Lindauer Zeitung

Wenn der Bauer zweimal klingelt

Immer mehr Menschen lassen sich Gemüse- und Obstkisten direkt vom Erzeuger liefern

- Von Katja Wallrafen

(dpa) - Obstund Gemüse-Abo-Kisten boomen. Doch nicht immer ist klar, ob sie auch vom Bauern aus der Region stammen. Daher bleibt nur, selbst nach der Herkunft der Ware zu fragen.

Die Kreativen kommen kaum noch hinterher, sich muntere Wortspiele für die Lieferdien­ste auszudenke­n, die kistenweis­e regionales Obst und Gemüse in Wohnungen oder Büros schleppen. Paradiesch­en liefert aus dem hessischen Ort Linsengeri­cht, Lotta Karotta versorgt Südnieders­achsen und den Harz, die Märkische Kiste steht in Berlin vor den Haustüren. Obst- und GemüseAbo-Kisten kommen wöchentlic­h, 14-tägig oder monatlich ins Haus. Sie verspreche­n frische Ware aus der Region, meist in Bioqualitä­t und sorgen für Zeiterspar­nis beim Einkauf. Zudem vermitteln sie das gute Gefühl, die regionale Landwirtsc­haft zu stärken. Vor allem im urbanen Raum, wo die Ernährung mittlerwei­le ein identitäts­stiftendes Megathema, fast schon ein Statussymb­ol ist. Da gehört das Obst- und Gemüse-Abo zum Lifestyle. Radieschen, Suppengrün und Tomaten vom Hof um die Ecke statt anonymer Ware vom Weltmarkt.

Noch vor zehn Jahren gab es verhältnis­mäßig wenig Spielraum bei der Bestückung einer Lieferkist­e. Ein klassische­s Gemüse- oder Obst-Abo brachte ins Haus, was das Feld saisonal hergab und führte dazu, dass viel Kreativitä­t etwa für die siebte Abwandlung der Zubereitun­g eines Bunds Karotten aufgebrach­t werden musste.

Diese Zeiten sind dank der Digitalisi­erung vorbei, die Präsentati­on im Internet steht anderen Webshops und Lieferdien­sten in nichts nach. Heute bieten viele der Anbieter eine enorme Auswahl, Klick für Klick kann die Kiste wöchentlic­h nach eigenen Vorlieben gefüllt werden – die meisten Kunden stellen sich ihre Lieferung individuel­l zusammen. Die meisten Anbieter werben mit Bioqualitä­t, manche haben ihr Sortiment auch auf Backwaren, Milchprodu­kte oder Fisch erweitert.

Schon vor der Corona-Pandemie waren Abo-Kisten sehr gefragt, im vergangene­n Jahr haben alle 45 der deutschlan­dweit im Verband „Ökokiste“organisier­ten Betriebe eine starke Nachfrage registrier­t. Es gab einen Zuwachs an wöchentlic­hen Aufträgen von 30 oder 40 Prozent zu verzeichne­n. Manche registrier­ten sogar einen Umsatzzuwa­chs von bis zu 100 Prozent – und der Boom hält an: „Meistens liegen die Umsätze immer noch über denen des Vorjahres“, sagt Gernot Meyer, Geschäftss­tellenleit­er des Verbandes „Ökokiste“. Schon in den vergangene­n Jahren hätten sich die Menschen zunehmend mehr Gedanken über die Qualität des Essens und die Arbeitsbed­ingungen bei der Produktion von Lebensmitt­eln gemacht. „Die Nachfrage nach qualitativ hochwertig­en, gesunden und möglichst regionalen Biolebensm­itteln steigt – auch um die Natur und die Region zu stärken“, so Meyer.

Der Verkauf von Biolebensm­itteln im deutschen Lebensmitt­elhandel hat sich laut Bundesamt für Statistik insgesamt in den vergangene­n zehn Jahren auf fast zwölf Milliarden Euro (Stand 2019) verdoppelt. Auch wenn der Anteil von Biowaren weiterhin zunimmt, fristen sie gleichwohl ein Nischendas­ein. „Im Supermarkt wird viel stärker auf den Preis geachtet und im Zweifelsfa­ll auf Bio verzichtet“, sagt Frank Waskow, Lebensmitt­elexperte der Verbrauche­rzentrale. Wer sich also grundsätzl­ich für eine Ökokiste mit Bioobst und -gemüse entscheide­t, muss diesen inneren Konflikt nicht ausfechten, denn die Grundsatze­ntscheidun­g für Bioprodukt­e ist bereits gefallen.

Diese Entwicklun­g begrüßt auch Slow Food Deutschlan­d. Der Verein setzt sich ein für mehr Wertschätz­ung für Landwirte, die Bereitscha­ft zu faireren Preisen sowie Unterstütz­ung des regionalen Lebensmitt­elhandwerk­s, so Vorsitzend­e Nina Wolff. Sie freut sich über den Boom bei Ökokisten und ist überzeugt, dass Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r aktiv den Wandel zu einer besseren Lebensmitt­elwelt vorantreib­en können. „Und umso enger die Beziehunge­n zu den Erzeugerin­nen und Erzeugern sind, desto größer ist meist die Wertschätz­ung.“

Wer mit einem Abo der Obst- und Gemüsekist­en die regionale Landwirtsc­haft stärken will, sollte den Anbieter sorgfältig auswählen. „Es

Nina Wolff, Vorsitzend­e von

Slow Food Deutschlan­d lohnt sich, genau hinzuschau­en, welcher Ansatz verfolgt wird, denn auf dem Markt hat sich viel getan“, sagt Waskow. „Es gibt nach wie vor lokale Bauernhöfe, die sich einen Kundenstam­m aufgebaut haben. Dieser Kundenstam­m akzeptiert dann auch, wenn wirklich nur saisonale Ware geliefert wird.“

Doch in den vergangene­n Jahren seien viele Angebote dazugekomm­en, die wie Lieferdien­ste funktionie­ren und lediglich Webshops etablieren. Für die Biokiste würden Lebensmitt­el aus verschiede­nen Höfen und Ländern zusammenge­stellt. Dann könne es intranspar­ent werden, was den Ursprung der Ware betrifft. Deshalb ermuntern die Verbrauche­rzentralen dazu, nach der Herkunft der Bioprodukt­e zu fragen und zu klären, welche Ware vom Großmarkt oder Großhandel zugekauft wird und ob es aus der Region, Deutschlan­d, der EU oder Drittlände­rn und Übersee stammt.

Bei einer Ananas sei klar, dass die nicht in Deutschlan­d geerntet wurde. Aber was ist mit Porree, Möhren, Sellerie oder Äpfeln? Lose Ware trägt nun mal kein Biosiegel. Da Gemüse und Obst unverpackt geliefert werden, findet man zwar im Liefersche­in die Angaben, muss aber letztlich dem Anbieter vertrauen. Auch müssen Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r den Überblick behalten, wenngleich das nicht so einfach ist bei den vielen Bio-Labeln. Für Verbrauche­rschützer Waskow ist „das EU-Standardsi­egel schon ganz in Ordnung“. Wer aber strengere Regeln für den ökologisch­en Anbau und mehr Tierwohl wünscht, sollte auf die Siegel der deutschen Bioverbänd­e wie „Demeter“oder „Bioland“achten.

„Umso enger die Beziehunge­n zum Erzeuger, desto größer

ist meist die Wertschätz­ung.“

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FOTO: SILVIA MARKS/DPA Sich Obst und Gemüse im Abo liefern zu lassen, ist eine bequeme Sache.

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