So lief der Angriff auf das Jugendzentrum „Tonne“
Erstmals hat es in Wangen direkte Bedrohungen gegeben – Anwesende schildern die Vorkommnisse
(jps) - Eingeschlagene Scheiben gehören am Wangener Jugendzentrum (Juze) „Tonne“zwar nicht ständig zur Tagesordnung, wohl aber gab es in der jüngeren Vergangenheit des Öfteren Sachbeschädigungen dieser Art. So auch vor Kurzem.
Die Vorkommnisse stellen zudem eine neue Dimension dar: Folgt man den gemeinsamen Schilderungen des Jugendzentrums und Besuchern jenes Abends, gab es zwischen etwa 1 und 5 Uhr erstmals handfeste Bedrohungen und massive Beschimpfungen durch bislang Unbekannte. „Wir waren gerade dabei, aufzuräumen und zu putzen“, berichtet „Tonne“-Vorsitzender Thilo Schürer im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“.
Einige Besucher saßen kurz vor dem geplanten Ende des Abends noch draußen, als plötzlich drei männliche, offensichtlich betrunkene Jugendliche oder junge Erwachsene vorbeikamen, heißt es in einer gemeinsamen Schilderung von Verein und Besuchern. Und weiter: „Sie verhielten sich übergriffig und beleidigend und wollten auch nach mehreren ruhigen Aufforderungen nicht gehen.“
Gemäß der Stellungnahme zog sich das Trio zwar zurück, blieb aber in der Nähe. Um weiteren Konfrontationen zu entgehen, hätten sich laut Thilo Schürer die sechs bis acht draußen weilenden Besucher dann nach drinnen begeben.
Trotzdem wurde die Situation offenbar noch bedrohlicher: „Einige Zeit später hörten wir starkes Klopfen an mehreren Scheiben, es klang, als versuchten sie die Scheiben zu brechen. Durch Blicke aus den Fenstern erkannten wir die Jugendlichen von vorhin“, heißt es in dem Schreiben, und Schürer ergänzt: „Wir dachten, gleich ist die Tür durch.“
Dabei blieb es offensichtlich aber immer noch nicht. Denn etwas später seien zwei weitere, etwas ältere Personen zu dem Trio gestoßen. „Tonne“und Besucher beschreiben die neue Situation so: „Sie relativierten sehr aggressiv das Hämmern, gaben homophobe Äußerungen von sich und wollten trotz mehrerer Aufforderungen nicht gehen.“Auch hätten sie gedroht, alle zusammenzuschlagen.
Die Versuche der Deeskalation scheiterten, ist der Stellungnahme ferner zu entnehmen. Deshalb habe man sich wieder in das Gebäude an der Lindauer Straße zurückgezogen. Erneut hätten die fünf Männer beziehungsweise Jugendlichen dann „sehr heftig von außen auf die Scheiben eingeschlagen, teilweise auch mit Gegenständen“, berichten die Anwesenden weiter. Darunter seien auch Flaschen gewesen.
Die Bilanz des Abends fällt ernüchternd aus: Zwei Scheiben seien durchschlagen oder eingeworfen, eine dritte hielt gerade noch stand, weil sie mit Draht verstärkt war. Mehr noch: Die insgesamt etwas mehr als zehn in den „Tonne“-Räumen Anwesenden trauten sich lange nicht heraus, selbst als es ruhig geworden war. Bewusst habe man bis zum Beginn der Dämmerung gewartet und sei dann auch nur in Gruppen gegangen, damit niemand allein heim gehen musste, berichtet Thilo Schürer.
Und die „Tonne“reagierte. Spontan rief sie via Internet zu einer Demonstration für Samstagnachmittag in der Innenstadt unter dem Motto „Kein Angriff ohne Antwort“auf. Nach Darstellung der „Tonne“nahmen daran 60 bis 70 Personen teil.
