Die Faxrepublik
In vielen digitalen Fragen bleibt Deutschland nach wie vor Entwicklungsland – Wo es besonders hakt
- Homeoffice, Videokonferenzen, bargeldloses Bezahlen – kaum jemand kommt seit Beginn der Corona-Pandemie an digitalen Technologien vorbei. Gleichzeitig machte die Coronakrise überdeutlich, wie groß die Defizite in Deutschland in Sachen Digitalisierung sind. Was ist erreicht worden? Was sind die größten Baustellen?
Infrastruktur
Auch 2021 bleibt schnelles Internet für viele Menschen auf dem Land die Ausnahme. Nicht mal 20 Prozent der Haushalte und Unternehmen dort haben Zugang zum schnellen Gigabitnetz. Mobiles Arbeiten oder gleichzeitige Videokonferenzen waren bei vielen Familien während des Lockdowns kaum möglich. Für Unternehmen bedeutet das einen „gravierenden Wettbewerbsnachteil“, wie das Bundesinstitut für Bau-, Stadt und Raumforschung feststellt.
Das Versprechen der Großen Koalition aus Union und SPD, bis 2025 auch den letzten Winkel der Republik ans Hochgeschwindigkeitsinternet anzuschließen, halten Experten dabei für nicht mehr erreichbar, Telekom-Chef Timotheus Höttges sprach zuletzt von 2030. Dabei stehen Fördergelder zur Genüge bereit, doch Bürokratie, Lieferengpässe und ausgelastete Tiefbaufirmen bremsen den Ausbau. Das wohl nur schwer wieder wettzumachende Hauptproblem ist, dass man schlicht zu spät angefangen hat. So plante zwar schon 1981 SPD-Kanzler Helmut Schmidt bis 2015 ein Glasfasernetz zu verlegen. Nachfolger Helmut Kohl (CDU) hielt dies jedoch für unnötig und ließ lieber Kupferkabel fürs Privatfernsehen vergraben.
Verwaltung
2017 hat der Bundestag mit dem Onlinezugangsgesetz (OZG) entschieden, dass bis Ende 2022 575 Verwaltungsdienstleistungen wie BAföG, Elterngeld oder Geburtsurkunden für die Bürger auch online zur Verfügung stehen müssten. Gelungen ist das nur für 71 Leistungen. Dass die restlichen 504 Angebote noch fristgerecht online angeboten werden können, glaubt laut einer Studie der Hertie School of Governance kaum jemand der Beteiligten. Das Hauptproblem: Die Behörden im Hintergrund hantieren noch immer mit Papierakten, elektronische Akten lassen meist noch immer auf sich warten.
Gesundheit
Fax-Wirtschaft in den Gesundheitsämtern und ein Software-Wirrwarr, das einheitliche Meldestrukturen in Ländern und Bund blockierte: Auch im Gesundheitswesen hat Corona gezeigt, wie schlecht es um die Digitalisierung steht. Dabei gibt es eine vom Bund zur Verfügung gestellte Software namens Sormas, die nach
In der Bundesregierung ist das Stichwort Digitalisierung in aller Munde, und sie lässt sich dies auch viele Milliarden Euro im Jahr kosten. Wie viele, war allerdings lange nicht bekannt. Erst im letzten Jahr legte sie eine detaillierte Aufschlüsselung vor. Gesamtsumme: 3,8 Milliarden Euro – ohne das Verteidigungsministerium, das keine Angaben machte. Fast genauso viel kam schon im Jahr zuvor zusammen. Das klingt viel, war aber gemessen am „normalen“Gesamtetat allerlei Bedenken der Länder schließlich bundesweit eingeführt werden sollte – doch bis heute sind nicht alle Ämter angeschlossen und wer angeschlossen ist, nutzt Sormas häufig nur zögerlich. Dabei war es Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ja ein Anliegen, die Digitalisierung endlich voranzubringen. So war 15 Jahre lang über die des Bundes vor der Corona-Pandemie nur gut ein Prozent der Ausgaben. Da ist es schwer, den Überblick zu bewahren. Nicht nur, weil es viele Einzelposten verstreut über alle Ministerien gibt. Es werden auch immer wieder neue Extratöpfe aufgemacht. So wurde 2018 das Sondervermögen „Digitale Infrastruktur“eingerichtet, um den Aufbau von Mobilfunknetzen, Internet sowie Hilfen für die Länder beim Digitalpakt Schule zu finanzieren. Dorthin wanderten zunächst elektronische Patientenakte, in der sich Behandlungsberichte, Röntgenbilder, Medikation finden, vor allem geredet worden, seit Anfang dieses Jahres ist sie eingeführt. Aber auch hier pflasterten Softwareprobleme und Lieferschwierigkeiten den Weg. Mittlerweile müssen alle Praxisärzte die Gesundheitsakten-Apps befüllen können. Die Nachfrage hält sich aber 2,4 Milliarden Euro als Anschubfinanzierung vom Bund, danach die Erlöse aus der Versteigerung der 5G-Mobilfunkfrequenzen. Weitere fünf Milliarden Euro kommen bis 2025 aus dem Corona-Konjunkturpaket dazu. Bei Investitionen sind mehrjährige Planungen und Budgets unumgänglich. Sie machen aber die Übersicht schwierig – auch darüber, ob das Geld überhaupt abfließt. Genau das ist regelmäßig ein Problem. So lief etwa beim Digitalpakt Schule die Ausstattung von Schülern, in Grenzen. Ab 2022 soll es überall verschreibungspflichtige Medikamente in elektronischer Form geben – wenn es klappt.
