Grüne und FDP am Drücker
Seit knapp 20 Jahren gibt es das Speed-Dating. In kürzester Zeit sollen sich neue Beziehungspartner finden, in der Regel wird die Teilnehmerliste auf sieben Personen beschränkt. Charakter und Spontanität werden dann abgefragt, Hobbys sind auch recht wichtig. In der Politik gibt es kein solches Verkupplungsverfahren, auch wenn seit Sonntagabend vier potenzielle Partner auf der Suche nach einem stabilen, belastbaren Verhältnis für die nächsten Jahre sind.
Zwei Männer können Bundeskanzler werden. Sie müssen in den kommenden Wochen mit Charme, Versprechungen und Kompromissfähigkeit ihre möglichen Bräute überzeugen. Liebe ist dabei nicht zwingend gefordert. SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz hat mit seinem Wahlkampf die Sozialdemokraten wieder stark gemacht. Er ist der Wahlgewinner. Er spricht bereits in der dritten Person vom Bundeskanzler Scholz. Armin Laschet, Spitzenmann der Union, hat auf den letzten Tagen vor dem Urnengang mehr Zuspruch erhalten, als noch vor wenigen Wochen die Umfragen für möglich gehalten haben. Dass er aus dem schlechtesten Ergebnis der Schwesterparteien CDU und CSU in der Geschichte der Bundesrepublik dennoch den Anspruch auf den Regierungschef ableitet, nach dieser Klatsche sogar eine „Zukunftskoalition“heraufbeschwört, mutet kühn an, ist aber ein unbestrittener Teil der Spielregeln.
Grüne und Liberale werden nun erst mal Scholz und Laschet kommen lassen. Dabei ist es in wenigen Wochen zweitrangig, ob das jetzige Ergebnis als Enttäuschung bei der Ökopartei wahrgenommen wird. Die grünen Unterhändler werden sich schnell fangen und klare Forderungen stellen. Auch die für ihre Verhältnisse starke FDP weiß, dass sie diesmal nicht schroff die Anbandelversuche zurückweisen darf. Das Spiel kann beginnen etwa in der Art: Gib du mir das Tempolimit, und ich verzichte auf die eine oder andere Steuererhöhung. Oder anders herum.
Optionen gibt es viele. Bei der Debatte über eine Solardach-Pflicht übten sich die Beteiligten der Berliner TV-Runde bereits in beachtlichen Lockerungsübungen. Doch auch eine Überraschung scheint möglich. Grüne und FDP sprechen als allererstes miteinander, sondieren konstruktiv und fordern so die zwei Kandidaten zu erheblichen Zugeständnissen. Um diese einräumen zu können, ist eine Hausmacht notwendig. Wenn Laschet es ernst meint, muss er nach dem Vorsitz der Unionsfraktion im Bundestag greifen.