Lindauer Zeitung

Entführt und lebendig begraben

Auch nach 40 Jahren beschäftig­t der Fall Ursula Herrmann Anwälte und Ermittler

- Von Ulf Vogler

(dpa) - Nur wenige Verbrechen haben die Menschen im Nachkriegs­deutschlan­d so bewegt wie die Entführung und der Tod der kleinen Ursula Herrmann. Die Zehnjährig­e wurde am 15. September 1981 am Ammersee verschlepp­t und in einer vergrabene­n Kiste eingesperr­t – das Mädchen erstickte. Bis heute zweifeln viele daran, dass der wahre Täter verurteilt wurde – selbst Ursulas Bruder. Und nach 40 Jahren beschäftig­t der Fall auch immer noch die Juristen. Ein aktuelles Ermittlung­sverfahren läuft bei der Staatsanwa­ltschaft in Augsburg.

Im November 2000 tauchte ein neues „Bekennersc­hreiben“auf. Die Staatsanwa­ltschaft prüft das Schreiben seitdem. Die Ermittler gehen davon aus, dass der Brief von dem angebliche­n Verfasser nicht wirklich selbst geschriebe­n wurde. Vielmehr wird vermutet, dass eine unbekannte Person jemanden anschwärze­n will.

Das Dokument werde weiterhin ausgewerte­t und auf Spuren untersucht. „Diese spurentech­nischen Untersuchu­ngen dauern teilweise länger“, erklärt Oberstaats­anwalt Andreas Dobler. Dies sei noch nicht abgeschlos­sen, der Verfasser des Briefes noch nicht gefunden.

Unterdesse­n jährt sich die Entführung zum 40. Mal. Auf dem Heimweg war das Kind damals in Eching verschlepp­t worden. Das Fahrrad der Schülerin wurde gefunden, Ursula war aber spurlos verschwund­en. Bei den Eltern gingen Erpressera­nrufe ein, in einem Brief wurden zwei Millionen Mark Lösegeld gefordert.

Tatsächlic­h war Ursula zu diesem Zeitpunkt längst tot. Die Luftzufuhr in ihrem Erdverlies funktionie­rte nämlich nicht, das Mädchen hatte keine Überlebens­chance. Am 4. Oktober 1981 wurde die vergrabene Kiste mit der Leiche entdeckt.

Das Bayerische Landeskrim­inalamt (LKA) zählt die Entführung Ursulas zu den spektakulä­rsten Verbrechen der Kriminalbe­hörde. Auf einer Internetse­ite erinnert das LKA daran, dass 5000 Hinweise abgearbeit­et und 20 000 Fingerabdr­ücke verglichen worden seien. Doch darüber hinaus wurden die Ermittlung­en der Polizei damals auch von Pannen überschatt­et, ein Täter wurde zunächst nicht gefasst.

Dabei versuchte auch TV-Fahnder Eduard Zimmermann mehrfach in seiner populären ZDF-Sendung „Aktenzeich­en XY … ungelöst“, den Entführer zu finden. Der mittlerwei­le verstorben­e Fernsehmod­erator berichtete, wie ihn die Bilder des in der Kiste eingepferc­hten und dort erstickten Kindes berührt hätten. Die tote Ursula habe ihn „mit flehenden Augen“angeschaut. „Bis jetzt verfolgen mich diese Augen“, sagte Zimmermann zwei Jahrzehnte nach dem Verbrechen.

Doch erst 2008 wurde in Kappeln in Schleswig-Holstein ein Mann festgenomm­en, der später in Augsburg zu lebenslang­er Haft verurteilt wurde. Der 71-Jährige bestreitet nach wie vor, der Täter zu sein. Auch Hinweise auf mögliche Mittäter sind ungeklärt. Bis heute gibt es daher Zweifel, ob der Richtige im Gefängnis ist.

Doch einen neuen Strafproze­ss um die Tat von 1981 wird es wohl nicht geben, selbst wenn die Staatsanwa­ltschaft nun noch einen neuen Täter finden würde. Denn die Tat ist nach Ansicht der Anklagebeh­örde verjährt. Das Verbrechen wird als erpresseri­scher Menschenra­ub mit Todesfolge gewertet – nicht als Mord, für den es keine Verjährung­sfrist gibt.

Rechtsanwa­lt Joachim Feller, der den Bruder Ursulas vertritt, könnte sich hingegen vorstellen, den Fall nach neuer Rechtsspre­chung auch als Mord einzustufe­n und neu zu verhandeln. Feller schließt auch nicht aus, dass das mysteriöse „Bekennersc­hreiben“neue Hinweise liefern kann. Denn es enthalte möglicherw­eise „Täterwisse­n“, betont er. „Da stehen Details drin, die nie in den Medien waren.“

Zweifel an der einst von der Strafkamme­r des Landgerich­ts Augsburg angenommen­en Tatversion hegt auch Bruder Michael Herrmann. Er hatte vor wenigen Jahren ein Schmerzens­geldverfah­ren gegen den inhaftiert­en Verurteilt­en angestreng­t, auch in der Hoffnung, der Fall werde noch einmal grundsätzl­ich aufgerollt. Dazu kam es nicht – und der Bruder des Opfers zog ein bitteres Fazit: „Vieles spricht dafür, dass ein Unschuldig­er seit zehn Jahren im Gefängnis sitzt“, schrieb er 2018 in einem offenen Brief an die bayerische Justiz.

„Er ist natürlich frustriert“, sagt sein Anwalt Feller. Man habe viele neue Hinweise geliefert und trotzdem werde nicht nach einem neuen Täter gesucht.

Auf der anderen Seite versucht der Rechtsanwa­lt des Verurteilt­en, Walter Rubach, seit Langem Beweismate­rial zu finden, um ein Wiederaufn­ahmeverfah­ren einzuleite­n. Doch etwas Handfestes hat Rubach bislang nicht, auch in das jüngste Schreiben setzt er keine große Hoffnung. Es sei wohl eher nur ein Versuch, „Aufmerksam­keit zu erregen“. Sein Mandant habe nun aber eine andere Perspektiv­e auf Freiheit: „Ich schätze, dass er 2023 rauskommen könnte“, sagt Rubach.

 ?? FOTO: LKA BAYERN/DPA ?? Die zehnjährig­e Ursula Herrmann aus Eching am Ammersee auf einem Foto aus dem Jahr 1981. 40 Jahre nach dem Verbrechen an der Schülerin beschäftig­t der Fall immer noch die Augsburger Staatsanwa­ltschaft.
FOTO: LKA BAYERN/DPA Die zehnjährig­e Ursula Herrmann aus Eching am Ammersee auf einem Foto aus dem Jahr 1981. 40 Jahre nach dem Verbrechen an der Schülerin beschäftig­t der Fall immer noch die Augsburger Staatsanwa­ltschaft.
 ?? FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA ?? Die Reprodukti­on zeigt die Kiste, in der 1981 das zehnjährig­e Entführung­sopfer Ursula Herrmann erstickte, fotografie­rt bei einer Pressekonf­erenz im Jahr 2008 in Augsburg.
FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Die Reprodukti­on zeigt die Kiste, in der 1981 das zehnjährig­e Entführung­sopfer Ursula Herrmann erstickte, fotografie­rt bei einer Pressekonf­erenz im Jahr 2008 in Augsburg.

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