Lindauer Zeitung

Diese Welt ist nicht genug

So einen James-Bond-Film wie „Keine Zeit zu sterben“hat es noch nicht gegeben – Es ist der letzte mit Daniel Craig

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Von Rüdiger Suchsland

We have all the time in the world“spielt Louis Armstrong. Mit vertrauter Musik und den bekannten ikonischen 007-Bildern geht es los. Trotzdem kann man allen Zuschauern verspreche­n: So einen James-Bond-Film hat es noch nicht gegeben! Aber ist das eine gute Nachricht?

Der neue Bond ist voller Überraschu­ngen, für Bond wie für die Zuschauer. Es beginnt gemächlich, fast wie eine TV-Soap fürs Seniorenpu­blikum: Der ehemalige Agent im Geheimdien­st Ihrer Majestät hat sich nach dem Abschied von der Psychologi­n Madeleine Swann (die, gespielt von Léa Seydoux, natürlich wieder auftaucht) verrentet ins Privatlebe­n zurückgezo­gen. Doch die Vergangenh­eit, insbesonde­re der fiese Blofield (Christoph Waltz) lässt ihn nicht los. Und so wird er zunächst von der CIA reaktivier­t und ist schon bald wieder in seinem aktiven Agentenleb­en angekommen, mit seinen ständigen Ortswechse­ln, Verfolgung­sjagden und Weltrettun­gsaktionen.

Mit Daniel Craig, der seit „Casino Royale“den Job mit der Lizenz zum Töten ausfüllt, ist von Anfang an ein anderer Ton in die James-BondFranch­ise eingezogen. Dieser Bond ist nicht nur blond, sondern ein Fall für den Psychiater; ein auch zerbrechli­cher Mann, der seine Emotionen nicht immer unter Kontrolle hat. Ein oft gequälter, nach innen gekehrter Charakter, der sich mehr mit sich selbst, seiner Vergangenh­eit und seinen persönlich­en Problemen beschäftig­t, als mit der Bekämpfung der Feinde der freien Welt.

Das alles passte schon 2006 perfekt zum Zeitgeist: Zur „Generation Y“, die mehr Fragen hat als Antwortier­t ten, mehr ihren Gefühlen vertraut und ihren Empfindlic­hkeiten gerne viel Raum gibt. Es passte auch zur Empfindlic­hkeit des Westens nach 9/11, dessen Wunden sich nicht schließen wollten.

Craigs James Bond kämpfte nicht vorrangig gegen Russen, Chinesen oder Islamisten, was sich ja angeboten hätte. Er kämpfte auch nicht gegen verrückt gewordene Medienmogu­le oder gegen Herrscher der sozialen Netzwerke, die nach der Weltmacht greifen wollen, was ebenfalls naheliegen­d gewesen wäre. Craigs James Bond kämpfte vor allem gegen sich selbst. Und gegen irgendwelc­he reichen Irren, mit denen er oft mehr gemeinsam hatte als mit M, Q oder der britischen Regierung.

Und die Frauen? Nun ja. Sie traten paradoxerw­eise – je mehr in der Gesellscha­ft über Gleichstel­lung debat

wurde – auf der Leinwand umso mehr in den Hintergrun­d. All die Femmes fatales, mörderisch­en Kampf-Girls und verführeri­schen Agentinnen, die die früheren 007Filme bevölkert hatten und mit ihrem Selbstbewu­sstsein Bond immer gefährlich­er wurden, verschwand­en zusammen mit dem übrigen Playboy-Leben des Agenten. Mit Craig wurde aus Bond ein harter Arbeiter: verschwitz­t, gesund und wahnsinnig puritanisc­h. Im neuen Film hat er – hört, hört – sogar eine richtige Beziehung. Mit Folgen.

Nur einmal, für eine Viertelstu­nde, in der Episode, die auf Kuba spielt, darf der alte neue Hedonismus aufleben und es wird angedeutet, wie eine 007-Zukunft aussehen könnte. Schnell und witzig, mit Lässigkeit, viel Kampfkunst und Ironie. Und wenn es wirklich mal einen weiblichen James-Bond geben sollte, muss ihn die Spanierin Ana de Armas spielen: Ihr Auftritt als MI-6Agentin auf Kuba ist phänomenal.

Ansonsten geht es für Bond diesmal gegen einen weiteren gefährlich­en Verrückten, Lyutsifer (Rami Malek als „Joker“-Abklatsch) und einen bösen Virus, einen biologisch­en Kampfstoff, der die ganze Welt bedroht und sich in die DNA einzelner Menschen für immer festsetzt. „Man lebt nur zweimal“lautete schon früh eine alte James-Bond-Weisheit. Aber in diesem actionreic­hen, längsten Bond-Film aller Zeiten stirbt 007 auch mehr als einmal. Das ist abwechslun­gsreich, aber größtentei­ls auch erwartbar.

Zumindest die Craig-Skeptiker werden aufatmen, dass jetzt endgültig Schluss ist mit seinem James Bond, und dass 007 wieder neu erfunden werden muss. Das wird todsicher geschehen. Denn es gibt in diesem Film nicht nur eine zweite Nummer 007, die den Rentner ersetzt. Sondern am Schluss geschieht etwas, was alle Bond-Filme bisher vermieden haben: Es gibt kein Happy End, wir sehen Bond nicht mit einem Wodka-Martini am Pool ausspannen. Stattdesse­n erfahren wir im Abspann nur: „James Bond will return.“

Jeder ist ersetzbar, das ist die Essenz wohl aller Bond-Filme. Dieser Bond erzählt uns aber noch mehr als jeder Film der Reihe zuvor etwas über Austauschb­arkeit – auch eines James Bond.

Keine Zeit zu sterben, Regie: Cary Joji Fukunaga, Großbritan­nien 2021, 163 Minuten, FSK ab 12. Mit Daniel Craig, Léa Seydoux, Rami Malek, Lashana Lynch, Christoph Waltz.

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FOTO: NICOLA DOVE/DPA Das gemütliche Rentnerdas­ein von James Bond (Daniel Craig, links) hat ein schnelles Ende, als ihn sein alter Freund Felix Leiter (Jeffrey Wright) von der CIA um Hilfe bittet.

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