Fahrerlos in Friedrichshafen
ZF zeigt mit der dritten Generation seines autonom fahrenden Shuttles wie ÖPNV künftig funktionieren kann
- Es ist sechs Meter lang, 2,10 Meter breit und 2,80 Meter hoch, bietet Platz für bis zu 22 Personen und sieht knuffig aus: der autonom fahrende und elektrisch angetriebene Shuttle-Bus des Automobilzulieferers ZF. Am Donnerstag präsentierte der Konzern vom Bodensee die dritte Generation dieser Fahrzeuge erstmals der Öffentlichkeit – und zwar im Live-Betrieb.
Der öffentliche Verkehr ist für die Shuttles zwar noch tabu. Doch auf dem Testgelände von ZF in Friedrichshafen am Bodensee konnte sich Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) bereits einen Eindruck von den Fahrleistungen des Transportsystems machen, das in nicht allzu ferner Zukunft den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in Städten und auf dem Land revolutionieren soll.
Die Türen schließen sich, und mit einem leisen surren verlässt der Group Rapid Transport 3 (GRT 3) – auf deutsch so viel wie „Schneller Gruppentransporter der dritten Generation“– die Einstiegsrampe. Nach einer Rechtskurve nimmt das Shuttle Fahrt auf und prescht mit vier Fahrgästen und ZF-Entwicklungsingenieur Wolfgang Kinzelmann davon.
Gesteuert wird der Minibus via GPS und einem im Fahrbahnbelag verbauten Magnetsystem, das ZF zur Lokalisierung des Fahrzeugs nutzt. „Weicht das Shuttle zehn Zentimeter von diesen Magneten ab, wird es automatisch gestoppt“, erklärt Kinzelmann. Das soll den sicheren und wetterunabhängigen Betrieb ermöglichen – egal ob auf einem abgeschlossenen Gelände wie einem Gewerbepark oder als Zubringer vom Vorort zur nächsten Bahnhaltestelle.
Eine Gelegenheit, seine inneren Werte unter Beweis zu stellen, bietet sich dem GRT 3 dann auch noch: Ein Rabe fliegt ins Sensorfeld des Shuttles, das augenblicklich abbremst. Nachdem das Federvieh das Weite sucht, nimmt GRT 3 wieder Fahrt auf und bringt die fünf Insassen sicher zurück zur Ausstiegsrampe.
Torsten Gollewski, bei ZF verantwortlich für den Bereich autonomes Fahren, ist zufrieden mit der Vorstellung. Doch der Testbetrieb ist das eine, das Fahren unter Realbedingungen das andere. ZF sieht sich dabei auf einem guten Weg. Im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“macht der Manager deutlich, die autonomen Shuttles alsbald auf deutsche Straßen bringen zu wollen.
Ein Vorläufersystem sei bereits seit 1999 in Rotterdam in Betrieb, und bringe täglich 3000 Fahrgäste zum Rivium Business Park. Über die Jahre habe ZF mehr als 100 Millionen Kilometer Erfahrung in der autonomen Personenbeförderung gesammelt, und mehr als 14 Millionen Menschen befördert. Nun komme es darauf an, das auch hierzulande unter Realbedingungen zu testen, sagte Gollewski.
Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist mit dem Ende Juli in Kraft getretenen Gesetz zum autonomen Fahren in Deutschland bereits getan. Als erstes Land weltweit hat die Bundesrepublik damit den Rechtsrahmen geschaffen, dass autonome Fahrzeuge der Stufe 4 im öffentlichen Straßenverkehr im Regelbetrieb fahren können.
Und damit dieser Rechtsrahmen im Südwesten auch mit Leben gefüllt wird, stellt Baden-Württemberg Fördermillionen für nachhaltige, flexible und individualisierte Transportkonzepte zur Verfügung, die städtische Bezirke entlasten und auf dem Land öffentliche Verkehrsmittel besser verfügbar machen sollen.
Insgesamt 14 Millionnen Euro fließen in das Projekt „Reallabor für den Automatisierten Busbetrieb im ÖPNV in der Stadt und auf dem Land“– kurz RABus – in dem ZF Konsortialpartner ist und die Shuttles
stellt. Diese sollen bis Ende 2023 in Mannheim und in Friedrichshafen im ÖPNV-Betrieb eingesetzt und erprobt werden.
Während der Schwerpunkt in Mannheim auf dem innerstädtischen, fahrerlosen Betrieb im Mischverkehr in einem neuen Stadtquartier liegt, sollen die ZF-Shuttles in Friedrichshafen auch über Land fahren und bis Mitte 2024 den örtlichen ÖPNV ergänzen. Dabei sollen die Fahrzeuge mit akzeptablen Geschwindigkeiten im regulären Verkehr „mitschwimmen“können – innerorts mit mindestens 40 und außerorts mit mindestens 60 Stundenkilometern.
RABus entstand aus dem Strategiedialog Automobilwirtschaft Baden-Württemberg, ein Forum mit Vertretern aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft dessen Ziel es ist, den Transformationsprozess der baden-württembergischen Automobilindustrie zu meistern, und das auch Weichen für eine nachhaltige und klimaschonende Mobilität im Südwesten stellen soll.
Für Verkehrsminister Hermann ein „Leuchtturmprojekt“, an dem der Konzern vom Bodensee entscheidenden Anteil habe, denn: „ZF liefert“, sagte der Grünen-Politiker. ZF selbst setzt große Hoffnungen in seine Shuttles, die bei der niederländischen Tochter 2getthere entwickelt werden, und in denen der ZF-Hochleistungsrechner ZF Pro AI werkelt. Intern geht man in Friedrichshafen von einer Verdreifachung des Mobilitätsbedarfs in Städten in den kommenden Jahren aus. Dieser Mobilitätsbedarf könnte schnell und flexibel über autonome Transportsysteme gelöst werden, indem man dem Individualverkehr „einfach eine Spur wegnimmt und diese für Shuttles freimacht“, schlägt ZF-Manager Gollewski vor.
Mit einer bedarfsgerechten Taktung und einer nahtlosen Anbindung an andere öffentliche Verkehrsmittel wie Bus und Bahn stellten sie eine echte Alternative zum eigenen Auto dar. Zudem ließen sich die kleinen Fahrzeuge auch auf weniger ausgelasteten Strecken wirtschaftlich betreiben und ermöglichten längere Betriebszeiten.