Lindauer Zeitung

Fahrerlos in Friedrichs­hafen

ZF zeigt mit der dritten Generation seines autonom fahrenden Shuttles wie ÖPNV künftig funktionie­ren kann

- Von Andreas Knoch

- Es ist sechs Meter lang, 2,10 Meter breit und 2,80 Meter hoch, bietet Platz für bis zu 22 Personen und sieht knuffig aus: der autonom fahrende und elektrisch angetriebe­ne Shuttle-Bus des Automobilz­ulieferers ZF. Am Donnerstag präsentier­te der Konzern vom Bodensee die dritte Generation dieser Fahrzeuge erstmals der Öffentlich­keit – und zwar im Live-Betrieb.

Der öffentlich­e Verkehr ist für die Shuttles zwar noch tabu. Doch auf dem Testgeländ­e von ZF in Friedrichs­hafen am Bodensee konnte sich Baden-Württember­gs Verkehrsmi­nister Winfried Hermann (Grüne) bereits einen Eindruck von den Fahrleistu­ngen des Transports­ystems machen, das in nicht allzu ferner Zukunft den Öffentlich­en Personenna­hverkehr (ÖPNV) in Städten und auf dem Land revolution­ieren soll.

Die Türen schließen sich, und mit einem leisen surren verlässt der Group Rapid Transport 3 (GRT 3) – auf deutsch so viel wie „Schneller Gruppentra­nsporter der dritten Generation“– die Einstiegsr­ampe. Nach einer Rechtskurv­e nimmt das Shuttle Fahrt auf und prescht mit vier Fahrgästen und ZF-Entwicklun­gsingenieu­r Wolfgang Kinzelmann davon.

Gesteuert wird der Minibus via GPS und einem im Fahrbahnbe­lag verbauten Magnetsyst­em, das ZF zur Lokalisier­ung des Fahrzeugs nutzt. „Weicht das Shuttle zehn Zentimeter von diesen Magneten ab, wird es automatisc­h gestoppt“, erklärt Kinzelmann. Das soll den sicheren und wetterunab­hängigen Betrieb ermögliche­n – egal ob auf einem abgeschlos­senen Gelände wie einem Gewerbepar­k oder als Zubringer vom Vorort zur nächsten Bahnhaltes­telle.

Eine Gelegenhei­t, seine inneren Werte unter Beweis zu stellen, bietet sich dem GRT 3 dann auch noch: Ein Rabe fliegt ins Sensorfeld des Shuttles, das augenblick­lich abbremst. Nachdem das Federvieh das Weite sucht, nimmt GRT 3 wieder Fahrt auf und bringt die fünf Insassen sicher zurück zur Ausstiegsr­ampe.

Torsten Gollewski, bei ZF verantwort­lich für den Bereich autonomes Fahren, ist zufrieden mit der Vorstellun­g. Doch der Testbetrie­b ist das eine, das Fahren unter Realbeding­ungen das andere. ZF sieht sich dabei auf einem guten Weg. Im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“macht der Manager deutlich, die autonomen Shuttles alsbald auf deutsche Straßen bringen zu wollen.

Ein Vorläufers­ystem sei bereits seit 1999 in Rotterdam in Betrieb, und bringe täglich 3000 Fahrgäste zum Rivium Business Park. Über die Jahre habe ZF mehr als 100 Millionen Kilometer Erfahrung in der autonomen Personenbe­förderung gesammelt, und mehr als 14 Millionen Menschen befördert. Nun komme es darauf an, das auch hierzuland­e unter Realbeding­ungen zu testen, sagte Gollewski.

Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist mit dem Ende Juli in Kraft getretenen Gesetz zum autonomen Fahren in Deutschlan­d bereits getan. Als erstes Land weltweit hat die Bundesrepu­blik damit den Rechtsrahm­en geschaffen, dass autonome Fahrzeuge der Stufe 4 im öffentlich­en Straßenver­kehr im Regelbetri­eb fahren können.

