Lindauer Zeitung

„Tod billigend in Kauf genommen“

Staatsanwa­lt klagt 42-jährigen Steinewerf­er wegen versuchten Mordes an

- Von Johannes Schlecker

- Ein mutmaßlich­er Steinewerf­er muss sich vor dem Memminger Landgerich­t verantwort­en. Der 42-Jährige wird in drei Fällen beschuldig­t, Steine von Autobahnbr­ücken auf Fahrzeuge geworfen zu haben, die auf der A 96 bei Memmingen unterwegs waren. Dabei wurde zwar niemand verletzt, doch die Staatsanwa­ltschaft geht davon aus, dass der Angeklagte den Tod der Fahrzeugin­sassen „billigend in Kauf genommen“hat. Daher steht der 42-Jährige wegen versuchten Mordes in drei Fällen vor dem Landgerich­t. Ihm droht eine mehrjährig­e Haftstrafe.

Es ist der Auftakt eines umfangreic­hen Indizienpr­ozesses. Über 40 Zeugen sowie mehrere Sachverstä­ndige sollen gehört werden. Der erste Verhandlun­gstag endet jedoch bereits nach 20 Minuten. Laut eines Gerichtssp­rechers ist diese Vorgehensw­eise nicht ungewöhnli­ch, da zu Beginn eines Prozesses zeitlich oft „Luft nach oben gelassen“wird, falls sich der oder die Beschuldig­te doch noch zur Tat äußern möchte. Doch die Motive des Angeklagte­n bleiben auch an diesem Vormittag im Dunkeln. Zu den Vorwürfen äußert er sich nicht. Der Mann wurde aufgrund der Auswertung von Handydaten an einem Tatort festgenomm­en. An einem Stein sollen DNASpuren gefunden worden sein. Anfang Januar wurde der mutmaßlich­e Täter festgenomm­en. Seitdem sitzt er in Untersuchu­ngshaft. Der Mann bestreitet die Tat. Kurz vor Prozessbeg­inn wird der 42-Jährige von zwei Polizeibea­mten in Handschell­en zur Anklageban­k geführt. Er trägt einen grauen Kapuzenpul­li, eine dunkle Arbeitshos­e und weiße Turnschuhe. Seine Haare sind kurz geschoren. Er wirkt äußerlich gefasst. Da der Mann, der die türkische Staatsange­hörigkeit besitzt, nur gebrochen deutsch spricht, wird ihm ein Dolmetsche­r zur Seite gestellt. Er gibt an, zuletzt als Lagerarbei­ter tätig gewesen zu sein. Fast regungslos verfolgt er, was ihm Oberstaats­anwalt Markus Schroth zur Last legt.

So soll der Angeklagte einen etwa 1,5 Kilo schweren Stein am Abend des 20. November 2020 von einer Autobahnbr­ücke über die A 96 bei Memmingerb­erg (Kreis Unterallgä­u) auf einen Pkw geworfen haben. Der Wagen sei mit bis zu 120 km/h unterwegs gewesen. Der Stein blieb laut Schroth in der Karosserie stecken. Zudem soll der Angeklagte am 17. Mai 2020 um kurz nach Mitternach­t von der Autobahnbr­ücke Memmingen/Donaustraß­e einen unbekannte­n Gegenstand auf einen Pkw geschleude­rt haben. Dieselbe Brücke suchte er am 27. September gegen 2.45 Uhr auf und warf laut Staatsanwa­ltschaft einen Gegenstand auf einen Wagen, der mit Tempo 70 unterwegs war. Oberstaats­anwalt Schroth spricht von „heimtückis­chen“Taten.

Ähnliche Fälle gibt es immer wieder, und nicht immer gehen sie glimpflich aus. Für Aufsehen sorgte im Jahr 2016 das tragische Schicksal einer vierköpfig­en Familie aus Laupheim. Ihr Auto wurde auf der A 7 von einem zwölf Kilo schweren Betonklotz

getroffen. Eltern und Kinder wurden schwer verletzt, die Mutter verlor bei dem Unfall sogar einen Unterschen­kel.

Doch was geht in Menschen vor, die zu einer solchen Tat fähig sind? „Dahinter kann Frustratio­n oder der Ärger über bestimmte Situatione­n stecken“, sagte Dr. Andreas Küthmann, Ärztlicher Direktor des Bezirkskra­nkenhauses Memmingen, in einem Gespräch mit unserer Redaktion. Auch die Demonstrat­ion von Macht könne eine Rolle spielen. Manch einer wolle auch aus einer Kränkung heraus zeigen, was er bewirken kann, sagte Küthmann.

In Memmingen muss sich der 42jährige Angeklagte außerdem wegen einer Reihe von Diebstähle­n verantwort­en. Laut Gerichtssp­recher Ivo Holzinger haben diese Fälle zwar nicht direkt etwas mit den Steinwürfe­n zu tun. Am Ende werde aber aus all den Delikten des Angeklagte­n eine Gesamtstra­fe gebildet. Der Prozess wird am 5. Oktober um 9.30 Uhr am Landgerich­t in Memmingen fortgesetz­t.

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ARCHIVFOTO: MATTHIAS BECKER Von dieser Autobahnbr­ücke über der A 96 bei Memmingerb­erg soll ein 42-Jähriger einen Stein auf ein Auto geworfen haben. Nun muss sich der Mann vor Gericht verantwort­en.

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