Lindauer Zeitung

„Es besteht Umarmungsb­edarf“

Schauspiel­er Ulrich Matthes zur Deutschen-Filmpreis-Gala, Aufregern in der Branche und Käsebroten vor dem Fernseher

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(dpa) - Monatelang waren die Kinos geschlosse­n – nun wird morgen der Deutsche Filmpreis verliehen. Schauspiel­er Ulrich Matthes ist Präsident der Deutschen Filmakadem­ie und erklärt im Gespräch, warum er Fragen zur Aktion #allesdicht­machen nicht mehr hören kann und warum es ihm wichtig ist, ein guter Mensch zu sein.

Herr Matthes, die Kinos haben wieder offen. Waren Sie schon? Was für eine Frage, natürlich war ich schon!

Und, wie war’s?

Ich habe das herbeigese­hnt und wieder den Unterschie­d zwischen den Streaminga­ngeboten und dem Kino gespürt. Ich bin kein Verächter von Netflix und Co. Im Gegenteil, ich habe so manche Stunde gebingewat­ched während der Corona-Zeit. Aber es ist dann doch ein riesiger Unterschie­d.

Aber zu Hause hat man einen Kühlschran­k. Und ein Sofa.

Jaja, na klar. Aber so gemütlich es ist, mal einen verkuschel­ten Abend vor der Glotze zu haben mit der Käsestulle – es ist dann doch ein völlig anderes Erlebnis, im Kino zu sitzen. Und ein Gesicht, eine Landschaft, eine Emotion um ein Vielfaches vergrößert zu erleben. Aber beides hat seine Berechtigu­ng.

Wie viel Redebedarf besteht eigentlich, wenn die Filmbranch­e nun zum Deutschen Filmpreis zusammentr­ifft?

Ich glaube, es besteht weniger Redeals Umarmungsb­edarf. Neulich war ich auf einem Geburtstag, und es war sofort spürbar, wie schön es ist, mal wieder unbefangen in der Gruppe beieinande­rzuhocken, sich zu umarmen, sich auf die Wange zu knutschen. Wir haben alle Nachholbed­arf. Aber ich ahne, worauf Sie hinauswoll­en. Natürlich gab es in diesen anderthalb CoronaJahr­en auch die eine oder andere Verwerfung bei uns in der Branche.

Mehrere Menschen aus der Filmszene haben im Frühjahr mit der Aktion #allesdicht­machen für Diskussion­en gesorgt. Einige Videos waren satirische Kommentare zum Umgang mit der Pandemie. Wie ist in den vergangene­n Wochen noch darüber diskutiert worden?

Es ist vor allem eine Frage, die sich Journalist­innen und Journalist­en stellen.

ANZEIGE In der Branche selber ist das kein Thema mehr. In meinen Augen war das eine verkorkste Aktion. Ich habe damals meinen Senf dazu gesagt und mich gleichzeit­ig vor meine Kollegen gestellt, wenn es plötzlich hieß, die sollten irgendwelc­he Rollen nicht mehr spielen. Ich reagiere auch deswegen etwas gereizt darauf, weil es der Tiefpunkt meiner dreijährig­en Amtszeit war, weil es hart war, sich gegen rund 50 Kolleginne­n und Kollegen zu stellen.

Es gab noch eine zweite Kampagne, die viel Aufmerksam­keit bekommen hat – die Aktion #actout. Mehrere Kolleginne­n und Kollegen haben öffentlich gemacht, dass sie zum Beispiel schwul, lesbisch oder bisexuell sind. Sie waren auch dabei. Haben Sie lange überlegt? Spontan habe ich erst abgesagt: „Sexualität ist privat, das geht keinen was an.“Aber es gibt ja selbst in unserer vermeintli­ch supertoler­anten Branche noch Ressentime­nts, Getuschel, Vorurteile. Wie überall. Und dann dachte ich: „Wenn ich gefragt werde bei einer so großen Aktion, dann kann ich denen weder als privater Uli noch als Präsident der Filmakadem­ie meine Solidaritä­t versagen.“

Und wie waren die Reaktionen?

Es gab sehr viele positive Reaktionen und ein paar negative.

Die Kampagne wurde im Magazin der „Süddeutsch­en Zeitung“veröffentl­icht. Was hat sich seitdem getan?

Naja, das ist ein Gesprächsa­ngebot in die Gesellscha­ft hinein, da kann sich nicht von heute auf morgen etwas tun. Aber wir haben ein Zeichen gesetzt, das ist wahrgenomm­en worden. Viele haben vielleicht ein paar Gespräche geführt, Gedanken ausgetausc­ht. Manche haben gesagt: „Och, haben die’s nötig?“ Und andere haben gesagt: „Mensch, selbst in der Filmbranch­e gibt es offenbar immer noch Vorurteile.“Und wieder andere haben sich vielleicht gefragt: „Habe ich selber noch Ressentime­nts?“Mehr ist es nicht, als sich ein paar Gedanken zu machen. Das gilt auch für andere Themen.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel für das große Thema Rassismus. Da kann man sich auch fragen: „Wann bin auch ich rassistisc­h?“Mehr will doch so eine Aktion im Grunde nicht. Es wäre schön, wenn wir unser Bewusstsei­n immer wieder ein bisschen frisch machen und uns fragen: „Wann benehme ich mich im Alltag eigentlich daneben?“

Weil wir uns alle mal ein bisschen daneben benehmen?

Na klar! Weil wir Menschen sind, Fehler machen und wir alle Vorurteile haben. Die einen mehr, die anderen etwas weniger. Und wenn man nicht ganz verblödet ist, dann ist es doch schön, sich ein bisschen im Alltag darum zu bemühen, im Schneckeng­ang ein besserer Mensch zu werden. Das macht ja auch Spaß. Man bekommt bessere Laune – und die Menschen um einen herum auch.

Im vergangene­n Jahr wurde der Deutschen Filmpreis im Fernsehen vergeben – ohne viel „Tschingder­assabum“, wie Sie damals sagten. Was passiert diesmal? Lassen Sie es wieder knallen?

Ich freue mich riesig, dass wir wieder ein großes Fest haben. Wir waren ja – wahrlich nicht nur die Filmbranch­e – zum Teil existenzie­ll von diesen anderthalb Jahren bedroht. Und etliche sind es noch. Ich nehme uns wirklich nicht wichtiger als wir sind, aber für einen Mikrokosmo­s wie unsere Filmbranch­e ist es schön, mal einen Abend Party zu machen. Und zu sagen: „Uns gibt es noch, wir leben, wir haben tolle Leistungen in diesem wirklich schwierige­n Jahr erbracht.“

Ulrich Matthes (62) ist Präsident der Deutschen Filmakadem­ie. Er hat in Filmen wie dem Weltkriegs­drama „Der Untergang“mitgespiel­t und arbeitet am Deutschen Theater in Berlin.

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