Das letzte Hurra der Ölbarone
Kräftiger Preisauftrieb erfreut die Opec – Doch Experten sehen Ende des Ölzeitalters am Horizont
- Als der saudische Ölminister Prinz Abdulaziz bin Salman vor Kurzem auf Visionen für eine klimagerechte Weltwirtschaft angesprochen wurde, hatte er für die Pläne nur Spott übrig. Das sei Gerede aus dem „La-La-Land“, sagte er. Sein Land baue die Förderkapazitäten jedenfalls weiter aus. Die aktuelle Entwicklung dürfte den Prinzen in seiner Haltung bestärken. Mit mehr als 80 Dollar pro Fass (159 Liter) stieg der Ölpreis diese Woche auf den höchsten Stand seit drei Jahren. Tanken in Deutschland, das meldete der ADAC am Freitag, war im September so teuer wie seit acht Jahren nicht mehr. Und bis zum Jahresende könnte es weiter bergauf gehen. Am kommenden Montag will das Ölkartell Opec die Fördermengen weiter anheben. Auch für die kommenden Jahrzehnte sieht die Opec rosige Aussichten für Öl. Doch das könnte Wunschdenken sein, sagen einige Experten. Sie sehen in der Hausse das letzte Hurra der Ölbranche.
Der Ölpreis steigt nicht nur, weil die großen Volkswirtschaften aus der Corona-Krise kommen. Auch Produktionsausfälle in den USA wegen des Wirbelsturms Ida und Lieferschwierigkeiten einiger Ölproduzenten wie Nigeria wirken sich aus. Die Investmentbank Goldman Sachs hält bis zum Jahresende einen Ölpreis von 90 Dollar pro Fass für möglich – ein Boom nach dem Kollaps des Ölpreises im vergangenen Jahr.
Nach dem damaligen Preisverfall vereinbarten die Opec und Partner wie Russland – Opec-Plus genannt – Beschränkungen der Fördermengen, die nun gelockert werden. Bei einer
Onlinesitzung am Montag will die Opec-Plus das tägliche Fördervolumen nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters um 400 000 Barrel anheben. Die Opec erwartet, dass die Nachfrage in zwei Jahren das Niveau der Zeit vor der Pandemie überschreiten wird. Aber das ist längst nicht alles, meint die von Saudi-Arabien dominierte Organisation. In einem neuen Bericht sagt die Opec voraus, dass Öl im Jahr 2025 fast ein Drittel des weltweiten Energiebedarfes decken wird – das ist mehr als derzeit. Bis 2045 werde dieser Anteil gerade einmal auf 28 Prozent sinken: Öl bleibt demnach wichtiger als erneuerbare Energien, die laut Opec im Jahr 2045 im globalen Energiemix
nur zehn Prozent ausmachen werden. „La-La-Land“werde warten müssen, lautet die Botschaft.
Für Ölminister wie Prinz Abdulaziz bin Salman ist der Opec-Bericht ein Trostspender, nachdem die Branche kürzlich von einer Analyse der Internationalen Energieagentur IEA aufgeschreckt wurde. Die Wiener Experten beschrieben darin einen Weg zu einer C02-freien Weltwirtschaft bis zum Jahr 2050 – und hatten schlechte Nachrichten für die Ölindustrie. Um die Erderwärmung auf 1,5 Grad drosseln zu können, wird die Welt demnach in den nächsten 30 Jahren die Sonnenenergie zum wichtigsten Energieträger ausbauen müssen. Fossile Energien wie Öl machen dann nur noch 20 Prozent aus.
Saudi-Arabien und andere Länder können sich laut IEA die Erkundung neuer Öl- und Gasfelder ab sofort sparen: Weil immer weniger Öl und Gas gebraucht werde, reiche es, bestehende Förderquellen auszubeuten. Teure Investitionen werden sich ohnehin nicht mehr lohnen, wenn strikte CO2-Begrenzungen greifen, meint die IEA. In diesem Fall werde der Ölpreis von derzeit 80 Dollar in zehn Jahren auf 30 Dollar und 2050 auf 25 Dollar sinken.
Selbst wenn sich die Regierungen der Welt nicht zu einem ehrgeizigen Programm a la IEA durchringen können, wird die Rolle von Öl nach Ansicht von Experten stark abnehmen. Auch bei einer Begrenzung der Erderwärmung auf 2 Grad statt 1,5 Grad werde der Ölverbrauch bis 2050 um 70 Prozent fallen, hat die Energieberaterfirma Wood Mackenzie berechnet. Rabah Arezki, Chefvolkswirt der Afrikanischen Entwicklungsbank, und Per Magnus Nysveen vom norwegischen Energieberater Nystad verweisen auf die Anstrengungen der weltweiten Autobranche bei der Umstellung ihrer Produktion auf
Elektrofahrzeuge. Die Firmen konkurrierten um neue Märkte und strebten eine Massenproduktion an, die den Preis für Elektroautos für die Verbraucher drücken werde, schrieben Arezki und Nyvseen im Magazin „F&D“des Internationalen Währungsfonds. Dies mache neue Großinvestitionen im Ölsektor unwahrscheinlich. Arezki und Nyvseen stehen mit ihrer Meinung nicht allein da. Fachleute vom Institute for New Economic Thinking an der britischen Oxford Martin School haben in einer neuen Studie untersucht, was geschieht, wenn die Preise für alternative Energien und Batterien weiter um etwa zehn Prozent pro Jahr sinken und wenn die Nutzung nachhaltiger Energiequellen noch ein Jahrzehnt lang weiter so zunimmt wie bisher. Das Ergebnis: Die Erneuerbaren ersetzen Öl und Gas innerhalb von 20 Jahren. „Die Energietechnologie von heute muss also einfach nur so weitermachen wie bisher, um das Energiesystem von morgen zu verändern“, merkte die Nachrichtenagentur Bloomberg an. Das ist der Grund, warum sich Ölmultis wie BP und Total bis 2050 zu klimaneutralen Energieunternehmen wandeln wollen. Dagegen setzen Saudi-Arabien und die Opec darauf, dass die Veränderungen nur sehr langsam ablaufen werden. Arezki und Nyvseen raten den Ölnationen allerdings zur baldigen Vorbereitung auf einen neuen Zeitabschnitt. Der derzeitige Preisauftrieb nach der Corona-Pandemie könnte nach ihrer Einschätzung den letzten Superzyklus – eine längere Periode außergewöhnlich starker Preissteigerungen – des Ölzeitalters einläuten.