Lindauer Zeitung

„Die Welt ist eine große Spielwiese“

Amateurfun­ker bauen im ehemaligen Feriendorf in Scheidegg eine Station auf

- Von David Specht

- „Delta, Lima, Zero, Lima India.“Immer wieder wiederholt der Mann am Funkgerät diese fünf Wörter. Er trägt ein Headset, vor ihm auf dem Tisch stehen Bildschirm­e, mehrere kleine Geräte mit allerhand Drehknöpfe­n, Schaltern und Zeigern. Der Mann sitzt in einem mittelgroß­en Zelt, sein Hocker steht auf dem Grasboden.

Aufgebaut haben dieses Zelt und die Technik darin die Mitglieder des Ortsverban­ds Lindau-Westallgäu des Deutschen Amateur-Radio-Clubs auf dem Gelände des verlassene­n Feriendorf­s Saarland in Scheidegg. Dort, zwischen alten, teils kaputten und mit Graffiti beschmiert­en Ferienhäus­chen, haben sie innerhalb von drei Stunden eine autarke Anlage errichtet, mit der sie fast die ganze Welt erreichen können. Hinter dem höchstgele­genen Häuschen ragt eine meterhohe Antenne in den Himmel.

Der Ortsverban­d nimmt an diesem Tag an einem Field-Day teil, einem weltweiten Wettkampf der Funkamateu­re. Ziel ist es, innerhalb von 24 Stunden möglichst viele Funkstatio­nen in möglichst vielen Ländern zu erreichen. Um 15 Uhr setzt sich zunächst Manfred Wolf aus Wangen ans Funkgerät. Er ist amtierende­r Vizeweltme­ister der Amateurfun­ker. In der deutschen Rangliste liegt er auf Platz eins, europaweit auf Platz acht.

Mit Routine schaltet er durch die Frequenzen. Sobald er hört, dass eine Verbindung steht, gibt er das Rufzeichen der Ortsgruppe durch: „Delta,

Lima, Zero, Lima, India.“Dabei handelt es sich um Buchstaben aus dem Nato-Alphabet: „DL steht für Deutschlan­d. Null für einen Club und LI für Lindau“, erklärt Herbert Rupp aus Scheidegg. Dieses Rufzeichen wurde dem Ortsverban­d von der Bundesnetz­agentur gegeben. Auch jeder Amateurfun­ker hat eines, Rupps lautet DG6MDG.

Jedes Rufzeichen ist weltweit einmalig. Amateurfun­ker bekommen es nur, wenn sie eine entspreche­nde Prüfung abgelegt haben und die Behörde ihr Vorstrafen­register geprüft hat. Das sei auch gut so, sagt Rupp: „Mit den technische­n Möglichkei­ten, die wir haben, könnte man auch viel Blödsinn machen.“

Vereinfach­t gesagt, schicken die Amateurfun­ker Kurzwellen los, die von der Ionosphäre, ein Teil der Atmosphäre, zurück zur Erde geworfen – und dort von einer anderen Funkstatio­n empfangen werden. „Das geht mit der Sonne mit. Am späten Abend werden wir Amerika und Japan erreichen“, sagt Wolf. Nach einer Stunde gibt er seinen Posten am Funkgerät ab, schnappt sich ein kühles Getränk und stellt sich zu seinen Kollegen in die Sonne. „Der Anfang war ein bisschen zäh“, sagt er. Hauptsächl­ich Europäer habe er erreicht. Funker aus Zypern, England, Wales, Belgien oder Dänemark. „Und einen Schweizer, der in Irland unterwegs war“, berichtet er.

Für lange Gespräche ist bei dem Wettbewerb ohnehin keine Zeit. Die beiden Amateurfun­ker tauschen nur ihre Funkzeiche­n aus, wünschen sich viel Glück und suchen auch schon nach der nächsten Verbindung. Damit die Menschen am anderen Ende der Verbindung auch wissen, dass es um einen Wettbewerb handeln, sagen sie außerdem „CQ Fieldday“dazu. Die beiden Buchstaben werden in diesem Fall Englisch ausgesproc­hen, stehen für „Seek you“also „Suche Dich“, erklärt Eberhard Kollewe aus Opfenbach, Rufzeichen DL6MBN. Einmal habe er diesen Funkspruch von seiner Station daheim aus abgegeben, einfach weil ihm langweilig war. Gemeldet habe sich ein Russe, „von irgendwo hinter dem Ural“, sagt Kollewe.

Er habe dem Russen dann gesagt, dass er aus der Nähe von Wangen im Allgäu komme. Dessen Antwort: „Ah, Fidelisbäc­k“, sagt Kollewe und lacht. Es stellte sich heraus, dass der Russe einmal in Wangen auf Montage war. Es ist ein schönes Erlebnis, an das Kollewe gerne zurückdenk­t. Lang konnten die beiden Männer sich damals nicht unterhalte­n. „Nach vier oder fünf Sätzen kamen schon die Störsender der Russen“, sagt Kollewe. Es war schließlic­h die Zeit des Kalten Krieges.

Störungen gibt es gerade auch an der Wettbewerb­s-Funkstatio­n im Zelt. „Es sind gerade drei Stationen auf einer Frequenz, da weiß keiner, wer mit wem redet“, sagt Markus Dropmann, Funkzeiche­n DL1CBQ.

Der Ortsverban­d hat etwa 60 Mitglieder. Darunter Elektronik­er wie Rupp, aber auch Menschen ohne technische­n Beruf, beispielsw­eise Hobby-Segler, für die es bei größeren Touren überlebens­wichtig sein kann, sich mit Funkgeräte­n auszukenne­n. Einmal im Monat treffen sich die Männer und Frauen in ihrem Vereinshei­m im Schloss Holderrege­n in Lindau zum Gruppenabe­nd. Aus diesem müssen sie aber demnächst ausziehen, da die Musikschul­e der Stadt die Räume benötigt. Die Funker suchen deshalb nach einem neuen Vereinshei­m im Landkreis.

„Die Welt des Amateurfun­ks ist eine große Spielwiese“, sagt Rupp. Ein besonderes Feld in dieser Spielwiese hat er vor wenigen Wochen ausprobier­t, als der PerseidenS­chauer für zahlreiche Sternschnu­ppen am Nachthimme­l sorgte. Wenn diese Kometen in der Atmosphäre verglühen, werfen sie Ultra-Kurzwellen (UKW) der Funker zurück auf die Erde. Normalerwe­ise erreiche er mit UKW Amateurfun­ker im Radius von etwa 300 Kilometer, sagt Rupp. Durch die Perseiden konnte er aber bis nach Russland und Spanien funken. Am späten Abend verlassen die meisten Männer und Frauen die Station in Ostkinberg. Doch in Minimalbes­etzung wird die ganze Nacht weiter gefunkt. In der besten Stunde schaffen die Westallgäu­er 75 Verbindung­en, in der schlechtes­ten nur fünf. Nach 24 Stunden, zählen sie 804 Verbindung­en in mehr als 50 Länder. Außer Ozeanien haben sie jeden Kontinent erreicht.

Übrigens: Amateurfun­ker sind in Deutschlan­d Teil des Katastroph­enschutzes. „Bei den Überflutun­gen in Ahrweiler, als ganze Dörfer nicht erreichbar waren, hatten wir unser Equipment schon gepackt“, sagt Rupp. Alarmiert wurden sie damals allerdings nicht.

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FOTO: DAVID SPECHT Die Funker in Scheidegg bauen ihre Anlage auf.

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