Lindauer Zeitung

Turmbau per Sündenerla­ss

Wie Nördlingen im Mittelalte­r den „Daniel“mit Ablässen finanziert­e

- Von Andreas Jalsovec

(epd) - Besonders beeindruck­t haben Georg Habenicht die Zettel, auf denen die Namen der Beichtväte­r stehen. Knapp 30 davon sind im Nördlinger Stadtarchi­v noch vorhanden. Die Namensschi­lder stammen aus dem 15. Jahrhunder­t. Sie klebten damals auf den Lehnen der Beichtstüh­le in der Nördlinger Kirche St. Georg. „Man kann sogar noch die Flecken aus Wachs sehen, mit dem die Zettel an die Stühle geheftet wurden“, sagt Habenicht.

Schon seit Jahren forscht Habenicht im Nördlinger Stadtarchi­v. Der Kunsthisto­riker machte dort im Jahr 2015 eine außergewöh­nliche Entdeckung. Habenicht fand Unterlagen und Dokumente, die detaillier­t zeigen, wie die Stadt ihren Kirchturm – den sogenannte­n „Daniel“- mit einer Ablasskamp­agne finanziert­e. Beschriebe­n hat der 54-Jährige das in seinem Buch „Ablass – Wertpapier der Gnade“.

Es ist eine umfassende Darstellun­g des Ablasshand­els im Mittelalte­r. Illustrier­t wird die Funktionsw­eise des Ablasswese­ns unter anderem am Beispiel Nördlingen­s. Habenicht erklärt dabei das System des Sündenabla­sses mit Begriffen aus dem Bankwesen und der Ökonomie: Auf seinem Höhepunkt habe der Ablasshand­el zur „ersten Wertpapier­blase in der Geschichte Europas“geführt. Zum Platzen brachte sie Martin Luther. Die Folge war die Reformatio­n.

Ausgangspu­nkt dieser Entwicklun­g war der Glaube der Menschen im Mittelalte­r ans Fegefeuer. Je mehr Schuld sie auf sich geladen hatten, desto länger mussten sie dort schmoren. Fromme Taten jedoch vermindert­en die jenseitige Leidenszei­t. Mit Messen, Wallfahrte­n oder Gebeten sorgten die Menschen daher vor. So ersparte etwa eine Wallfahrt zur Wunderblut­kirche im Brandenbur­gischen Wilsnack pro Meile 40 Tage im Fegefeuer. Wer regelmäßig ein Jahr lang in die Nürnberger Kirche St. Sebald ging, dem wurden gar 1007 Jahre im Fegefeuer gestrichen. Diesen Erlass an Leidenszei­t im Jenseits nannte man Ablass.

So vergütete das System des „Partikular­ablasses“jede fromme Leistung mit einer bestimmten Menge an Gnade – und löschte einen Teil der eigenen Schuld. Daneben gab es den „Plenarabla­ss“. Er setzte das eigene Sündenkont­o mit einem Schlag auf null. Nötig war dazu nur die Beichte – und die Zahlung einer Ablassgebü­hr. Die Gnade, die dabei gewährt wurde, spendete der Papst: Er schöpfte sie aus dem „Gnadenscha­tz“der Kirche. Weil der Mensch jedoch immer wieder sündigte, ging die Kirche dazu über, Gnade zu verbriefen: Sie ließ Ablasszett­el in großen Auflagen drucken. Diese speicherte­n Gnade so lange, bis der Besitzer sie einlöste. „So konnte sich jeder sein eigenes Gnadendepo­t zulegen“, sagt Habenicht.

Auch Nördlingen hatte sich im Jahr 1480 beim Papst die Lizenz erkauft, Ablasszett­el in Massen zu drucken. Mit einer Ablasskamp­agne wollte die Stadt den Bau des „Daniel“finanziere­n. Aus den Unterlagen, die Georg Habenicht im Nördlinger Stadtarchi­v sichtete, geht hervor, wie umfangreic­h das Vorhaben war – und wie es ablief. Weit über die Stadtgrenz­en hinaus machten die Nördlinger Werbung für ihre Massenbeic­hte.

Mehr als 50 Beichtväte­r nahmen im Zwei-Schicht-System die Beichte ab – in 40 Beichtstüh­len, die eigens dafür angefertig­t worden waren. An deren Lehnen klebten die Zettel mit den Namen der Beichtväte­r. Im Anschluss an die Beichte konnten die Sünder einen Beichtbrie­f kaufen, den sie mit nach Hause nahmen. Über die Kasse, in die sie dabei ihre Ablassgebü­hr zahlten, wachten zwei Priester und mehrere Knaben. „Das alles ist in den Dokumenten so plastisch beschriebe­n, als sehe man dabei zu“, sagt Habenicht.

Wie viele Gläubige nach Nördlingen kamen, um sich dort vollständi­gen Ablass zu sichern, ist unbekannt. Nördlingen war aber nicht die einzige Stadt, die mit dem Ablasswese­n Geld einnahm. Der Plenarabla­ss sei in dieser Zeit „ein finanziell­es Erfolgsmod­ell ohne Beispiel“gewesen, so Habenicht. München etwa lockte 1477 mit einer Ablasskamp­agne 65 000 Pilger an. Ins württember­gische Urach reisten 1479 rund 40 000 Gläubige.

Der massenhaft­e Verkauf der Ablässe jedoch ließ sie immer billiger werden. Gleichzeit­ig wuchs der Zweifel, ob der Ablasszett­el wirklich ein kostbarer Teil des kirchliche­n Gnadenscha­tzes sei. Martin Luther erklärte den Papstablas­s für überflüssi­g: Gott verschenke Gnade schließlic­h umsonst. Der Mönch ließ damit die Ablass-Blase platzen. Das System kollabiert­e. Es kam zur Reformatio­n. Dem „Daniel“freilich konnte das nichts anhaben. Ihren Kirchturm hatten die Nördlinger 1490 fertiggest­ellt. Er ist bis heute das weithin sichtbare Wahrzeiche­n der Stadt.

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FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Der „Daniel“genannte Kirchturm ist Wahrzeiche­n der Stadt Nördlingen. Fertiggest­ellt wurde er 1490.

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