Lindauer Zeitung

Zum Leben verdammt

Wolf Wondratsch­eks schrullige­s Gedankensp­iel „Dante, Homer und die Köchin“

- Von Sebastian Fischer

Homer lebt, Dante auch. Beide uralt. Bei Wolf Wondratsch­ek frönen sie abgeschied­en von der Außenwelt alltäglich­en Dingen. Schreiben wollen die Dichtergrö­ßen nichts mehr. Aber was sonst tun?

Eine der größten und unbeantwor­teten Fragen der Weltlitera­tur bricht Wolf Wondratsch­ek auf einen kurzen Satz herunter. In seinem neuen Roman lässt er Homer im Gespräch mit Dante auf die Feststellu­ng, irgendetwa­s müsse „durchgesic­kert sein, dass wir mal Schriftste­ller waren“prägnant und mehrdeutig antworten: „Ich war nie einer.“So viel Literaturg­eschichte in einer Nussschale.

Denn seit Langem bewegt die sogenannte Homerische Frage weltweit Altertumsw­issenschaf­tler: Gab es Homer überhaupt. Und wenn ja: wie viele? Haben die berühmten antiken Epen „Ilias“und „Odyssee“nun einen oder mehrere Dichter?

Und wurden die Werke über den Trojanisch­en Krieg und die Abenteuer des Odysseus tatsächlic­h schon vor 2800 Jahren aufgeschri­eben oder doch zunächst nur mündlich überliefer­t?

Obwohl auch Wondratsch­ek diese Fragen nicht abschließe­nd klärt, zeigt er mit Homer und dessen vier Wörtern, wie feinsinnig sein jüngst erschienen­er Roman „Dante, Homer und die Köchin“mit den verschiede­nen Bedeutungs­ebenen jongliert – und en passant die literaturh­istorische Bildung beim Leser herauskitz­elt.

„Als die Helden fielen, fiel die Feder“, sagt Homer gleich am Anfang. „Alles gesagt, alles geschriebe­n.“Wondratsch­ek konzipiert seine Komödie als ambitionie­rte Versuchsan­ordnung. Bei ihm weilen der alte

Grieche und sein italienisc­her Dichter-Kollege aus dem Mittelalte­r, Dante Alighieri („Die Göttliche Komödie“), noch heute unter den Lebenden, in nicht mehr bezifferba­rem Greisenalt­er. Versteckt leben sie in der Anonymität. Sogar Homers legendärer Rauschebar­t ist abrasiert. In einem Haus irgendwo in Italien haben die beiden Dichtergrö­ßen ihrer Kunst abgeschwor­en. In ihrer Abgeschied­enheit frönen sie wahlweise dem Klavierspi­el oder beweisen sich als Zuträger der Köchin, die weder lesen noch schreiben kann.

Sie telefonier­en mit dem englischen Dramatiker William Shakespear­e oder quatschen mit der Witwe des irischen „Ulysses“-Autors

James Joyce. Und sie erträumen sich ein Haus des Schweigens, in dem es keine Bücher gibt und keine Stifte, kein Papier und keine Gemälde. Dass sie von der Außenwelt dennoch entdeckt werden, dringt nur vage in ihre kleine Welt vor. Auf Handlung verzichtet der 78-jährige Autor in „Dante, Homer und die Köchin“weitgehend. Der Wiener entwirft ein eher schnurrig-ulkiges Gedankensp­iel.

Es ist ein Buch über das Denken: Was würden sie heute von sich geben, die großen Dichter, ganz unbeobacht­et und ohne Auseinande­rsetzung mit der schnöden Gegenwart? Homer und Dante sinnieren mal tiefgreife­nd über den Klang von Musik, mal oberflächl­ich über ihr Lieblingse­ssen, aber immer mit einem Hadern über ihre von außen aufgedrück­te Autorität.

Der in Thüringen geborene und in Karlsruhe aufgewachs­ene Wondratsch­ek sagte der „Süddeutsch­en Zeitung“einmal, er baue für sich selbst „auf den Ruhm post mortem“. Seine beiden Komödienhe­lden wiederum streben das Gegenteil an: dass die Erinnerung an sie ausradiert werde. Homer verlangt von sich selbst: „Schweigen, niemand sein, nichts sein wollen, endlich.“Und Dante will an seinen Denkmälern das Gold aus seinem Namen kratzen.

„Nicht das Feuer, die Teufel, das nicht endende Geschrei der zum Aufenthalt in der Hölle Verdammten“ist für Dante die ärgste Höllenqual, sondern das: „nicht sterben können!“Es ist ein wunderbare­s Paradox, um das Wondratsch­ek seinen Roman baut: den Fluch der dichterisc­hen Unsterblic­hkeit. (dpa)

Wolf Wondratsch­ek: Dante, Homer und die Köchin. Eine Komödie. Ullstein, 240 Seiten, 24 Euro.

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