Die Polizei hatte vor einigen Tagen von 20 bis 40 Menschen berichtet.
Der Hintergrund des Protests liegt für das Jugendzentrum auf der Hand. Denn es geht von einem Angriff von rechts oder rechtsextrem Gesinnter aus. Damit müsse man angesichts mehrerer Vorkommnisse in den vergangenen Jahren „jederzeit rechnen“. „Aber dies war seit Langem der erste Angriff, bei dem akut Menschen in Gefahr waren und wir unseren Angreifern persönlich gegenüber standen“, heißt es in der Stellungnahme weiter. Zum Aussehen des mutmaßlichen Täterquintetts kann Thilo Schürer angesichts der Dunkelheit der Nacht nicht viel sagen. Das jüngere Trio habe Kapuzenpullis in hellen Farben und „teure Markenklamotten“getragen. Einer der beiden älteren Personen sei mehr als zwei Meter groß und breit gebaut gewesen, trug einen sogenannten Boxerhaarschnitt sowie einen Bart. Der andere dieses Duos sei kleiner gewesen und blond.
Die „Tonne“geht – anders als bei früheren Vorkommnissen – nicht davon aus, dass die Taten in der Nacht zu Samstag geplant waren. Dazu erscheinen sie dem Verein zu wenig organisiert – zumal die Unbekannten „stark alkoholisiert waren“. Dennoch sei es aber „offensichtlich, dass die Menschen uns beziehungsweise die „Tonne“aufgrund unserer linken Haltung, Offenheit gegenüber queeren Menschen und unserer politischen Arbeit angriffen“. Die offene Feindseligkeit Rechtsextremer macht das Jugendzentrum auch an einem Aufruf der Neonazi-Partei „Der III. Weg“vom Juni fest. Diese hatte – wie im Internet nachzulesen ist – seinerzeit zu einer Offensive gegen „die Antifa“angestachelt und nach eigenen Angaben eine entsprechende Flyer-Aktion in Wangen und Ravensburg gestartet. Ein Foto mit direkt vor der „Tonne“-Tür in die Kamera gehaltenen Flyern kursiert im Netz.
Zur Einordnung: „Der III. Weg“tritt nach Darstellung mehrerer Medien offen rechtsextrem auf. Nach Berichten des Berliner „Tagesspiegel“und des „Spiegel“ruft die bei der Bundestagswahl in Sachsen und Bayern kandidierende Partei derzeit in Zwickau auf Plakaten zum Mord an der politischen Konkurrenz auf.
Weder die angekündigte FlyerAktion noch der Angriff von Samstagnacht lässt die „Tonne“unterdessen ans Aufgeben denken – im Gegenteil: „Wir werden wegen diesen Angriffen sicher nicht aufhören, uns antifaschistisch zu engagieren“, schreiben die Verfasser der Stellungnahme zu den aktuellen Vorkommnissen. Sie ließen sich dadurch nicht einschüchtern, sondern fühlen sich vielmehr bestärkt, sich „gegen rechten Hass und rechte Gewalt einzusetzen“.
Im jetzigen Fall setzt die „Tonne“dabei aber nicht auf die Mithilfe der Polizei. Man habe bewusst keine Anzeige erstattet, und werde dies auch nicht tun, so Thilo Schürer. „Wir haben leider sehr negative Erfahrungen mit der Polizei gemacht.“Dazu zählt er unter anderem mangelnde Fahndungserfolge bei früheren Vorkommnissen. Nicht einer dieser Fälle sei bislang aufgeklärt. Ferner sagt er: Als Beamte bei einem früheren Angriff vor Ort waren, „waren sie in keinster Weise eine Hilfe“. Stattdessen habe man „fast eine Schikane“wahrgenommen und sei indirekt verdächtigt worden, die Tat selbst begangen zu haben. Schürer schließt: „Wir haben inzwischen sogar Bedenken, die Polizei anzurufen.“