Manche Bauern fahren Gülle quer durchs Allgäu
Teilweise kommt der Dünger sogar mit dem Tanklaster – Wer zu viel produziert, sucht Ausweichflächen
- Wofür brauchen Landwirte Wiesen und Äcker? Üblicherweise lautet die Antwort: Sie produzieren darauf Futter für ihre Tiere, Biomasse zur Energieproduktion und Lebensmittel für den Verkauf. Jetzt wird im Allgäu jedoch ein vierter Grund immer häufiger genannt: um dort Gülle ausbringen zu können. „Die Gülle fährt man derzeit rauf und runter, wo man halt gerade Flächen findet“, sagt der Unterallgäuer Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbandes (BBV), Martin Schorer. Er kenne Landwirte, die Gülle und Mist zu Flächen transportieren, die Dutzende Kilometer entfernt sind. Teilweise brächten Tanklaster die Gülle dorthin, damit die Bauern mit ihren langsamen Traktoren nicht so viel auf der Straße fahren müssten.
Einen Tanklaster, mit dessen Inhalt ein Güllefass aufgefüllt wurde, hat auch unser Leser Stefan Nitschke bei Untermaiselstein (Kreis Oberallgäu) beobachtet. Er nennt diese Szene „skurril“und fragt sich, weshalb die Landwirte diesen Aufwand betreiben. Grund könnte auch in diesem Fall eine Gesetzesänderung sein: die neue Düngeverordnung. Darin ist festgelegt, dass Landwirte in einem Jahr maximal 170 Kilo Stickstoff aus Gülle und Mist pro Hektar ausbringen dürfen – beziehungsweise bisherige Ausnahmen von dieser Regel wegfallen. So soll verhindert werden, dass mehr Stickstoff im Boden landet als die Pflanzen zum Wachsen benötigen – und der überschüssige Stickstoff als Nitrat ins Grundwasser gespült wird. Auch Allgäuer Wasserversorger hatten schon mit erhöhten Nitratwerten zu kämpfen.
Die 170-Kilo-Obergrenze gilt deutschlandweit. Viele Allgäuer Landwirte sind jedoch der Meinung, dass die Böden in der Region deutlich mehr Stickstoff aufnehmen könnten. Das hänge schließlich davon ab, wie viel man dem Boden wieder entziehe, sagt Schorer. Was er meint: Wenn Wiesen öfter im Jahr gemäht werden, wachsen die Gräser und Kräuter darauf häufiger nach und benötigen folglich mehr Stickstoff zum Wachsen. Laut Statistischem Landesamt ernteten Bauern im Ostallgäu vergangenes Jahr auf einem Hektar Wiese 9,8 Tonnen Gras. Zum Vergleich: Im Regierungsbezirk Oberfranken waren es durchschnittlich nur 5,9 Tonnen. Viele Allgäuer Landwirte standen vor dem Problem, dass ihre Kühe mehr Gülle und Mist produzieren, als sie auf ihren Feldern ausbringen dürfen. Die 170Kilo-Regel gilt jedoch nur für organischen und organisch-mineralischen Dünger wie eben Gülle. Zusätzlichen Mineraldünger dürfen die Bauern auf ihren Flächen verwenden.
Wenn nun ein Landwirt zu viel Gülle hat, „könnte er weitere Flächen kaufen oder pachten, einen Gülleabnahmevertrag
mit anderen Landwirten abschließen oder seinen Viehbestand reduzieren“, sagt Michael Eble, Geschäftsführer des Maschinenrings Ostallgäu. Etwa 260 Landwirte haben seine Kollegen in diesem Jahr bei der Umsetzung der Düngeverordnung beraten.
Wirklich sinnvoll sei es aber nicht, Wiesen allein wegen der Düngeverordnung zu kaufen oder zu pachten, sagt Eble. Erstens seien Flächen für Bauern mittlerweile sehr teuer geworden. „Zweitens haben die Landwirte dann mehr Futter, das sie aber nicht brauchen.“Weitere Tiere anzuschaffen, würde wieder zu mehr Gülle führen, sagt Eble. Und den Tierbestand zu reduzieren, bedeute weniger Einnahmen – das könnten sich viele Landwirte schlichtweg nicht leisten.
Bleibt die Möglichkeit eines Gülleabnahmevertrags. Landwirt Josef
Wagner aus Jengen (Kreis Ostallgäu) hat einen solchen Kontrakt mit anderen Ackerbauern abgeschlossen. Diese haben die 170-Kilo-Grenze nicht erreicht, da sie beispielsweise kein Vieh besitzen. Seit heuer bringt Wagner deshalb Teile seiner Gülle auf deren Äckern aus. Diese liegen knapp acht Kilometer von seinem Hof entfernt. Vom Ertrag, der dort wächst, hat Wagner nichts. Aber so hält er die Regeln der Düngeverordnung ein. „Kein Landwirt versteht, wieso er haufenweise CO2 in die Luft blasen und Diesel verfahren muss“, sagt Wagner. Mit Blick auf die Vegetation in der Region ist auch er überzeugt: „Im Allgäu wäre eine Ausnahme von der 170-Kilo-Regel gerechtfertigt.“Laut Wagner könnten die Wiesen in der Region auch mehr als 250 Kilo Stickstoff vertragen. Von ähnlichen Werten sprechen Schorer und Eble.