Lindauer Zeitung

Das Geheimnis der Holzbrett-Schraube

Grüne und FDP nähern sich an – Wie ein Bündnis gelingen kann, zeigt sich in Kiel

- Von Dorothee Torebko und Igor Steinle

- Schon der Ort des Treffens soll einen Neuanfang signalisie­ren. Nicht vor gewohnter Kulisse des Regierungs­viertels, sondern vor der Drehtür eines Bürogebäud­es gleich neben dem Berliner Zoo. Wo normalerwe­ise junge Start-up-Gründer unter orangerote­n Leuchten ihren Geschäften nachgehen, trafen sich am Freitag die Spitzen von Grünen und FDP, um über die Zukunft des Landes zu beraten. Grünen-Co-Chefin Annalena Baerbock setzte den Ton, als sie von einem „historisch­en Moment“sprach. Es sei nun nicht mehr Zeit für eine Politik des kleinsten gemeinsame­n Nenners, sondern für einen „wirklichen Aufbruch“.

Anders als beim letzten Treffen, als sich lediglich Baerbock, GrünenCo-Chef Robert Habeck, der FDPVorsitz­ende Christian Lindner und sein Generalsek­retär Volker Wissing trafen, wurde über dieses „Neue“nun erstmals in größerer Delegation beraten. Über Inhalte schwieg man sich weiter aus, Lindner verriet allerdings, dass Klimapolit­ik und Finanzen eine Rolle gespielt hätten. Eine endgültige Klärung bei diesen zwischen den Parteien strittigen Themen wurde vorerst nicht gefunden, die Gespräche sollen fortgesetz­t werden. Habeck, der die Sondierung­en mit einer Schraube verglich, ist optimistis­ch: Wenn man eine solche schräg einsetze, werde sie nie wieder gerade. „Diese Schraube ist jedenfalls in den ersten Tagen sehr gerade eingesetzt worden.“

Dass tatsächlic­h etwas in Bewegung scheint, zeigte am Freitag, dass die Grünen selbst bei einem Leibund-Magen-Thema wie dem Tempolimit Kompromiss­bereitscha­ft zeigen. Er halte nichts davon, einzelne Themen zur Bedingung zu machen, sagte Grünen-Politiker Anton Hofreiter. Nach wie vor ungewiss bleibt, wann die Sondierung­en zu dritt oder viert geführt werden – und mit wem. Auf die Frage, welche Mutter zur erwähnten Schraube passe, witzelte Habeck: „Spax-Schrauben brauchen keine Mutter“– in Anspielung an die bekannten Holzschrau­ben.

Dass ein Bündnis mit CDU und CSU, die offensicht­lich selbst Sondierung­sbedarf untereinan­der haben, immer unrealisti­scher wird, zeigen die Terminfind­ungsschwie­rigkeiten innerhalb der Union. „Die

Wahrschein­lichkeit, dass es eine Ampel geben wird, ist nicht nur offenkundi­g, sondern sehr groß“, sagt selbst Unionsfrak­tionsvize Carsten Linnemann. Aus der Hand geben wollen Grüne und FDP dieses Druckmitte­l gegen die SPD allerdings auch nicht.

Bemerkensw­ert ist nach wie vor auch die Verschwieg­enheit, mit der alle Beteiligte­n an die Gespräche herangehen. Die Teilnehmer scheinen damit aus den gescheiter­ten Sondierung­sgespräche­n vor vier Jahren gelernt zu haben – und sich an den Koalitions­verhandlun­gen in Bundesländ­ern wie Rheinland-Pfalz oder Schleswig-Holstein zu orientiere­n, wo Grüne und FDP mitregiere­n. In Mainz und Kiel wurde im Grunde genommen die Blaupause gezeichnet, wie solche Verhandlun­gen gelingen können.

Keiner der in Schleswig-Holstein an den Runden beteiligte­n Politiker habe je etwas durchsicke­rn lassen, erklärt Hans-Jörn Arp das Erfolgsrez­ept der dortigen Jamaika-Koalition, „auch nicht in größeren Runden“. Der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der CDU-Fraktion betont, dadurch sei das Vertrauens­verhältnis aller Verhandlun­gspartner intakt geblieben. „Es ist wie in Geschäftsb­eziehungen“, sagt er: Wer sich einander nicht über den Weg traue, könne auch keine Koalition miteinande­r bilden. Die Frage ist allerdings, ob eine solche Diskretion in Berlin lange aufrechter­halten werden kann, wo undichte Stellen aufgrund der höheren Anzahl Beteiligte­r sehr viel leichter auftreten können.

In Kiel hingegen funktionie­rt das Bündnis noch immer relativ geräuschlo­s, wie auch politische Beobachter bestätigen. Das sei nur möglich, weil die einzelnen Parteien bereit seien, den Partnern Erfolg zuzugesteh­en. So hätten die Grünen in Schleswig-Holstein akzeptiert, dass die FDP Autobahnen baut, wohingegen sie jede Menge Geld für den KitaAusbau erhielten. Die CDU musste in den sauren Apfel beißen und einem Abschiebes­topp in manche Drittlände­r zustimmen, wofür die Grünen ein Abschiebeg­efängnis hinnehmen mussten. „Es ist wichtig, sich nicht zu neutralisi­eren wie in der Großen Koalition, sondern einander Erfolge zu gönnen“, sagt Christophe­r Vogt, der die FDP-Fraktion in Kiel anführt. Allein deswegen, weil alle Parteien ihre Verhandlun­gsergebnis­se später den eigenen Mitglieder­n zur Abstimmung vorlegen müssten.

Die Kunst, so Vogt, sei es, eine gemeinsame Vision fürs Land zu entwickeln, und trotzdem allen Beteiligte­n Raum zu lassen, sich selbst zu profiliere­n. Als Glücksfall hierfür hat sich Ministerpr­äsident Daniel Günther (CDU) erwiesen, der die Gespräche so moderiert hat, dass alle Luft zum Atmen hatten und sich „gesehen fühlten“, wie Arp beschreibt.

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FOTO: MICHAEL KAPPELER Auf der Suche nach Gemeinsamk­eiten: Die Grünen-Doppelspit­ze Robert Habeck und Annalena Baerbock mit FDP-Chef Christian Lindner (von links) nach den Sondierung­sgespräche­n.

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