Immer mehr Radler nutzen den Bodenseeradweg
Entlang der Strecke gibt es viele Nutzungskonflikte – Ein Blick nach Lindau und in den Bodenseekreis
- Der Bodenseeradweg platzt besonders an schönen Sommertagen aus allen Nähten – und so manchem Radler platzt der Kragen. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie ist es noch voller geworden auf dem 260 Kilometer langen Weg, der an vielen Sehenswürdigkeiten vorbei durch drei Länder führt. Kein Wunder, er zählt zu den beliebtesten Radfernwegen Europas. Was für viele Touristen ein Vergnügen ist, bereitet Polizei und Kommunen viel Arbeit. Für Anwohner werden die Radler immer mehr zur Plage.
Einerseits liegt Urlaub im eigenen Land im Trend, andererseits sind EBikes und Pedelecs so gefragt wie noch nie. „Es setzen sich viele wieder aufs Rad, die auf ein normales Fahrrad keine Lust gehabt hätten“, sagt Thomas Steur, Chef der Polizeiinspektion Lindau. Deutlich mehr Unfälle habe die Polizei aber nicht registriert. „2021 haben wir im Stadtgebiet Lindau bisher 13 Unfälle aufgenommen. Dafür, dass Tausende Radler hier unterwegs sind, ist das nicht viel.“
Tatsächlich sind in Lindau auf dem Bodenseeradweg jedes Jahr gut eine halbe Million Radler unterwegs. Die Stadt hat am Lotzbeckweg eine Dauerzählstelle installiert. 2019 zählte sie rund 503 000 Radler, 2020 waren es sogar rund 544000 Radler. „Das sind 8,27 Prozent mehr als 2019“, sagt der Lindauer Mobilitätsmanager Jaime Valdés Valverde. Dieses Jahr scheint die Zahl wieder etwas zurückzugehen. Bis Ende August wurden 374 000 Radler gezählt.
Zu Spitzenwerten kommt es im Juli und August. Am meisten ist samstags und sonntags zwischen 11 und 16 Uhr los, wenn im Durchschnitt mehr als 150 Radfahrer pro Stunde durch den Lotzbeckweg fahren. Der Tageshöchstwert liegt bei knapp 5200 Radfahrern. An einem schönen Sommertag radeln durchschnittlich 4500 Menschen an der Zählstelle vorbei. An ruhigen Tagen sind es gut 1000 Fahrradfahrer. „Wenn es regnet, geht die Zahl deutlich nach unten. Dann sind vor allem noch Pendler unterwegs“, sagt Jaime Valdés Valverde.
Offensichtlich sei, dass viele Radler unerfahren seien und ihnen die Praxis fehle, sagt Steur. Denn ein Großteil der Unfälle geschehe „alleinbeteiligt“, wie es die Polizei formuliert, also wenn außer dem Unfallverursacher niemand darin verwickelt ist. Das können Stürze beim Anhalten oder über Bordsteinkanten sein. Gefährlich wird es laut Steur insbesondere im Begegnungsverkehr, wenn der Weg von Radlern, Fußgängern und vielleicht sogar noch von Autofahrern genutzt wird und Parksuchverkehr
Thomas Steur, Polizeiinspektion Lindau
hinzukommt.
„Ein echter Konfliktpunkt ist in der Eichwaldstraße an der Therme“, sagt er. Dort sind Parkplätze schräg zur Fahrbahn angeordnet, die eine leichte Kurve macht. Außerdem ist die Straße recht schmal, sodass die Autofahrer vor allem beim Ausparken besonders gut aufpassen müssen. „Rückwärts ausparken ist dort brutal gefährlich“, sagt Steur. Die Straße ist ohnehin schmal. Der Platz reicht für Autofahrer kaum aus, um
Radler mit den vorgeschriebenen Mindestabstand von 1,5 Metern zu überholen – zumal dort auch aus der Gegenrichtung Radler und Fahrzeuge kommen.
