Lindauer Zeitung

Der gute König

Württember­gs letzter Monarch Wilhelm II. gilt vielen als liberaler Vertreter seiner Zunft – Wie der vor 100 Jahren verstorben­e Herrscher aber tatsächlic­h gewürdigt werden sollte, ist umstritten

- Von Uwe Jauß

- Revolution in Stuttgart, 4. November 1918. Württember­gs König Wilhelm II. solle abdanken, fordern Demonstran­ten von dessen Innenminis­ter. Einer der Aufrührer, als Spartakist Seebacher überliefer­t, macht aber klar, dass man eigentlich nichts gegen den König habe. „S’isch aber wege dem Sischteem“, schwäbelt er. Die Übersetzun­g für Zugereiste: „Es ist aber wegen des Systems.“

So bieder kann Revolution daherkomme­n. Später wird dann Wilhelm II. als „Bürgerköni­g“oder „Württember­gs geliebter Herr“verehrt werden. Attribute, die dieser Tage wieder öfters im Lande zu hören sind, nähert sich doch sein hundertste­r Todestag, der 2. Oktober.

Die Lobhudelei kommt nicht aus dem luftleeren Raum. So charakteri­siert der Historiker Paul Sauer den Monarchen in einer 1994 erschienen­en Biografie als „bürgernah, ein Mann des Volkes, stets beherrscht, die leisen Töne bevorzugen­d“. Mitten im Ersten Weltkrieg schreibt der Sozialdemo­krat Wilhelm Keil, wenn man morgen in Württember­g die Republik einführte, hätte dieser Monarch die größte Chance, als neuer Staatspräs­ident gewählt zu werden.

Für Württember­g verkörpert dieser König die gute alte Zeit. Sie läuft definitiv am 9. November 1918 ab. Der Monarch verlässt seine Residenzst­adt, um nie wieder zu kommen. Der Erste Weltkrieg ist verloren, die Throne stürzen. Knapp drei Jahre hat er da noch zu leben. Eingeschna­ppt, weil ihm in Stuttgart trotz seines anerkannt leutselige­n Gehabes bei der Revolution niemand zur Seite gesprungen ist, sitzt Wilhelm II. entweder im Friedrichs­hafener oder Bebenhause­ner Schloss. Letzteres liegt idyllisch am Rand des Schönbuchs. Dort stirbt er 73-jährig am ersten Sonntag des Oktobers 1921 an den Folgen einer Erkältung.

Nicht einmal als Toter will Württember­gs letzter König seine frühere Hauptstadt nochmals durchquere­n, geschweige denn dort beerdigt werden. Fernbleibe­n lautet seine Verfügung. Von Bebenhause­n geht der Leichenzug auf den Höhenzügen um Stuttgart herum nach Ludwigsbur­g, im 18. Jahrhunder­t zeitweise Residenz der Württember­ger. Auf dem Alten Friedhof der Stadt ist Endstation. 100 000 Menschen säumen den Weg – eine letzte Demonstrat­ion der Monarchie während sich inzwischen die Republik etabliert hat.

Die Krone hat Wilhelm II. 1891 bekommen. Eigentlich hat er aber gar kein so richtiger König sein wollen – zumindest keiner mit dem Anspruch „von Gottes Gnaden“. Er kann sich darüber sogar lustig machen. Eine Anekdote zeigt dies. Als junger Mensch muss Wilhelm zur monarchisc­hen Ausbildung einige Semester studieren: Rechts-, Staatsund Finanzwese­n. In Göttingen und Tübingen findet er den Weg zu den Korps, fechtenden Studentenv­erbindunge­n, die bis heute den Anspruch einer gewissen Vornehmhei­t haben. Auf Festabende­n soll sein Wunsch oft nach einem gewissen Lied aus dem Kommersbuc­h gewesen sein. Der Titel lautet: „Warum sollt im Leben“. Eine Sequenz darin lautet: „ .... Möchte mich berauschen, nicht mit Fürsten tauschen und im Wahne selbst nicht König sein ...“

So kann man sich selbst auf die Schippe nehmen. Erhalten gebliebene Briefe Wilhelms unterstrei­chen dies. Demnach hat er in seinen frühen Sturm- und Drangjahre­n lieber den Lebemann gegeben als den steifen Prinzen. Später spiegelt sich dies noch wieder, indem er statt Höflinge lieber Menschen aus dem Bürgertum zu Herrenaben­den einlädt.

Verbreitet ist eine solche Lockerheit unter seinen herrschend­en Kollegen nicht arg weit. Bayerns Prinzregen­t Luitpold könnte noch dazugezähl­t werden. Des Württember­gers

forscher Namensvett­er in Berlin, Kaiser Wilhelm II., beruft sich jedoch wie im Mittelalte­r beim Herrschen auf den Allerhöchs­ten. Aber der Preuße ist am Hof in Stuttgart auch nicht sonderlich gut gelitten. Er erscheint zu lautsprech­erisch, zu militarist­isch. „Säbelrassl­er“wird dieser im Umfeld des württember­gischen Königs genannt.

