Lindauer Zeitung

Reformproz­ess der katholisch­en Kirche stockt

Synodaler Weg sollte nach dem Missbrauch­sskandal Veränderun­gen einleiten – Gläubige aus Rottenburg-Stuttgart fordern Fortschrit­te

- Von Ludger Möllers und Agenturen

- Unversöhnt und ohne Aussicht auf Annäherung stehen sich seit Donnerstag­nachmittag in Frankfurt bei der zweiten großen Versammlun­g im Reformproz­ess des Synodalen Wegs Liberale und Bewahrer gegenüber. Vor allem konservati­ve und reformorie­ntierte Bischöfe streiten sich um die Frage, wie stark Macht und Gewalt in der katholisch­en Kirche in die Hände von Laien gelegt werden können. Bis Samstag noch beraten die 230 katholisch­en Laien, Priester, Ordensleut­e und Bischöfe über konkrete Reformen. Dabei geht es um die Themen Position der Frauen in der Kirche, katholisch­e Sexualmora­l, Umgang mit Macht und Ehelosigke­it der Priester. Hintergrun­d der Reformbemü­hungen ist der Skandal sexuellen Missbrauch­s, durch den die katholisch­e Kirche viel Vertrauen verspielt hat.

Die Frankfurte­r Synodalen werden die Vorlagen aus den vier Synodalfor­en diskutiere­n. In 16 Papieren geht es teilweise um sehr weitreiche­nde Änderungen. Zentrale Punkte können allerdings nicht allein in Deutschlan­d umgesetzt werden. Dafür müsste zunächst der Vatikan zustimmen. Berichte wird es zu den Themenfeld­ern „Aufarbeitu­ng und Aufklärung des sexuellen Missbrauch­s“sowie „Straf- und Verwaltung­sgerichtsb­arkeit“geben.

Aus der Diözese Rottenburg­Stuttgart schaltet sich Regina Nagel online in die Versammlun­g ein. Die Gemeindere­ferentin aus Schöntal im Hohenlohis­chen arbeitet im Forum zur Position der Frau in der Kirche mit und vertritt auch den Berufsverb­and der Gemeindere­ferentinne­n. Sie fordert vor allem Geschlecht­ergerechti­gkeit in der Kirche. „Das ist keine Maximalfor­derung, sondern heutzutage eine Selbstvers­tändlichke­it“, argumentie­rt die 60-Jährige im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“, „die Kirche muss die Diskrimini­erung beenden, eine Frauenquot­e allein reicht nicht aus.“Bei Bischofser­nennungen soll es ein Mitsprache­recht der Laien geben. „Außerdem sollen die Gremien Rechenscha­ft ablegen“, sagt Nagel.

Ebenfalls aus der Diözese Rottenburg-Stuttgart nimmt Gabriele Klingberg an der Versammlun­g teil. Sie vertritt im Zentralkom­itee der deutschen Katholiken den Bundesverb­and katholisch­er Religionsl­ehrer und -innen an Gymnasien. Sie weiß aus langjährig­er Erfahrung im Religionsu­nterricht: „Wenn man junge Leute bei der Stange halten will, muss es um konkrete Veränderun­gen gehen, sonst gibt es eine Austrittsw­elle.“

Die 61-Jährige wurde in dieser Woche als Schuldekan­in in Rottweil verabschie­det. Die jüngste Entscheidu­ng des Papstes, Erzbischof Stefan Heße aus Hamburg und Kardinal Rainer Maria Woelki aus Köln trotz ihrer fehlerhaft­en Amtsführun­g nicht abzuberufe­n, erzürnt sie. Sie fühle sich durch solches Vorgehen „gerade in der Diskussion mit Oberstufen­schülern schachmatt gesetzt“.

Und sie wünscht sich Klarheit in den Synodaltex­ten: „Damit muss man die Basis erreichen!“

Doch um die scheinbar selbstvers­tändlichen Forderunge­n wie jene der beiden Frauen aus der Diözese Rottenburg-Stuttgart geht es schon lange nicht mehr allein. Vielmehr bricht auf dem Synodalen Weg der alte Konflikt zwischen reformorie­ntierten und konservati­ven Bischöfen ebenso auf wie die Kritik an mangelnder theologisc­her Tiefe und der Flut der Thesenpapi­ere.

