Die SPD feiert ihre Rückkehr
Monatelang lag die Partei in den Umfragen deutlich hinter Union und Grünen – Jetzt will sie mit Olaf Scholz ins Kanzleramt
- Auf einen solchen Wahlabend haben die Sozialdemokraten seit Jahren gewartet. Drei Wahlen standen am Sonntag an – die Bundestagswahl, die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern und die Berliner Abgeordnetenhauswahl – und bei allen dreien zeigte ihre Ergebniskurve nach oben. Vorbei der Katzenjammer der vergangenen Monate. Zum ersten Mal seit langer Zeit wird im Willy-Brandt-Haus wieder richtig geklatscht und gejubelt. Was für eine Befreiung muss dieser Sonntag für die SPD sein. Noch vor wenigen Wochen schien es so, als hätte der Kanzlerkandidat Olaf Scholz das Rennen um das Kanzleramt bereits verloren, jetzt liegt er vorn.
„Olaf, Olaf“-Rufe ertönen, als Scholz um kurz nach 19 Uhr zusammen mit der SPD-Bundesspitze Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans
die Bühne in der Parteizentrale betritt. Zwischen den vielen Kamerateams aus aller Welt, die live dabei sein wollen, wenn sich in Deutschland nach 16 Jahren Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Machtwechsel vollziehen könnte, stehen tatsächlich auch einige Parteimitglieder und danken ihrem Spitzenkandidaten mit minutenlangem Applaus.
Scholz war eine Aufholjagd gelungen, die selbst politische Beobachter überraschte. Vor drei Monaten kam die SPD in den Umfragen gerade einmal auf 14 Prozent, die ersten Hochrechnungen am Sonntag sahen sie bei mindestens 25 Prozent – und somit knapp vor der Union. 2017 hatten die Sozialdemokraten nur 20,5 Prozent geholt.
Der Vorsprung ist nur hauchdünn, aber der SPD-Kanzlerkandidat erkennt darin ein klares Zeichen an ihn und seine Partei: „Es ist ein sehr, sehr gutes Wahlergebnis, und ich glaube, dass wir daraus auch den Auftrag auf die Regierungsbildung ableiten könnten“, sagt Scholz vor seinen Parteifreunden. Er sei froh und dankbar für das Votum der Wählerinnen und Wähler. Die Bürger hätten mit ihrer Wahl gezeigt, dass sie „wollen, dass ich versuche, eine Regierung zustande zu bringen“, so Scholz weiter. Die Balken für die SPD gingen nach oben, „die für die CDU und CSU nach unten“. Das sein ein klares Signal, „dass die Wählerinnen und Wähler hier gesetzt haben“. Immer wieder gehen seine Worte im Zwischenjubel unter. Scholz reagiert darauf fast ein wenig zurückhaltend, ab und an zeigt sich ein freudiges Lächeln auf seinem Gesicht – aber als triumphaler Wahlsieger will er sich offensichtlich noch nicht feiern lassen.
Den Erfolg der SPD an diesem Wahltag begründet Scholz mit der Zuversicht seiner Partei, ihrem Pragmatismus, vor allem aber auch mit der neuen Geschlossenheit der Sozialdemokraten, die über den Wahltag hinaus Bestand haben soll. Das betonen auch die beiden Parteivorsitzenden Esken und Walter-Borjans, die ihm für das Wahlergebnis danken. „Das ist Dein Erfolg“, sagt Esken, die sich ganz offensichtlich mit ihm freut. Auch das hatten politische Beobachter nicht unbedingt erwartet, dass es der SPD gelingt, nach dem schwierigen Wettkampf um die Parteispitze ein funktionierendes Trio aus Kanzlerkandidaten und Vorsitzenden hinzubekommen. Doch bis zum Wahltag hat das Konstrukt auf jeden Fall getragen.
Auch in Eskens Heimat BadenWürttemberg ist der Jubel an diesem Wahlabend groß. Wie Martin Gerster, Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Biberach, berichtet, sind sehr viel mehr Menschen zur SPDFeier gekommen als erwartet. „Die Stimmung beim Wahlabend in Biberach
war selten so gut wie heute“, sagt Gerster, der dem Bundestag seit 2005 angehört und sich darauf freuen kann, dass dies auch künftig der Fall sein wird. Auch er ist ganz begeistert von dem, was seine Partei in den vergangenen Wochen erreicht hat. „Viele hatten die SPD schon abgeschrieben“, sagt er. „Wir haben eine wahnsinnige Aufholjagd hingelegt und können jetzt Olaf Scholz ins Kanzleramt bringen.“
Was Gerster auch freuen dürfte: Über die Landesliste werden jetzt wieder mehr SPD-Abgeordnete in den Bundestag einziehen. Das heißt, die Zeit, in der er allein zwischen Bodensee und Biberach für seine Partei getrommelt hat, dürfte vorbei sein.
Doch bei aller Freude über den Wahlerfolg: Am Ziel ist Olaf Scholz an diesem Abend noch nicht. Denn um tatsächlich Bundeskanzler zu werden, braucht er Koalitionen, die ihn in dieses Amt tragen. Dass er sich eine Regierung mit den Grünen, die ebenfalls deutliche Gewinne zu verbuchen haben, gut vorstellen könnte, ließ er auch an diesem Wahlabend durchblicken. Aber um eine Mehrheit im Bundestag zu haben, braucht es einen Dritten im Bunde. Da blicken derzeit alle gespannt auf die FDP und ihren Vorsitzenden Christian Lindner. Die Liberalen hatten zwar vor dem Wahlabend relativ deutlich gesagt, dass sie sich in einer Koalition mit der Union besser aufgehoben fühlten als an der Seite von Rot-Grün. Doch das könnte sich ja nach dem Wahlabend ändern.
Auf eine Koalition mit Grünen und FDP setzen allerdings auch CDU und CSU, die trotz ihrer Verluste, den Plan ins Kanzleramt einzuziehen, nicht aufgegeben haben. Die Regierungsbildung könnte folglich genauso spannend wie der Wahlabend selbst werden. Die Frage, wer ganz am Ende jubelt, ist noch offen.