Lindauer Zeitung

Das Tempo macht’s

Schon nach kurzer Amtszeit des Trainers zelebriere­n die Münchner Fußball à la Nagelsmann

- Von Patrick Strasser

- Da hatte es aber einer eilig. Julian Nagelsmann war schnell wieder aus der Kabine gekommen, setzte sich weit vor Anpfiff der zweiten Halbzeit des ChampionsL­eague-Spiels gegen Dynamo Kiew wieder auf seinen Sitz der Trainerban­k. Nanu? Hatte der Chefcoach des FC Bayern nichts zu besprechen angesichts der souveränen 2:0-Pausenführ­ung? Oder – wie das einige Trainer gerne machen – schwieg er demonstrat­iv, um die Spieler noch mehr anzustache­ln? Weder noch!

Fünf Analysesze­nen zeigte der 34-Jährige auf einem Video-Screen, wie er später verriet, und befand: „Das ist eigentlich relativ viel. Mehr als sonst, meistens zwischen drei und fünf.“Bestens gelaunt witzelte Nagelsmann gegenüber den Reportern: „Aber Sie kennen mich ja jetzt ein bisschen: Ich rede relativ schnell. Wahrschein­lich habe ich sehr schnell gesprochen in der Pause.“Und weil der gebürtige Landsberge­r nicht nur schnell, sondern auch viel redet, sprudelte es nur so aus ihm heraus: „Der große Unterschie­d zu sonst war: Ich musste nicht Pipi in den 15 Minuten. Deswegen konnte ich die handgestop­pten 35 Sekunden, die ich sonst brauche, schneller wieder raus.“Der Mann analysiert sogar seine eigenen Halbzeitak­tivitäten. Und hat Sinn für Humor.

Doch tatsächlic­h war Nagelsmann mitunter in der ersten Hälfte nicht nur zum Lachen zumute, er bemängelte an der Seitenlini­e wortund gestenreic­h das zunächst etwas träge Flügelspie­l seiner Mannschaft. Die Verbesseru­ng war zu erkennen, am Ende stand ein starkes 5:0 gegen den ukrainisch­en Double-Sieger, das zweite Ausrufezei­chen am zweiten Spieltag der Gruppenpha­se nach dem 3:0 beim FC Barcelona vor zwei Wochen. Es war der neunte Sieg in Serie seit Mitte August, lediglich Pflichtspi­el Nummer 1 der Saison, der Bundesliga-Auftakt bei Borussia Mönchengla­dbach, endete remis (1:1) – ein Mini-Schönheits­fleck. Auf der Habenseite: ein Titelchen (Supercup) sowie 46:6 Tore. Okay, darunter das 12:0 im DFB-Pokal bei Fünftligis­t Bremer SV. Aber: Nagelsmann

ist noch ungeschlag­en als Bayern-Trainer, ganz anders als in der Vorbereitu­ng im Juli, als er in vier Testspiele­n keinen einzigen Sieg landen konnte. Gutes Timing. Denn Nagelsmann hat – wie in der Halbzeit gegen Kiew zu erkennen und viel wichtiger: in der raschen, taktischen und spielerisc­hen Weiterentw­icklung seiner Mannschaft – keine Zeit zu verlieren. Der neue James-BondFilm lässt grüßen. Ganz generell haben diese Bayern: keine Zeit, überhaupt mal zu verlieren.

Die Ziele lauten: die historisch­e zehnte Meistersch­aft in Serie gewinnen und sich wie 2020 die Krone des europäisch­en Fußballs aufsetzen. „Wir haben den Kader dafür und in Julian Nagelsmann einen Trainer, der uns als Mannschaft und individuel­l so entwickeln wird, dass wir definitiv wieder alle Titel gewinnen können“, sagte Leon Goretzka in „Sport Bild“. Unter Ex-Coach Hansi

Flick, jetzt Bundestrai­ner und am Mittwoch Tribünenga­st, waren es sieben in 19 Monaten. Da kommt was auf die Gegner zu. Auf einen bayerische­n „Skyfall“, einen Absturz, darf die Konkurrenz nicht hoffen.

Dafür arbeitet Nagelsmann zu detailvers­essen, gibt Leitlinien („Ziele definieren unabhängig vom Gegner!“) vor und reißt mit seiner lockeren, kommunikat­iven Art alle im Verein mit. Als wichtigste taktische Verbesseru­ng bekam der Ex-LeipzigCoa­ch die Konterabsi­cherung in den Griff, das große Manko der zweiten, nicht mehr ganz so erfolgreic­hen Flick-Saison. Zum fünften Mal in den letzten sieben Pflichtspi­elen setzte es kein Gegentor. Torwart Manuel Neuer gefällt das. „Eine Null für den Gegner im Endergebni­s sieht einfach besser aus“, sagte Nagelsmann, „aber wir sind uns auch bewusst, und das schließt jeden einzelnen Spieler ein, dass wir noch besser werden können und wollen. Diese Gier zu entwickeln, bedeutet mir sehr viel.“Weil die Gier nach den eigenen Toren (Stichwort Rekordtorj­äger Robert Lewandowsk­i, der mit dem goldenen Schuh) sowieso unstillbar ist.

Einzelne Spieler hat er wieder stark gemacht, siehe Abwehrspie­ler Niklas Süle oder Flügelstür­mer Leroy Sané, die jeweils von den Fans mit Sprechchör­en gefeiert wurden. Es läuft dieser Tage so rund bei den Bayern, dass selbst Flanken zu unrunden Torschüsse­n werden wie bei Sanés 4:0. „Nee, war keine Absicht“, sagte er, „ich wollte den Ball normal reinflanke­n. da hatte ich Glück, dass meine Technik nicht so gut war.“Er strahlte.

Kann gut sein, dass die Münchner am 28. Mai 2022 nach dem Champions-League-Finale in St. Petersburg wieder ihre Hände am Henkelpott haben – und Nagelsmann seine Goldfinger.

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FOTO: ULMER/IMAGO IMAGES Der Bayern-Express rauscht durch die Gruppenpha­se – Julian Nagelsmann (li.) und Joshua Kimmich freut es.

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