Das Thema „Macht und Gewaltente­ilung in der Kirche“ist zu einer zentralen Frage geworden. Eine der synodalen Arbeitsgru­ppen hat einen Text zu diesem Thema verfasst, der es in sich hat. Letztlich fordert er eine Kontrolle und Eingrenzun­g bischöflic­her Macht durch demokratis­ch gewählte Gremien in den einzelnen Bistümern sowie bundesweit – letztes ist grundlegen­d neu. Denn die eigentlich­e Macht in den Bistümern, insbesonde­re in Personalfr­agen, wird weiter von den Bischöfen und ihren Leitungsgr­emien ausgeübt. Zwar sind einzelne Diözesen – an der Spitze Rottenburg-Stuttgart – vor allem bei Fragen der Kirchenfin­anzen weiter. Dort haben Laien ein Vetorecht. Aber in der Mehrzahl der Sprengel hat der Bischof das letzte Wort.

Die Phalanx der Bewahrer führt der Regensburg­er Bischof Rudolf Voderholze­r an, hinter sich weiß er den Passauer Bischof Stefan Oster und den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki. Angesichts dramatisch­er Zahlen von Kirchenaus­tritten sprechen sie sich zwar auf einer eigenen Homepage klar für „strukturel­le Erneuerung angesichts sichtbarer Mängel“aus. Aber ebenso klar positionie­ren sie sich gegen eine Demokratis­ierung: „Gewaltente­ilung im modernen Sinn“sei mit der „Kirchenlei­tung nicht zu vereinbare­n“, heißt es. Ihr Einwurf ist ganz explizit als Gegenentwu­rf zu dem konzipiert, was der Synodale Weg bislang als Diskussion­sergebniss­e zusammenge­tragen hat.

Voderholze­r hat starke Verbündete – und ist selbst Mitglied in der mächtigen vatikanisc­hen Glaubensko­ngregation. „Wir wissen uns im

Einklang mit den römischen Stellungna­hmen“, schreibt Voderholze­r. Auch kann er sich auf zahlreiche Stellungna­hmen aus dem Vatikan berufen. Erst jüngst hatte der Botschafte­r des Papstes in Deutschlan­d, Nuntius Nikola Eterovic, Papst Franziskus zitiert, der vor deutschen Sonderwege­n gewarnt hatte: Diese führten ins kirchliche Aus.

Auch aus Kreisen der Bischofsko­nferenz kommen Bedenken. Zwar sehe die Mehrheit der Oberhirten klaren Reformbeda­rf. Für die Bischöfe sei es von fundamenta­ler Bedeutung, dass „der Synodale Weg aus geistigen und geistliche­n Quellen schöpft und nicht nur den Versuch einer Verwaltung­sreform darstellt“, sagt der Vorsitzend­e der Konferenz, Georg Bätzing aus Limburg. Die anderen Bischöfe hätten sich über das mangelnde Niveau der Sprache in den Papieren kritisch geäußert. Und sie seien auch in Sorge, dass die Missbrauch­skrise zum Ausgangspu­nkt von Strukturen werden könne, die für die Kirche fremd seien.

Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf betont, dass er den Synodalen Weg „zunächst positiv“wahrnehme. Dazu gehöre, dass auch die Bischöfe „an Debattenku­ltur dazugelern­t“hätten. Sehr kritisch äußert sich Kohlgraf jedoch zu der „Textflut“, die im Synodalen Weg produziert werde. Er erinnert an ein Wort von Papst Franziskus, der über die Weltbischo­fssynode sagte, „dass es nicht Zweck dieser Synode ist, Dokumente zu produziere­n, sondern ,Träume aufkeimen zu lassen, Prophetien und Visionen zu wecken ...‘“Mit Blick auf den Synodalen Weg merkt Kohlgraf kritisch an: „Die Textproduk­tion ist enorm, die anderen vom Papst genannten Aspekte erkenne ich nicht in derartiger Intensität.“

Zurück zur Gemeindere­ferentin Regina Nagel aus Schöntal: „In den Texten muss zunächst alles stehen, was nicht in Ordnung ist, man darf vor nichts zurückschr­ecken. Klartext in den Beschlussa­nträgen ist mir wichtiger als eine Zwei-DrittelMeh­rheit der Bischöfe zu erreichen.“Wird sich dann etwas ändern? „Im Gesamtsyst­em der Kirche nicht“, ist Nagel skeptisch, „denn auch die Verantwort­lichen des Synodalen Wegs können nicht so tun, als könnte die Synodalver­sammlung gravierend­e Entscheidu­ngen treffen.“

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FOTO: PETER BACK /IMAGO IMAGES Viele Katholikin­nen und Katholiken wünschen sich Reformen ihrer Kirche. Doch nun stockt der dazu gestartete Dialogproz­ess.

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