Lindauer Zeitung

Auf der Weide ist Schluss

Allgäuer Bauer erschießt Rinder in ihrer angestammt­en Umgebung

- Von Tobias Schuhwerk

ALLGÄU - Wer ein gegrilltes Steak vor sich auf dem Teller hat oder in eine Leberkässe­mmel beißt, denkt voller Vorfreude an eines bestimmt nicht: wie das Tier getötet wurde. Schlachten gilt als eines der letzten Tabuthemen in unserer Gesellscha­ft. Zumindest unter Fleischess­ern. Herbert Siegel (55) würde daran am liebsten etwas ändern.

„Jeder, der Fleisch isst, sollte einmal einen Schlachtho­f besucht haben und sich damit auseinande­rsetzen“, sagt der Bio-Landwirt aus Missen (Oberallgäu), der als „Schlachtre­bell“bekannt wurde. Siegel kämpfte jahrelang dafür, dass seine Rinder von einem Jäger auf der Weide getötet werden dürfen. Vor fünf Jahren erhielt er schließlic­h die Genehmigun­g des Landratsam­tes Oberallgäu. Mittlerwei­le hat Siegel mit den Bio-Landwirten Franz Berchtold und Günther Rauch sowie Chefkoch Alfred Fahr die Allgäuer Weideschus­s GmbH gegründet.

Die Idee: gemeinsam eine regionale Wertschöpf­ungskette für BioKälber

und -Rinder aufzubauen. „Die Tiere werden kuhgebunde­n aufgezogen und haben ein glückliche­s Leben. Später werden sie auf der Weide geschossen, dann verarbeite­t und vermarktet“, sagt Herbert Siegel, der seinen 60 Rindern bis zum Schluss ein gutes Leben ermögliche­n will. Dazu gehört auch, dass seine Kühe Hörner tragen und die Stierkälbe­r nicht kastriert werden.

Kritiker einer herkömmlic­hen Schlachtun­g monieren, dass der Stress bereits beginne, wenn die Rinder aus ihrer Herde herausgeri­ssen und im Viehwagen zum Schlachtho­f transporti­ert werden. Dort angekommen, im sogenannte­n Treibgang, hörten sie die Schreie der anderen Tiere und würden ihr Blut riechen.

Einmal fuhr Siegel einen Bullen 20 Kilometer zum Schlachtho­f nach Kempten. Das Tier zitterte, schwitzte – und griff ihn schließlic­h an. „Da hab ich mir geschworen, das passiert mir nie wieder.“Als er von einem Bio-Bauern aus Balingen (BadenWürtt­emberg) hörte, der das Recht erstritten hatte, seine Tiere auf der Weide zu schießen, überzeugte ihn die Idee. Für Siegel ist es die „ethisch vertretbar­ste Methode“der Schlachtun­g. „Die Tiere sterben in Würde dort, wo sie gelebt haben – in der Herde.“

Als ihm die Behörden 2016 grünes Licht für die Weideschla­chtung – jeweils im Beisein eines amtlichen Tierarztes – gaben, schaffte er mit den befreundet­en Bio-Bauern Berchtold und Rauch eine sogenannte mobile Schlachtbo­x an. Darin blutet das erlegte Rind aus, ehe es ins nahe gelegene Schlachtha­us gefahren wird. Dort wird das Rind dann ausgenomme­n, enthäutet und halbiert gekühlt.

Koch Alfred Fahr übernimmt die handwerkli­che Verarbeitu­ng zu küchenfert­igen Gerichten, wie Gulasch, Rouladen oder Böfflamott, die in Gläser abgefüllt werden. Dabei wird darauf geachtet, das komplette Rind zu verarbeite­n. Über gedankenlo­sen Fleischkon­sum ärgert sich Siegel. Die Weideschus­s-Produkte finden laut Siegel reißenden Absatz. Anders als viele andere Unternehme­r hofft er, dass sein Modell kopiert wird. „Ich wäre froh um jeden Nachahmer. Zum Wohl der Tiere.“

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FOTO: MARTINA DIEMAND Bio-Landwirt Herbert Siegel will, dass seine Tiere in Würde sterben – dort, wo sie gelebt haben.

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