband von der Bundesnetzagentur gegeben. Auch jeder Amateurfunker hat eines, Rupps lautet DG6MDG.
Jedes Rufzeichen ist weltweit einmalig. Amateurfunker bekommen es nur, wenn sie eine entsprechende Prüfung abgelegt haben und die Behörde ihr Vorstrafenregister geprüft hat. Das sei auch gut so, sagt Rupp: „Mit den technischen Möglichkeiten, die wir haben, könnte man auch viel Blödsinn machen.“
Vereinfacht gesagt, schicken die Amateurfunker Kurzwellen los, die von der Ionosphäre, ein Teil der Atmosphäre, zurück zur Erde geworfen – und dort von einer anderen Funkstation empfangen werden. „Das geht mit der Sonne mit. Am späten Abend werden wir Amerika und Japan erreichen“, sagt Wolf. Nach einer Stunde gibt er seinen Posten am Funkgerät ab, schnappt sich ein kühles Getränk und stellt sich zu seinen Kollegen in die Sonne. „Der Anfang war ein bisschen zäh“, sagt er. Hauptsächlich Europäer habe er erreicht. Funker aus Zypern, England, Wales, Belgien oder Dänemark. „Und einen Schweizer, der in Irland unterwegs war“, berichtet er.
Für lange Gespräche ist bei dem Wettbewerb ohnehin keine Zeit. Die beiden Amateurfunker tauschen nur ihre Funkzeichen aus, wünschen sich viel Glück und suchen auch schon nach der nächsten Verbindung. Damit die Menschen am anderen Ende der Verbindung auch wissen, dass es um einen Wettbewerb handeln, sagen sie außerdem „CQ Fieldday“dazu. Die beiden Buchstaben werden in diesem Fall Englisch ausgesprochen, stehen für „Seek you“also „Suche Dich“, erklärt Eberhard Kollewe aus Opfenbach, Rufzeichen DL6MBN. Einmal habe er diesen Funkspruch von seiner Station daheim aus abgegeben, einfach weil ihm langweilig war. Gemeldet habe sich ein Russe, „von irgendwo hinter dem Ural“, sagt Kollewe.
Er habe dem Russen dann gesagt, dass er aus der Nähe von Wangen im Allgäu komme. Dessen Antwort: „Ah, Fidelisbäck“, sagt Kollewe und lacht. Es stellte sich heraus, dass der Russe einmal in Wangen auf Montage war. Es ist ein schönes Erlebnis, an das Kollewe gerne zurückdenkt. Lang konnten die beiden Männer sich damals nicht unterhalten. „Nach vier oder fünf Sätzen kamen schon die Störsender der Russen“, sagt Kollewe. Es war schließlich die Zeit des Kalten Krieges.
Störungen gibt es gerade auch an der Wettbewerbs-Funkstation im Zelt. „Es sind gerade drei Stationen auf einer Frequenz, da weiß keiner, wer mit wem redet“, sagt Markus Dropmann, Funkzeichen DL1CBQ.
Der Ortsverband hat etwa 60 Mitglieder. Darunter Elektroniker wie Rupp, aber auch Menschen ohne technischen Beruf, beispielsweise Hobby-Segler, für die es bei größeren Touren überlebenswichtig sein kann, sich mit Funkgeräten auszukennen. Einmal im Monat treffen sich die Männer und Frauen in ihrem Vereinsheim im Schloss Holderregen in Lindau zum Gruppenabend. Aus diesem müssen sie aber demnächst ausziehen, da die Musikschule der Stadt die Räume benötigt. Die Funker suchen deshalb nach einem neuen Vereinsheim im Landkreis.
„Die Welt des Amateurfunks ist eine große Spielwiese“, sagt Rupp. Ein besonderes Feld in dieser Spielwiese hat er vor wenigen Wochen ausprobiert, als der PerseidenSchauer für zahlreiche Sternschnuppen am Nachthimmel sorgte. Wenn diese Kometen in der Atmosphäre verglühen, werfen sie Ultra-Kurzwellen (UKW) der Funker zurück auf die Erde. Normalerweise erreiche er mit UKW Amateurfunker im Radius von etwa 300 Kilometer, sagt Rupp. Durch die Perseiden konnte er aber bis nach Russland und Spanien funken. Am späten Abend verlassen die meisten Männer und Frauen die Station in Ostkinberg. Doch in Minimalbesetzung wird die ganze Nacht weiter gefunkt. In der besten Stunde schaffen die Westallgäuer 75 Verbindungen, in der schlechtesten nur fünf. Nach 24 Stunden, zählen sie 804 Verbindungen in mehr als 50 Länder. Außer Ozeanien haben sie jeden Kontinent erreicht.
Übrigens: Amateurfunker sind in Deutschland Teil des Katastrophenschutzes. „Bei den Überflutungen in Ahrweiler, als ganze Dörfer nicht erreichbar waren, hatten wir unser Equipment schon gepackt“, sagt Rupp. Alarmiert wurden sie damals allerdings nicht.