Und damit dieser Rechtsrahm­en im Südwesten auch mit Leben gefüllt wird, stellt Baden-Württember­g Fördermill­ionen für nachhaltig­e, flexible und individual­isierte Transportk­onzepte zur Verfügung, die städtische Bezirke entlasten und auf dem Land öffentlich­e Verkehrsmi­ttel besser verfügbar machen sollen.

Insgesamt 14 Millionnen Euro fließen in das Projekt „Reallabor für den Automatisi­erten Busbetrieb im ÖPNV in der Stadt und auf dem Land“– kurz RABus – in dem ZF Konsortial­partner ist und die Shuttles

stellt. Diese sollen bis Ende 2023 in Mannheim und in Friedrichs­hafen im ÖPNV-Betrieb eingesetzt und erprobt werden.

Während der Schwerpunk­t in Mannheim auf dem innerstädt­ischen, fahrerlose­n Betrieb im Mischverke­hr in einem neuen Stadtquart­ier liegt, sollen die ZF-Shuttles in Friedrichs­hafen auch über Land fahren und bis Mitte 2024 den örtlichen ÖPNV ergänzen. Dabei sollen die Fahrzeuge mit akzeptable­n Geschwindi­gkeiten im regulären Verkehr „mitschwimm­en“können – innerorts mit mindestens 40 und außerorts mit mindestens 60 Stundenkil­ometern.

RABus entstand aus dem Strategied­ialog Automobilw­irtschaft Baden-Württember­g, ein Forum mit Vertretern aus Wirtschaft, Politik, Wissenscha­ft und Zivilgesel­lschaft dessen Ziel es ist, den Transforma­tionsproze­ss der baden-württember­gischen Automobili­ndustrie zu meistern, und das auch Weichen für eine nachhaltig­e und klimaschon­ende Mobilität im Südwesten stellen soll.

Für Verkehrsmi­nister Hermann ein „Leuchtturm­projekt“, an dem der Konzern vom Bodensee entscheide­nden Anteil habe, denn: „ZF liefert“, sagte der Grünen-Politiker. ZF selbst setzt große Hoffnungen in seine Shuttles, die bei der niederländ­ischen Tochter 2getthere entwickelt werden, und in denen der ZF-Hochleistu­ngsrechner ZF Pro AI werkelt. Intern geht man in Friedrichs­hafen von einer Verdreifac­hung des Mobilitäts­bedarfs in Städten in den kommenden Jahren aus. Dieser Mobilitäts­bedarf könnte schnell und flexibel über autonome Transports­ysteme gelöst werden, indem man dem Individual­verkehr „einfach eine Spur wegnimmt und diese für Shuttles freimacht“, schlägt ZF-Manager Gollewski vor.

Mit einer bedarfsger­echten Taktung und einer nahtlosen Anbindung an andere öffentlich­e Verkehrsmi­ttel wie Bus und Bahn stellten sie eine echte Alternativ­e zum eigenen Auto dar. Zudem ließen sich die kleinen Fahrzeuge auch auf weniger ausgelaste­ten Strecken wirtschaft­lich betreiben und ermöglicht­en längere Betriebsze­iten.

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FOTO: FELIX KÄSTLE ZF-Shuttle Group Rapid Transport 3: Der autonom fahrende, elektrisch­e Kleinbus bietet Platz für 22 Personen und soll ab 2024 den ÖPNV in und um Friedrichs­hafen ergänzen.
 ?? FOTO: FELIX KÄSTLE ?? Im Innenraum des GRT 3: Torsten Gollewski, Leiter autonome Mobilitäts­systeme bei ZF, Verkehrsmi­nister Winfried Hermann, ZF-Entwicklun­gsingenieu­r Wolfgang Kinzelmann und Martin Hahn, Landtagsab­geordneter der Grünen aus dem Bodenseekr­eis (von rechts).
FOTO: FELIX KÄSTLE Im Innenraum des GRT 3: Torsten Gollewski, Leiter autonome Mobilitäts­systeme bei ZF, Verkehrsmi­nister Winfried Hermann, ZF-Entwicklun­gsingenieu­r Wolfgang Kinzelmann und Martin Hahn, Landtagsab­geordneter der Grünen aus dem Bodenseekr­eis (von rechts).

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