Beiräte zweifeln an Klimaneutralität in 2035
Scheitert der Lindauer Klimabeirat an sich selbst? – Das ist an den Vorwürfen dran
- Der Klimabeirat der Stadt Lindau ist noch jung. Seine Mitglieder: vor allem Fachkräfte. Die Politiker des Stadtrats sind genauso bloße Zuschauer wie die Vertreter von Umweltinitiativen. Das Ziel: Vorschläge und Ideen sammeln, wie Lindau klimaneutral werden kann, und dann daraus Konzepte für Stadtrat und Bürgerbeteiligungen entwickeln. Doch auf der letzten Sitzung kam es zu einer Situation, die Umweltschützer aufgeschreckt hat.
Für die Parents for Future (PFF) Lindau saß der Schreck tief: Am Ende der letzten Sitzung des Klimabeirates der Stadt Lindau fiel ein Satz, der den Eindruck erweckt hat, dass die Stadt Lindau sich von dem Ziel, bis 2035 klimaneutral zu werden, verabschiedet hätte. Sitzungsleiterin Katrin Dorfmüller, die Oberbürgermeisterin Claudia Alfons vertreten hatte, soll ihn gesagt haben. „Sie teilte mit“, so schildert es der am Abend anwesende Jakob Schluttig von den PFF in einer Pressemitteilung, „dass um der ,Glaubwürdigkeit’ des Klimabeirates willen das bis dahin immer klar formulierte zentrale Ziel der Klimaneutralität 2035 nicht beibehalten werden könne. In der Kommunalpolitik hätte man schließlich vieles nicht in der Hand und müsse sich deshalb darauf zurückziehen, im Rahmen der beschränkten Möglichkeiten am Klimaschutz zu arbeiten. Ein alternatives Ziel nannte Frau Dorfmüller nicht.“
Danach sei die Sitzung beendet worden, nach Anmerkungen aus dem Klimabeirat sei nicht gefragt und Stadtrat Daniel Obermayr das Wort verweigert worden. „Alle Besucher“, so schreibt Schluttig, „seien implizit aber bestimmt gebeten worden, die öffentliche Sitzung zu verlassen.“Auch Daniel Obermayr (Bunte Liste) bestätigt diesen Eindruck. „Für mich hat Frau Dorfmüller eine Diskussion aufgemacht, aber nicht beendet“, so Obermayr. „Bis zu dem Zeitpunkt war die Sitzung eigentlich sehr konstruktiv und gut durchgetaktet. Aber das Finale fand ich bestenfalls missverständlich.“Das Jahr 2035 ist dabei nicht aus der Luft gegriffen: Vielmehr wurde dieses Ziel explizit immer wieder klar formuliert – auch von der Stadt und dem Klimabeirat selbst.
Dritte Bürgermeisterin Katrin Dorfmüller widerspricht der Wahrnehmung der PFF: „Das war lediglich als Ankündigung für die nächste Sitzung gedacht. Darin soll es dann um die Glaubwürdigkeit und die Erreichbarkeit der Klimaneutralität gehen. Da ist noch keine Entscheidung getroffen.“Doch, so führt sie an, werde tatsächlich infrage gestellt, ob Lindau bis 2035 klimaneutral sein kann. Allerdings nicht von ihr selbst: „Das ging von vielen der Fachkräfte im Klimabeirat aus, die haben da Zweifel geäußert.“Diese sollen sich fragen, ob die Klimaneutralität Lindaus bis 2035 überhaupt machbar sei. „Wir sind ja auch in vielen Bereichen von Bund und Land abhängig“, gibt sie zu bedenken. „Und die haben ihre Klimaziele so definiert, dass sie erst 2040 und 2045 Klimaneutralität erreichen wollen.“Rausgeworfen habe sie allerdings niemanden. „Die öffentliche Sitzung war bereits zu Ende, und wir waren schon sehr in Zeitverzug. Da noch in geschlossener Runde etwas zu besprechen war, habe ich mich beeilt“, sagt Dorfmüller.
Die Bedenken der Klimabeiräte kann sie schon verstehen, sagt Dorfmüller. „Beispielsweise beim Thema Verkehr müssten wir eigentlich jetzt schon sagen, dass wir ab sofort keine Autos mit Diesel- oder Verbrennungsmotor zulassen dürfen. Das geht natürlich schwer. Gerade bei den steigenden Preisen im ÖPNV werden wir die Leute kaum auf die Schiene kriegen.“Das Problem sei bereits aus Kempten bekannt. Dort sei die Stadt vom allgemeinen Ziel der Klimaneutralität bis 2035 abgerückt und habe stattdessen als Ziel festgelegt, dass bis 2035 alles klimaneutral sein müsse, was in der Entscheidungshoheit der Stadt selbst liege. „Mit den Klimazielen an sich haben wir ja kein Problem, die will ja eigentlich jeder. Nur über die Umsetzung haben wir faktisch keine Hoheit.“
„Wir würden uns lieber an Vorarlberg mit seinen Landbussen orientieren, als an Kempten“, fährt sie fort. „Aber da muss was von der Bundesund der Landesregierung kommen. Da braucht es auch mehr Fördergelder.“Auch Stadtrat Obermayr stimmt hier in einem Punkt zu: „Wir alleine können das nicht, das stimmt“, sagt er. „Aber es kann nicht sein, dass nun das Land immer sagt, es wartet auf den Bund, und die Kommune sagt, sie wartet auf das Land. Es gibt ja einen Beschluss im Bund, selbst das Verfassungsgericht hat da schon die Regierung ermahnt.“Den schwarzen Peter weiter zu schieben hält er für keine gute Lösung. „Wir müssen jetzt das Nötige tun, um die Rahmenbedingungen fürs Loslegen zu schaffen. Denn es gibt viel zu tun.“
Die nächste Sitzung des Lindauer Klimabeirates wird klären, ob die Stadt beim Ziel 2035 bleibt. Daniel Obermayr hofft, dass die Stadt am Klimaziel festhält: „Das wäre natürlich extrem schadhaft, zu sagen, wir könnten da nichts machen und uns deshalb auch nichts vorzunehmen.“Für Jakob Schluttig ist die Sache noch eindeutiger. Die Stadt müsse sich zu dem Ziel bekennen: „Der Deutsche Bundestag hat sich einstimmig dazu verpflichtet, das Pariser Klimaabkommen einzuhalten. Es ist eine wissenschaftlich erwiesene Notwendigkeit, dass ganz Deutschland bis 2035 klimaneutral sein muss, um den dazu nötigen Beitrag zu leisten.“Die Stadt müsse sich klar dazu bekennen, sonst sei der Klimabeirat lediglich ein Feigenblatt, sagt er. „Vor allem dann, wenn im Stadtrat wichtige Maßnahmen, wie die Elektrifizierung des Stadtbusses, um viele Jahre verzögert werden.“