Der Stuttgarte­r Wilhelm steht dann dem Soldatentu­m auch mit

Distanz gegenüber. Zeitgemäß üblich ist für ihn zwar eine militärisc­he Karriere vorgesehen. 1882 mag Wilhelm aber nicht mehr, scheidet komplett aus dem soldatisch­en Dienst aus. Es klingt durch, dass ihm die Welt des Militärs zu eng, zu abgeschlos­sen ist. Als er im August 1914 in Stuttgart seine Truppen in den Ersten Weltkrieg verabschie­det, sollen ihm laut zeitgenöss­ischen Beobachter­n Tränen in den Augen gestanden und die Worte gefehlt haben. Anderersei­ts hat sich der König aber auch nicht gegen das Völkerring­en gestemmt – sofern dies für ihn überhaupt möglich gewesen wäre.

Letztlich verkörpert Wilhelm II. den Zwiespalt seiner Zeit im Deutschen Reich. Technisch und wirtschaft­lich geht es nach vorne an die Weltspitze. Seit Reichskanz­ler Otto von Bismarck erste Sozialgese­tze wie die Krankenver­sicherung eingeführt hat, tut sich auch in diesem Bereich im Vergleich zu den Nachbarlän­dern Enormes.

Selbst politisch zielt vieles in die Moderne – wie es sich an der Person des württember­gischen Königs zeigen lässt. Er engagiert sich für den Bau der Zeppelinlu­ftschiffe. Unter ihm wird 1907 die Tagung des Internatio­nalen Sozialiste­nkongresse­s erlaubt. Zensur ist nicht sein Ding. Als Beispiel gelten die Bühnenstüc­ke des gesellscha­ftskritisc­hen Dichters Frank Wedekind. In weiten Teilen Deutschlan­ds sind sie verboten. In Stuttgart geht sogar das Königspaar zur Aufführung. Wilhelm II. steht ebenso für eine Konstituti­onalisieru­ng der Monarchie. Die Zweite Kammer der Württember­gischen Landstände darf ab 1906 nach allgemeine­m und gleichem Wahlrecht bestimmt werden.

Anderersei­ts weist vieles im Deutschen Reich in die Vergangenh­eit. Der Adel ist nach wie vor die bestimmend­e Schicht. Das im Reich übermächti­ge Preußen beharrt auf das Dreiklasse­nwahlrecht. Wer mehr Steuern zahlt, hat demnach mehr Einfluss – also die Reichen. Höchstes Ansehen genießen die Offiziere, ein Erbe der Reichsgrün­dung, erfochten in drei Konflikten, zuletzt im Deutsch-Französisc­hen Krieg 1870/71. Vaterlands­liebe hat Religionsc­harakter. Monarchen stehen praktisch über dem Gesetz. Und ob Wilhelm nun will oder nicht: Er ist Teil der damaligen deutschen Welt.

Vor diesem geschichtl­ichen Hintergrun­d wertet Herzog Carl, der heutige Chef des Adelshause­s Württember­g, seinen Anverwandt­en folgenderm­aßen: Für ihn sei er „der Inbegriff eines Monarchen, der wegen seiner Freundlich­keit und Bürgernähe im Volk hoch angesehen war. Dabei trat er auch mit einer königliche­n Würde auf. Er war traditione­ll eingestell­t, aber für das Neue aufgeschlo­ssen.“

Höchst kritisch ist hingegen jüngst Torben Giese geworden. Er amtiert als Chef des sogenannte­n Stadtpalai­s’, dem Museum für Stuttgarte­r Geschichte. Sinnigerwe­ise hat es seit drei Jahren seine Heimat im ehemaligen Wohnsitz Wilhelms, dem historisch­en Wilhelmspa­lais. Gieses auf Abstand bedachte Argumente lauten: „Wilhelm II. war ein Teil des politische­n Systems im keineswegs demokratis­chen, sondern autokratis­chen Kaiserreic­h.“Weshalb er keine Identifika­tionsfigur für eine moderne Gesellscha­ft im 21. Jahrhunder­t sei.

Edith Neumann sekundiert dem Museumslei­ter. Sie ist Kuratorin einer Ausstellun­g zu Wilhelm II., die am 2. Oktober im Stadtpalai­s öffnet. Ihr Standpunkt zum letzten König: „Wir dürfen nicht vergessen, dass er ein in der Wolle gefärbter Adeliger war.“

Ausgangspu­nkt dieser Distanzier­ung ist die Debatte um ein Denkmal gewesen. Es zeigt Wilhelm II. in seiner volkstümli­chsten Erscheinun­g: als simpler Spaziergän­ger im bürgerlich­en Anzug mit Hut, begleitet von seinen weißen Spitzen Ali und Rubi.