Für den Bodenseekreis gibt es keine Zahlen, was das Verkehrsaufkommen auf dem Bodenseeradweg betrifft. Doch das soll sich ändern. Der ADFC hat im Auftrag des Landratsamts im Juli Radfahrer und Fußgänger gezählt. An neun Stellen zwischen Kressbronn und Sipplingen, allein drei davon in Friedrichshafen, haben die Helfer an einem Werktag und einem Sonntag Strichlisten geführt. Die genauen Zahlen sollen erst im Herbst veröffentlicht werden. Doch wie Bernhard Glatthaar, der Vorsitzende des ADFC Bodenseekreis, schon vorab verrät, ist der erste Schwung – Pendler und Schüler – schon früh am Morgen unterwegs. Nachdem sie durchgefahren sind, werde es ruhig. Die Touristen setzten sich ab etwa 9.30 Uhr aufs Rad, und dann steppe bis etwa 18 Uhr auf dem Radweg der Bär.
Auf dem Bodenseeradweg geht es teilweise sehr eng und durchaus ruppig zu. „Die Räder werden schneller und die Lenker breiter“, sagt Glatthaar. „Die Infrastruktur muss mehr Platz kriegen.“Besonders kritische
Bereiche sind laut dem ADFC-Vorsitzenden die Friedrichstraße in Friedrichshafen, die Kreuzung am Ende der Ausbaustrecke der B 31-neu zwischen Fischbach und Immenstaad, die Engstelle bei Maurach und die Bahnübergänge in Überlingen. Am Fuß- und Radweg an der Friedrichstraße sieht er einen klassischen Nutzungskonflikt. „Jeder Verkehrsplaner müsste wissen, dass Fuß- und Radverkehr getrennt werden müssten“, sagt er. Die Mischung führe gerade bei hohem Verkehrskaufkommen zu zahlreichen Konflikten, Stress und Beinaheunfällen. „Das taucht in keiner Statistik auf “, sagt er. Der Ton sei teilweise sehr rau, die Stimmung sei am Kippen.
Alexander Heinrich kann das bestätigen. Der 37-Jährige wohnt in Hagnau direkt am Bodenseeradweg. Dort sind nicht nur Radler, sondern auch Fußgänger, Badegäste und Anwohner unterwegs, wobei letztere im Sommer zahlenmäßig den geringsten Anteil ausmachen dürften. Wie er schildert, kommt es dort täglich zu Auseinandersetzungen. „Leute schreien sich an und beleidigen sich, manche sind kurz davor, handgreiflich zu werden“, sagt er. „Jeder denkt, er sei im Recht.“Der Abschnitt ist eine Spielstraße, erlaubt sind sieben Stundenkilometer. Das beachtet aber kaum jemand. Das sei schon immer so gewesen, doch mit dem massenhaften Aufkommen der E-Bikes noch extremer geworden, berichtet Heinrich. Dabei verstehe er, dass es für Radler fast nicht machbar sei, wirklich Schrittgeschwindigkeit zu fahren.
Eine gewisse Rücksichtnahme würde sich der Hagnauer trotzdem wünschen. „Für uns ist es oft schwierig, mit dem Auto überhaupt aus der Einfahrt zu fahren oder zu unserem Haus abzubiegen. Viele schlängeln sich einfach vorbei“, sagt er. Das sei richtig gefährlich. Es gehe nicht darum, dass sie fahren, sondern wie sie fahren, betont Heinrich.
Thomas Steur von der Lindauer Polizei rät allen Verkehrsteilnehmern, sich Paragraf 1 der Straßenverkehrsordnung zu Herzen zu nehmen. Dort steht: „Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.“Wer am Verkehr teilnehme habe sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet, behindert oder belästigt werde, zitiert Steur das Gesetz. „Wenn jeder ein bisschen runterschraubt und sich zurückhaltender verhält, dann macht auch das Radfahren wieder mehr Spaß.“
„Ein echter Konfliktpunkt ist in der Eichwaldstraße an der
Therme.“