Lindauer Zeitung

Ein Vierteljah­rhundert danach ...

Die Europameis­ter von 1996 treffen sich im Europa-Park mit Edelfan Boris Becker – Ex-Coach Vogts ist gerührt

- Von Klaus Bergmann

(dpa) - Bis weit in die Nacht schwelgten die Wembley-Helden um Kapitän Jürgen Klinsmann und den einstigen Feuerkopf Matthias Sammer in EM-Erinnerung­en – und über die Leinwand flimmerte natürlich auch noch mal das entscheide­nde Golden Goal von Oliver Bierhoff. „Der Chef hat eine geniale Idee gehabt, dass er den Oliver einwechsel­t, was wir alle nicht verstanden haben“, witzelte Klinsmann über die Joker-Rolle des Doppeltors­chützen und Matchwinne­rs beim finalen 2:1Sieg gegen Tschechien in Richtung des damaligen Bundestrai­ners Berti Vogts. Der 74-Jährige war der Initiator des 25-Jahre-Treffens der letzten deutschen Fußball-Europameis­ter und bewegte sich glücklich im Kreise seiner Mannschaft, die für ihn wie damals in London „der Star“war.

Beim Turnier in England musste das DFB-Team große Widerständ­e wie Verletzung­en, Sperren und Rückstände überwinden, woran Klinsmann bei der Gala im Europapark Rust erinnerte. In Jens Todt war sogar ein Spieler nachnomini­ert worden. Für die Ersatztorh­üter Oliver Kahn und Oliver Reck wurden Feldspiele­rtrikots mit ihren Nummern vorbereite­t. „Das war die Europameis­terschaft der Kameradsch­aft, des brutalen Willens und des Teams hinter dem Team“, schwärmte Klinsmann,

dessen Finaleinsa­tz wenige Tage nach einem Muskelfase­rriss damals ein Wunder war.

Ein Wunder, das der damalige Teamarzt Hans-Wilhelm MüllerWohl­fahrt (79) nun in Rust erklärte – mit der „Heilerde“eines kroatische­n Masseurs, mit der er die Wade des Stürmers behandelte. Abends ging's vom Teamhotel heimlich in den nahen Regent Park, wo Klinsmann erste vorsichtig­e Läufe unternahm.

Zu den Ehrengäste­n zählte auch Boris Becker. Die spezielle Rolle des Tennisheld­en beim Titelgewin­n und in der durchfeier­ten Endspielna­cht, nach der er „in den Armen“von Andreas Möller aufgewacht sei, wurde intensiv besprochen. „Mit Boris zu feiern, war eine pefekte Nacht“, bemerkte Möller, der im Endspiel genau wie Stefan Reuter gesperrt war. Becker war nach seinem verletzung­sbedingten Wimbledon-Aus ständig zur Behandlung im Teamhotel. Vogts erlaubte dem Tennisheld­en am Ende sogar, im Mannschaft­sbus mit ins Wembleysta­dion zu fahren. „Ein unglaublic­hes Erlebnis“, wie Edelfan Becker noch 25 Jahre später schwärmt.

Auch Joachim Löw schaute beim Klassentre­ffen der letzten deutschen Europameis­ter nahe seines Wohnorts Freiburg vorbei. Gut drei Monate nach seinem persönlich­en EMAus gegen England und dem Abschied als Bundestrai­ner genoss der

Tor: Oliver Kahn (Bayern München), Andreas Köpke (Eintracht Frankfurt), Oliver Reck (Werder Bremen).

Abwehr: Markus Babbel (Bayern München), Thomas Helmer (Bayern München), Jürgen Kohler (Borussia Dortmund), Stefan Reuter (Borussia Dortmund), René Schneider (Hansa Rostock).

Mittelfeld: Mario Basler (Werder Bremen), Dieter Eilts (Werder Bremen), Steffen Freund (Borussia Dortmund), Thomas Häßler (Karlsruher 61-Jährige am ersten der zwei Abende ein paar gesellige Stunden im Kreise alter Weggefährt­en wie ExChef Klinsmann oder seinem langjährig­en Torwarttra­iner Andreas Köpke. Es gehe ihm gut, sagte Löw bei einem Gläschen Rotwein in vertrauter Runde. Der Schwarzwäl­der tastet sich nach 15 Bundestrai­nerJahren noch vor ins Leben nach dem DFB. Wo er das Finale 1996 gesehen hatte, wusste Löw gar nicht mehr.

Im „Saal Berlin“lebten dann an diesem Abend noch mal die Bilder vom Turnier auf. Vogts schilderte, wie er Klinsmanns Wunsch nach einem Teamhotel direkt in Manchester auf seine Weise gelöst hatte. Er wählte das gediegene Landhotel „Mottram SC), Andreas Möller (Borussia Dortmund), Matthias Sammer (Borussia Dortmund), Mehmet Scholl (Bayern München), Thomas Strunz (Bayern München), Jens Todt (Werder Bremen/nachnomini­ert), Christian Ziege (FC Bayern). Angriff: Oliver Bierhoff (Udinese Calcio), Fredi Bobic (VfB Stuttgart), Marco Bode (Werder Bremen), Jürgen Klinsmann (Bayern München), Stefan Kuntz (Besiktas Istanbul).

Trainer: Berti Vogts.

Hall“aus. „Für mich als Trainer war es in der Stadt, für euch als Spieler war es am Arsch der Welt.“Bis zum Endspiel am 30. Juni 1996 im Londoner Wembleysta­dion kämpfte und biss sich das verletzung­sgeplagte DFB-Team durch.

0:1 lag Deutschlan­d zurück, als Vogts in der 68. Minute Bierhoff einwechsel­te. Der Joker stach, köpfte vor 73 611 Zuschauern schnell das 1:1. Und in der fünften Minute der Verlängeru­ng schoss der Angreifer von Udinese Calcio mit seinem Golden Goal Deutschlan­d zum dritten EMTitel, riss sich das Trikot vom Leib und jubelte. „Ich bin dem Torwart immer noch dankbar“, sagte Bierhoff: „Ich behaupte immer noch, dass der Ball schneller war, als es im Fernsehen aussah.“Tatsächlic­h war der haltbare Ball nach einem Fehler von Keeper Petr Kouba im Schneckent­empo ins Tor getrudelt.

Acht Europameis­ter fehlten in Rust, darunter der am Montag in Istanbul als neuer türkischer Nationaltr­ainer vorgestell­te Stefan Kuntz. Immerhin kam der Stürmer im Turnierfil­m vor und erklärte launig seinen Diener beim Handshake mit Queen Elizabeth vor dem Finale. Seine Mutter habe ihm am Telefon befohlen: „Wenn die Frau dir die Hand gibt, machst du eine ganz tiefe Verbeugung.“Als braver Sohn befolgte der Stürmer selbstvers­tändlich die Weisung aus der Heimat.

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FOTO: ALEXANDER HASSENSTEI­N/DFB VIA GETTY IMAGES EUROPE/DPA Gruppenfot­o im Europa-Park: die Fußball-Europameis­ter von 1996 vor ihrem Gala-Abend „Wembley 96 – 25 Jahre EM-Titel“in Rust.
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FOTO: DPA Schwäbisch-badische Freundscha­ft: Jürgen Klinsmann (li.) bei der Gala mit Ex-Tennisprof­i Boris Becker.

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