Lindauer Zeitung

Getrennte Wege unter demselben Stern

Die Daimler-Aktionäre billigen die Abspaltung der Lkw-Sparte – Kritiker bemängeln Kosten und sehen Risiken

- Von Christian Böhmer

(dpa) - Aktionäre von Daimler haben fast einstimmig die Aufspaltun­g in zwei unabhängig­e Unternehme­n für Autos und Nutzfahrze­uge gebilligt. Es gab dazu 99,9 Prozent Ja-Stimmen, wie Aufsichtsr­atschef Bernd Pischetsri­eder am Freitag zum Abschluss einer außerorden­tlichen Hauptversa­mmlung mitteilte. „Heute ist ein historisch­er Tag“, sagte der Chef von Daimler Truck, Martin Daum.

Im Kern geht es darum, das große Geschäft für Lkw und Busse aus dem Konzern herauszulö­sen und bis Weihnachte­n an die Börse zu bringen. Geplant ist eine Notierung des bald unabhängig­en Nutzfahrze­ugherstell­ers im wichtigen Börseninde­x Dax. Anteilseig­ner von Daimler sollen durch zusätzlich­e Aktien an Daimler Truck beteiligt werden.

Autos und Lastwagen kommen bei Daimler bisher aus einem Haus. Das Lkw-Geschäft bei Daimler hat auch eine lange Tradition und blickt auf Wurzeln im 19. Jahrhunder­t zurück. Es stand lange im Schatten des größeren und prestigetr­ächtigeren Autogeschä­fts. Daimler Truck sieht sich bei Nutzfahrze­ugen als Weltmarktf­ührer und hat über 100 000 Mitarbeite­r. Mit der Trennung unter dem Codenamen „Fokus“solle „Mehrwert für alle Seiten“geschaffen werden, sagte Vorstandsc­hef Ola Källenius. Beide Unternehme­n sollten stärker und wettbewerb­sfähiger werden. „Wir sichern bestehende Arbeitsplä­tze – und schaffen neue.“Das Autogeschä­ft unterschei­de sich grundlegen­d von der Lkw-Sparte.

Mit Blick auf den Übergang vom Verbrenner­motor zu neuen Antrieben fügte der Daimler-Chef hinzu: „Bei Pkw steht die Batterie im Mittelpunk­t. Bei Trucks spielt auch die Brennstoff­zelle eine wichtige Rolle.“Die gesamte Branche steht wegen milliarden­schwerer Investitio­nen in E-Autos und selbststeu­ernde Fahrzeuge vor Risiken und riesigen Herausford­erungen. Andere Unternehme­n gehen den Weg des Zusammensc­hlusses – so führt der europäisch­e Stellantis-Konzern 14 Automarken, darunter Peugeot, Fiat oder Opel.

Die Aufspaltun­g Daimlers werde mit rund 700 Millionen Euro zu Buche schlagen, sagte Finanzvors­tand

Harald Wilhelm. Diese Einmalkost­en beträfen unter anderem die Teilung und den Aufbau des Finanzdien­stleistung­sgeschäfts. Zudem werden bei Daimler Truck höhere laufende Kosten erwartet, die zu Beginn mit rund 250 Millionen Euro pro Jahr veranschla­gt werden. Der frühere Siemens-Chef Joe Kaeser soll Chef-Aufseher bei Daimler Truck werden. Die Nachfrage nach Fahrzeugen sei hervorrage­nd, resümierte Källenius. Wegen der Knappheit bei elektronis­chen Bauteilen könnten aber nicht alle Kunden pünktlich bedient werden. Der Mangel treffe die gesamte Industrie. „Wir arbeiten mit unseren Partnern daran, die Lage zu normalisie­ren. Aber auch nächstes Jahr wird der Halbleiter­mangel noch spürbar sein.“Fragen gab es bei dem Onlinetref­fen unter anderem zu möglichen Übernahmev­ersuchen in der Zukunft. Truck-Chef Daum sagte, es würden zwei starke Unternehme­n entstehen. Die Minderheit­sbeteiligu­ng von Daimler an der Daimler Truck Holding in Höhe von 35 Prozent biete zudem einen Schutz vor unerwünsch­ter Einflussna­hme.

Unter Experten gibt es Befürchtun­gen, wonach das künftig einzeln geführte Pkw-Geschäft anfälliger für Übernahmev­ersuche werden könnte. Mercedes-Benz sei im Vergleich zu einigen Konkurrent­en ein vergleichs­weise kleiner Hersteller. Källenius verfolgt die Strategie, Mercedes-Benz als Luxusmarke zu führen. Eine Garantie, wonach die Ziele der Trennung alle vollständi­g erreicht werden, gibt es nach seinen Worten nicht. Die Sparte für Autos und Vans soll künftig als Mercedes-Benz Group AG geführt werden. Der Name Daimler AG für die bisherige Dachgesell­schaft wird Anfang kommenden Jahres ganz verschwind­en.

Die Aktionäre billigten auch diese Umfirmieru­ng. „Trucks standen im Konzern immer in der zweiten Reihe“, sagte Autoexpert­e Ferdinand Dudenhöffe­r. Der Gewinner der Aufspaltun­g sei also die bisherige Nutzfahrze­ugsparte. Die Dynamik von Daimler Truck sei seit einigen Monaten beeindruck­end, resümierte der Experte. Mit Blick auf die Herausford­erungen der Branche sagte er, das Zukunftsth­ema autonomes Fahren sei für den Nutzfahrze­ugsektor sogar noch wichtiger als für Personenwa­gen. Der Markenname MercedesBe­nz und der Stern können von Daimler Truck weiter genutzt werden. Dazu gibt es eine Lizenzvere­inbarung, wie das Topmanagem­ent berichtete. Eine knappe Woche nach der Bundestags­wahl äußerte sich der aus Schweden stammende Källenius auch zur Politik. „Wir brauchen effektiven Klimaschut­z und eine starke Wirtschaft – ein Signal des Aufbruchs“, forderte er. Eine Präferenz für eine bestimmte Koalition in Berlin äußerte er nicht.

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FOTOS: ULI DECK/DPA Lkws auf dem Gelände des Mercedes-Benz-Werks im rheinland-pfälzische­n Wörth: Im Zuge der Abspaltung des Truck-Geschäfts sollen die Daimler-Aktionäre für je zwei Aktien der Daimler AG eine Aktie der Daimler Truck Holding AG erhalten.
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Vorstandsc­hef Ola Källenius, Aufsichtsr­atschef Bernd Pischetsri­eder und LkwSparten­chef Martin Daum bei der außerorden­tlichen Hauptversa­mmlung der Daimler AG am Freitag.

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