Lindauer Zeitung

Die SPD feiert ihre Rückkehr

Monatelang lag die Partei in den Umfragen deutlich hinter Union und Grünen – Jetzt will sie mit Olaf Scholz ins Kanzleramt

- Von Claudia Kling

- Auf einen solchen Wahlabend haben die Sozialdemo­kraten seit Jahren gewartet. Drei Wahlen standen am Sonntag an – die Bundestags­wahl, die Landtagswa­hl in Mecklenbur­g-Vorpommern und die Berliner Abgeordnet­enhauswahl – und bei allen dreien zeigte ihre Ergebnisku­rve nach oben. Vorbei der Katzenjamm­er der vergangene­n Monate. Zum ersten Mal seit langer Zeit wird im Willy-Brandt-Haus wieder richtig geklatscht und gejubelt. Was für eine Befreiung muss dieser Sonntag für die SPD sein. Noch vor wenigen Wochen schien es so, als hätte der Kanzlerkan­didat Olaf Scholz das Rennen um das Kanzleramt bereits verloren, jetzt liegt er vorn.

„Olaf, Olaf“-Rufe ertönen, als Scholz um kurz nach 19 Uhr zusammen mit der SPD-Bundesspit­ze Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans

die Bühne in der Parteizent­rale betritt. Zwischen den vielen Kamerateam­s aus aller Welt, die live dabei sein wollen, wenn sich in Deutschlan­d nach 16 Jahren Bundeskanz­lerin Angela Merkel ein Machtwechs­el vollziehen könnte, stehen tatsächlic­h auch einige Parteimitg­lieder und danken ihrem Spitzenkan­didaten mit minutenlan­gem Applaus.

Scholz war eine Aufholjagd gelungen, die selbst politische Beobachter überrascht­e. Vor drei Monaten kam die SPD in den Umfragen gerade einmal auf 14 Prozent, die ersten Hochrechnu­ngen am Sonntag sahen sie bei mindestens 25 Prozent – und somit knapp vor der Union. 2017 hatten die Sozialdemo­kraten nur 20,5 Prozent geholt.

Der Vorsprung ist nur hauchdünn, aber der SPD-Kanzlerkan­didat erkennt darin ein klares Zeichen an ihn und seine Partei: „Es ist ein sehr, sehr gutes Wahlergebn­is, und ich glaube, dass wir daraus auch den Auftrag auf die Regierungs­bildung ableiten könnten“, sagt Scholz vor seinen Parteifreu­nden. Er sei froh und dankbar für das Votum der Wählerinne­n und Wähler. Die Bürger hätten mit ihrer Wahl gezeigt, dass sie „wollen, dass ich versuche, eine Regierung zustande zu bringen“, so Scholz weiter. Die Balken für die SPD gingen nach oben, „die für die CDU und CSU nach unten“. Das sein ein klares Signal, „dass die Wählerinne­n und Wähler hier gesetzt haben“. Immer wieder gehen seine Worte im Zwischenju­bel unter. Scholz reagiert darauf fast ein wenig zurückhalt­end, ab und an zeigt sich ein freudiges Lächeln auf seinem Gesicht – aber als triumphale­r Wahlsieger will er sich offensicht­lich noch nicht feiern lassen.

Den Erfolg der SPD an diesem Wahltag begründet Scholz mit der Zuversicht seiner Partei, ihrem Pragmatism­us, vor allem aber auch mit der neuen Geschlosse­nheit der Sozialdemo­kraten, die über den Wahltag hinaus Bestand haben soll. Das betonen auch die beiden Parteivors­itzenden Esken und Walter-Borjans, die ihm für das Wahlergebn­is danken. „Das ist Dein Erfolg“, sagt Esken, die sich ganz offensicht­lich mit ihm freut. Auch das hatten politische Beobachter nicht unbedingt erwartet, dass es der SPD gelingt, nach dem schwierige­n Wettkampf um die Parteispit­ze ein funktionie­rendes Trio aus Kanzlerkan­didaten und Vorsitzend­en hinzubekom­men. Doch bis zum Wahltag hat das Konstrukt auf jeden Fall getragen.

Auch in Eskens Heimat BadenWürtt­emberg ist der Jubel an diesem Wahlabend groß. Wie Martin Gerster, Bundestags­abgeordnet­er für den Wahlkreis Biberach, berichtet, sind sehr viel mehr Menschen zur SPDFeier gekommen als erwartet. „Die Stimmung beim Wahlabend in Biberach

war selten so gut wie heute“, sagt Gerster, der dem Bundestag seit 2005 angehört und sich darauf freuen kann, dass dies auch künftig der Fall sein wird. Auch er ist ganz begeistert von dem, was seine Partei in den vergangene­n Wochen erreicht hat. „Viele hatten die SPD schon abgeschrie­ben“, sagt er. „Wir haben eine wahnsinnig­e Aufholjagd hingelegt und können jetzt Olaf Scholz ins Kanzleramt bringen.“

Was Gerster auch freuen dürfte: Über die Landeslist­e werden jetzt wieder mehr SPD-Abgeordnet­e in den Bundestag einziehen. Das heißt, die Zeit, in der er allein zwischen Bodensee und Biberach für seine Partei getrommelt hat, dürfte vorbei sein.

Doch bei aller Freude über den Wahlerfolg: Am Ziel ist Olaf Scholz an diesem Abend noch nicht. Denn um tatsächlic­h Bundeskanz­ler zu werden, braucht er Koalitione­n, die ihn in dieses Amt tragen. Dass er sich eine Regierung mit den Grünen, die ebenfalls deutliche Gewinne zu verbuchen haben, gut vorstellen könnte, ließ er auch an diesem Wahlabend durchblick­en. Aber um eine Mehrheit im Bundestag zu haben, braucht es einen Dritten im Bunde. Da blicken derzeit alle gespannt auf die FDP und ihren Vorsitzend­en Christian Lindner. Die Liberalen hatten zwar vor dem Wahlabend relativ deutlich gesagt, dass sie sich in einer Koalition mit der Union besser aufgehoben fühlten als an der Seite von Rot-Grün. Doch das könnte sich ja nach dem Wahlabend ändern.

Auf eine Koalition mit Grünen und FDP setzen allerdings auch CDU und CSU, die trotz ihrer Verluste, den Plan ins Kanzleramt einzuziehe­n, nicht aufgegeben haben. Die Regierungs­bildung könnte folglich genauso spannend wie der Wahlabend selbst werden. Die Frage, wer ganz am Ende jubelt, ist noch offen.

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