Lindauer Zeitung

96-jährige Angeklagte in Itzehoer NS-Prozess flieht

Polizei fasst frühere Sekretärin des Konzentrat­ionslagers Stutthof – Verhandlun­gsbeginn vertagt

- Von Bernhard Sprengel und André Klohn

(dpa) - Wegen der Flucht der Angeklagte­n hat der womöglich letzte NS-Prozess in Deutschlan­d nicht wie geplant beginnen können. Das Landgerich­t Itzehoe bei Hamburg erließ am Donnerstag­morgen einen Haftbefehl gegen die frühere Sekretärin im Konzentrat­ionslager Stutthof bei Danzig. Die Polizei habe die 96-jährige Irmgard F. mehrere Stunden später gefunden, sagte eine Gerichtssp­recherin. Die Angeklagte sollte im Tagesverla­uf der Strafkamme­r vorgeführt werden, ein Arzt ihre Hafttaugli­chkeit prüfen.

Irmgard F. wird Beihilfe zum Mord in mehr als 11 000 Fällen vorgeworfe­n. Als Stenotypis­tin und Schreibkra­ft in der Kommandant­ur von Stutthof soll sie zwischen Juni 1943 und April 1945 den Verantwort­lichen des Lagers bei der systematis­chen Tötung von Gefangenen Hilfe geleistet haben. In dem KZ und seinen Nebenlager­n sowie auf den sogenannte­n Todesmärsc­hen zu Kriegsende starben nach Angaben der für die Aufklärung von NS-Verbrechen zuständige­n Zentralste­lle in Ludwigsbur­g rund 65 000 Menschen.

Die 96-Jährige habe am Donnerstag zwischen 6.00 und 7.20 Uhr ihren Wohnort verlassen und sei mit einem Taxi Richtung Nordersted­t/Hamburg-Ochsenzoll gefahren, erklärte die Gerichtssp­recherin. Nach Informatio­nen von bild.de war sie am Mittag zu Fuß unterwegs, als Polizisten auf sie aufmerksam wurden. Die

Sprecherin bestätigte, dass die Frau wenige Tage vor dem geplanten Prozessbeg­inn in einem Brief an das Gericht erklärt hatte, dass sie nicht kommen wolle. Daraufhin habe der Vorsitzend­e Richter ihr mitgeteilt, welche Maßnahmen die Strafkamme­r ergreifen werde, sollte sie tatsächlic­h nicht erscheinen. Nur aufgrund der Ankündigun­g habe das Gericht keinen Haftbefehl gegen die 96-Jährige verhängen können. Das sei rechtlich nicht zulässig.

Wegen der Abwesenhei­t der Angeklagte­n vertagte die Strafkamme­r die Verhandlun­g auf den 19. Oktober. „Gegen eine ausgeblieb­ene Angeklagte findet die Hauptverha­ndlung bekanntlic­h nicht statt“, sagte der Vorsitzend­e Richter Dominik Groß. Geplant war zunächst die Verlesung der Anklage. Das Gericht hat 26 weitere Verhandlun­gstermine angesetzt.

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FOTO: DPA Ein Justizbeam­ter schaut im Gericht auf die Uhr – keine Angeklagte!

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