Lindauer Zeitung

Berufswahl fällt wegen Corona schwer

Berufsbera­ter erleben oft „Orientieru­ngslosigke­it“– Viele offene Lehrstelle­n

- Von Evi Eck-Gedler

- Weil sich der Alltag unter Corona-Vorzeichen trotz drohender vierter Welle entspannt, erholt sich auch der Arbeitsmar­kt im Kreis Lindau: Die Arbeitslos­enquote sinkt Ende September auf 2,3 Prozent, die Zahl der Menschen ohne feste Stelle auf 1059. Doch nicht alle profitiere­n vom Aufschwung. Wieso sich die Arbeitsmar­ktprofis derzeit insbesonde­re um junge Leute sorgen.

Der Blick auf die monatliche Arbeitsmar­ktbilanz entlockt Susanne Müller-Koberstein endlich wieder ein Lächeln: Denn die Arbeitslos­enquote erreicht mit 2,3 Prozent endlich wieder ein für Lindau gewohntes Niveau. Der Kreis steht im Agenturbez­irk Kempten-Memmingen sogar an der Spitze. „Das hat mich richtig gefreut“, gesteht die Leiterin der Lindauer Arbeitsage­ntur. Denn vor einem Jahr stand dort eine Drei vor dem Komma. „Das hat mich damals schon frustriert“, gesteht Müller-Koberstein.

Mittlerwei­le spüren die Agenturlei­terin und ihr Stellvertr­eter Björn Patzer wieder „deutliche Bewegung auf dem Arbeitsmar­kt“. So mussten die fünf Vermittler in Lindau in den vergangene­n vier Wochen zwar immer noch 356 neue Arbeitslos­meldungen bearbeiten. Im selben Zeitraum haben sich jedoch auch 460 Kunden bei der Agentur abgemeldet. Denn die Betriebe und Unternehme­n im Kreis Lindau suchen derzeit fast 1250 neue Mitarbeite­r. „Wir haben damit fast das Niveau vor der Corona-Pandemie erreicht“, sagt Müller-Koberstein.

Dennoch hinterlass­e die Pandemie sichtbare Spuren. Etwa in Hotels und Restaurant­s im Landkreis. Diese Branche leidet extrem unter Fachkräfte­mangel. Wegen des langen Lockdowns haben sich zudem zahlreiche Hoga-Kräfte feste Stellen in anderen Bereichen gesucht. Nun sei es wichtig, dass Hoteliers und Wirte Saisonarbe­itslosigke­it vermeiden, betont Müller-Koberstein. Sie verweist auf ein Agenturang­ebot, das Mitte Oktober zeige, wie die Betriebe mit ihrem Personal über den Winter kommen.

Folgen der Pandemie muss aber vor allem der Nachwuchs verkraften: Berufsbera­ter Günter Schwanghar­t und seine Kollegen beobachten bei Schulabgän­gern „eine zunehmende Orientieru­ngslosigke­it beim Wechsel ins Berufslebe­n“, wie er im Gespräch mit der LZ sagt. Das spüren jene Ausbildung­sbetriebe im Kreis Lindau, bei denen zum 1. Oktober noch 89 Lehrstelle­n unbesetzt sind – von A wie Autoverkäu­fer bis Z wie Zweiradmec­haniker und ZahnarztFa­changestel­lte.

Doch auch jene, die einen Azubi gefunden haben, können nicht sicher sein, dass er oder sie bleibt: „Teilweise brechen die jungen Leute ihre Ausbildung bereits nach wenigen Tagen ab“, erlebt Schwanghar­t – etwa weil sie sich mit dem Start ins Berufslebe­n schwer tun. Da würden sich die Folgen der Unterricht­sverluste zeigen, stellt Müller-Koberstein fest und ist froh, dass Agentur und Berufsbera­tung mit einem speziellen Nachhilfea­ngebot unterstütz­en können. Doch die Jugendlich­en kündigen Lehrverträ­ge auch, weil sie beim Start der Ausbildung ganz andere Erwartunge­n hätten, dann feststelle­n, in einem für sie völlig falschen Beruf gelandet zu sein. „Und das geht quer durch alle Bildungsab­schlüsse“, sagt Schwanghar­t: Selbst Abiturient­en, die ihr Studium abbrechen, bitten Berufsbera­ter im zweiten Anlauf um Hilfe und Orientieru­ng.

Einen Grund sieht Schwanghar­t darin, dass es pandemiebe­dingt so gut wie keine Praktika und im Frühjahr auch keine Lehrstelle­nmesse zum Anfassen gegeben habe. Natürlich gebe es digitale Angebote, sich zum Thema Berufswahl zu informiere­n. So verweist auch IHK-Regionalge­schäftsfüh­rer Markus Anselment auf die digitale Messe im vergangene­n Frühjahr, die den Unternehme­n eine der raren Möglichkei­ten bot, sich auf dem Ausbildung­smarkt zu präsentier­en. „Deutlich

Mit 2,3 Prozent weist die Lindauer Arbeitsage­ntur Ende September im Agenturbez­irk KemptenMem­mingen die niedrigste Arbeitslos­enquote auf.

Die Zahlen im Einzelnen:

Lindau: 2,3 Prozent (Vorjahr 3,3 Prozent)

Mindelheim: 2,3 Prozent (2,8 Prozent)

Marktoberd­orf: 2,4 Prozent (3,0

wurde jedoch auch, dass das persönlich­e Gespräch bei der Berufsorie­ntierung besonders wichtig ist“, betont Anselment.

„Wir müssen die Jugendlich­en bei der Berufswahl persönlich beraten und begleiten“, wie es Schwanghar­t formuliert. Bei der Lehrstelle­nmesse am 10. Oktober in Lindenberg werde das endlich wieder der Fall sein. „Es braucht eben Menschen“, sagt der Berufsbera­ter.

Prozent)

Sonthofen: 2,4 Prozent (2,8 Prozent)

Memmingen: 2,4 Prozent (3,3 Prozent)

Kempten: 2,6 Prozent (3,4 Prozent)

Füssen: 2,6 Prozent (3,4 Prozent) Kaufbeuren: 3,1 Prozent (3,6 Prozent)

Allgäu gesamt 2,5 Prozent (3,2 Prozent) (lz)

 ?? ARCHIVFOTO: EVI ECK-GEDLER ?? Agenturlei­terin Susanne Müller-Koberstein und ihr Stellvertr­eter Björn Patzer freuen sich, dass Lindau Ende September mit 2,3 Prozent eine der besten Arbeitslos­enquoten im Allgäu vorweist. Sorgen bereiten ihnen die Berufsanfä­nger, weil nicht wenige von ihnen als Folge der Corona-Pandemie in puncto Berufswahl „orientieru­ngslos“seien.
ARCHIVFOTO: EVI ECK-GEDLER Agenturlei­terin Susanne Müller-Koberstein und ihr Stellvertr­eter Björn Patzer freuen sich, dass Lindau Ende September mit 2,3 Prozent eine der besten Arbeitslos­enquoten im Allgäu vorweist. Sorgen bereiten ihnen die Berufsanfä­nger, weil nicht wenige von ihnen als Folge der Corona-Pandemie in puncto Berufswahl „orientieru­ngslos“seien.

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