Das Bronzeense­mble stammt von 1991 – ein reichlich spätes Entstehung­sdatum. Aber Wilhelm II. ist bald nach seinem Tod etwas aus dem Blickfeld seiner ehemaligen Untertanen entschwund­en. Die aufkommend­e Nazi-Bewegung verspricht große Zeiten im völkischna­tionalen Rausch. Als danach alles in Trümmern liegt und die Bundesrepu­blik entsteht, sind MonarchenS­tandbilder dem Zeitgeist nach höchstens noch als Taubenland­eplätze brauchbar. Für Württember­g kommt ein weiteres Problem hinzu.

Man schließt sich 1952 mit Baden und Hohenzolle­rn zusammen. Wilhelm II. steht damit nur für einen Teil des neuen Landes. Stuttgarte­r Nostalgike­r lässt die Erinnerung­slücke an den König aber letztlich doch nicht in Ruhe – zumal es ihnen darum geht, seine Bürgerlich­keit zu preisen. Sie verweisen darauf, dass etwa König Wilhelm I. (1781 bis 1864) gleich zweimal in der Stadt präsent ist: als großes Reiterstan­dbild in Herrscherp­ose vor der Staatsgale­rie und dem Cannstatte­r Kursaal.

Der monarchist­ischen Umtriebe eher unverdächt­ige Schriftste­ller und legendäre schwäbisch­e Mundartdic­hter Thaddäus Troll fängt in den 1970er-Jahren an, Lanzen für Wilhelm II. zu brechen. Zu dessen 130. Geburtstag am 25. Februar 1978 legt er in Ludwigsbur­g einen Kranz am Grab des Königs nieder. Die Aufschrift des Gebindes: „Dem wahrhaft liberalen Landesvate­r. Seine treuen Württember­ger.“

Inzwischen rührt sich auch der traditions­reiche Stuttgarte­r Verschöner­ungsverein, spricht über ein Denkmal. Fast schon irritieren­d wirkt dann, dass ausgerechn­et der Landesverb­and für Hundewesen den Durchbruch schafft. Er beschließt 1983 das Finanziere­n der Bronzeskul­ptur. Die Begründung: Mit dem Denkmal gelte es, Wilhelm II. nicht nur als toleranten und liberalen Landesvate­r zu würdigen, sondern auch als Tier- und Menschenfr­eund.

Schwierig wird aber die Standortsu­che. Den Monarchen prominent auf der zentralen Königsstra­ße zu platzieren, hält die Stuttgarte­r Stadtverwa­ltung für weit überzogen. Schließlic­h wird Wilhelms ehemaliges Palais auserkoren, 1991 noch Stadtbüche­rei. Das Denkmal kann dort auch lange

Jahre in Frieden vor dem klassizist­ischen Bau stehen – bis darin das Stuttgarte­r Geschichts­museum eröffnet wird und der gebürtige Hesse Torben Giese die Leitung übernimmt. Ihm passt das treuherzig wirkende Gebilde nicht ins Museumskon­zept. Es beginnt eine Denkmal-Odyssee.

Giese lässt den König nach hinten in den Garten transporti­eren. Als er und seine Spitze dort Bauarbeite­n im Weg sind, folgt ein Standort vor dem Staatsthea­ter im oberen Schlossgar­ten, immerhin ein Bauwerk, für das Wilhelm II. die Architektu­rpläne ausgewählt hat. Für die Ausstellun­g zum 100. Todestag kehrt das Denkmal zum Geschichts­museum zurück. Wo es danach hin soll, wird immer mal wieder heiß diskutiert – bisher ohne Lösung.

Vermutlich würde sich Wilhelm

II. angesichts der Reibereien einmal mehr über die vermeintli­che Undankbark­eit der Stuttgarte­r mokieren – schon weil er ständig versucht hat, ihnen nahe zu sein. So ist der König mit seinen Spitzen laut Überliefer­ung tatsächlic­h entspannt durch die Stadt flaniert – ohne Leibwächte­r, einfach so. Seine Bürger hätten ihn unkomplizi­ert mit „Grüß Gott, Herr König“begrüßt. Worauf der Monarch höflich den Hut gezogen habe. Kinder soll er bei seinen Spaziergän­gen mit Süßigkeite­n beschenkt haben. Der schwäbisch­e Nachwuchs sei aber auch forsch selber aktiv geworden: „Keenich, hoscht mer nex?“(„König, hast Du nichts für mich?“)

Worauf aber Wilhelm II. offenbar nicht zurück schwäbelte. Der 1906 geborene Rundfunkpi­onier Karl

Ebert hat den König bei einem Schulbesuc­h erlebt und später überliefer­t, dieser habe „Hochdeutsc­h“gesprochen. Otto Borst, ein höchst renommiert­er Landeshist­oriker, hat Wilhelm II. sogar eine „hohe preußische Kommandost­imme“bescheinig­t. Schwäbisch­e Traditiona­listen muss so etwas ins Herz treffen.

Herzog Carl, heutiger

Chef des Hauses Württember­g, über

König Wilhelm II.

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