Bildung
Auf Landkarten durch fremde Länder surfen, Zeitzeugen per App treffen – digitaler Schulunterricht bietet eine Menge Möglichkeiten. Auch in
die zu Hause keinen Computer haben, mit Laptops nur sehr zäh an. Manches wird auch an anderer Stelle versteckt. So wird die elektronische Gesundheitskarte nicht nur seit fast zwei Jahrzehnten entwickelt. Sie hat auch Milliarden gekostet, die nicht der Bund, sondern die Krankenkassen aufbringen mussten – ein abschreckendes Beispiel, wie schwer sich öffentliche Stellen mit der Digitalisierung tun: Selbst das elektronische Rezept kommt nur zäh in die Gänge. (dik) der Pandemie hätte digitale Technik dabei helfen können, die Schüler in virtuellen Klassenzimmern weiter zu unterrichten. Doch im Praxistest hat die Technik vielerorts kläglich versagt. Dabei hat der 2019 geschlossene Digitalpakt zwischen Bund und Ländern eigentlich den Weg für einen zeitgemäßen Umgang mit der Technik frei gemacht. So will der Bund bis 2024 6,5
Milliarden Euro in die technische
Infrastruktur,
Leih-Laptops für
Lehrer und
Schüler sowie
Systemadministratoren stecken. Doch die für die Bildung zuständigen
Länder rufen das
Geld nur schleppend ab. Die Gründe: zu viel Bürokratie, Engpässe bei Laptop-Lieferungen und die Schwierigkeit, an Handwerker zu kommen.
Immerhin: Lehrkräfte scheinen in ihrer großen Mehrheit die Chancen, die der digital unterstützte Unterricht bietet, nutzen zu wollen. In einer Umfrage der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft unter Mitgliedern gaben 93 Prozent an, digitale Medien im Unterricht bereits jetzt anzubieten. Vier Fünftel wünschen sich aber mehr Fortbildungen.
Verkehr
Auf der Internationalen AutomobilAusstellung (IAA) in München kann man die Zukunft des Verkehrs schon jetzt sehen. Die Intel-Tochter Mobileye bringt in Kooperation mit dem Autovermieter Sixt 2022 ein Robotaxi auf den Markt, das zunächst im Münchner Straßenverkehr fahren soll. Auch autonomes Parken soll bald möglich sein, Bosch und Mercedes-Benz stellten ein Konzept vor, das noch dieses Jahr genehmigt werden soll. Nicht nur diese Beispiele zeigen, dass Deutschland beim autonomen Fahren Vorreiter ist. Bereits im Sommer hat der Bundestag ein Gesetz verabschiedet, das vollautomatisiertes Fahren erlaubt. Beim sogenannten Level-4-Fahren führen die technischen Systeme alle Fahraufgaben selbstständig durch. Derzeit werden diese Systeme im öffentlichen Nahverkehr genutzt, wenn Shuttle-Busse auf festgelegten Strecken unterwegs sind. Dennoch bleibt noch viel zu tun. Trotz der technischen Fortschritte sind Fragen wie etwa die Haftung weiterhin ungeklärt.