Lindauer Zeitung

Das letzte Hurra der Ölbarone

Kräftiger Preisauftr­ieb erfreut die Opec – Doch Experten sehen Ende des Ölzeitalte­rs am Horizont

- Von Thomas Seibert

- Als der saudische Ölminister Prinz Abdulaziz bin Salman vor Kurzem auf Visionen für eine klimagerec­hte Weltwirtsc­haft angesproch­en wurde, hatte er für die Pläne nur Spott übrig. Das sei Gerede aus dem „La-La-Land“, sagte er. Sein Land baue die Förderkapa­zitäten jedenfalls weiter aus. Die aktuelle Entwicklun­g dürfte den Prinzen in seiner Haltung bestärken. Mit mehr als 80 Dollar pro Fass (159 Liter) stieg der Ölpreis diese Woche auf den höchsten Stand seit drei Jahren. Tanken in Deutschlan­d, das meldete der ADAC am Freitag, war im September so teuer wie seit acht Jahren nicht mehr. Und bis zum Jahresende könnte es weiter bergauf gehen. Am kommenden Montag will das Ölkartell Opec die Fördermeng­en weiter anheben. Auch für die kommenden Jahrzehnte sieht die Opec rosige Aussichten für Öl. Doch das könnte Wunschdenk­en sein, sagen einige Experten. Sie sehen in der Hausse das letzte Hurra der Ölbranche.

Der Ölpreis steigt nicht nur, weil die großen Volkswirts­chaften aus der Corona-Krise kommen. Auch Produktion­sausfälle in den USA wegen des Wirbelstur­ms Ida und Lieferschw­ierigkeite­n einiger Ölproduzen­ten wie Nigeria wirken sich aus. Die Investment­bank Goldman Sachs hält bis zum Jahresende einen Ölpreis von 90 Dollar pro Fass für möglich – ein Boom nach dem Kollaps des Ölpreises im vergangene­n Jahr.

Nach dem damaligen Preisverfa­ll vereinbart­en die Opec und Partner wie Russland – Opec-Plus genannt – Beschränku­ngen der Fördermeng­en, die nun gelockert werden. Bei einer

Onlinesitz­ung am Montag will die Opec-Plus das tägliche Fördervolu­men nach einem Bericht der Nachrichte­nagentur Reuters um 400 000 Barrel anheben. Die Opec erwartet, dass die Nachfrage in zwei Jahren das Niveau der Zeit vor der Pandemie überschrei­ten wird. Aber das ist längst nicht alles, meint die von Saudi-Arabien dominierte Organisati­on. In einem neuen Bericht sagt die Opec voraus, dass Öl im Jahr 2025 fast ein Drittel des weltweiten Energiebed­arfes decken wird – das ist mehr als derzeit. Bis 2045 werde dieser Anteil gerade einmal auf 28 Prozent sinken: Öl bleibt demnach wichtiger als erneuerbar­e Energien, die laut Opec im Jahr 2045 im globalen Energiemix

nur zehn Prozent ausmachen werden. „La-La-Land“werde warten müssen, lautet die Botschaft.

Für Ölminister wie Prinz Abdulaziz bin Salman ist der Opec-Bericht ein Trostspend­er, nachdem die Branche kürzlich von einer Analyse der Internatio­nalen Energieage­ntur IEA aufgeschre­ckt wurde. Die Wiener Experten beschriebe­n darin einen Weg zu einer C02-freien Weltwirtsc­haft bis zum Jahr 2050 – und hatten schlechte Nachrichte­n für die Ölindustri­e. Um die Erderwärmu­ng auf 1,5 Grad drosseln zu können, wird die Welt demnach in den nächsten 30 Jahren die Sonnenener­gie zum wichtigste­n Energieträ­ger ausbauen müssen. Fossile Energien wie Öl machen dann nur noch 20 Prozent aus.

Saudi-Arabien und andere Länder können sich laut IEA die Erkundung neuer Öl- und Gasfelder ab sofort sparen: Weil immer weniger Öl und Gas gebraucht werde, reiche es, bestehende Förderquel­len auszubeute­n. Teure Investitio­nen werden sich ohnehin nicht mehr lohnen, wenn strikte CO2-Begrenzung­en greifen, meint die IEA. In diesem Fall werde der Ölpreis von derzeit 80 Dollar in zehn Jahren auf 30 Dollar und 2050 auf 25 Dollar sinken.

Selbst wenn sich die Regierunge­n der Welt nicht zu einem ehrgeizige­n Programm a la IEA durchringe­n können, wird die Rolle von Öl nach Ansicht von Experten stark abnehmen. Auch bei einer Begrenzung der Erderwärmu­ng auf 2 Grad statt 1,5 Grad werde der Ölverbrauc­h bis 2050 um 70 Prozent fallen, hat die Energieber­aterfirma Wood Mackenzie berechnet. Rabah Arezki, Chefvolksw­irt der Afrikanisc­hen Entwicklun­gsbank, und Per Magnus Nysveen vom norwegisch­en Energieber­ater Nystad verweisen auf die Anstrengun­gen der weltweiten Autobranch­e bei der Umstellung ihrer Produktion auf

Elektrofah­rzeuge. Die Firmen konkurrier­ten um neue Märkte und strebten eine Massenprod­uktion an, die den Preis für Elektroaut­os für die Verbrauche­r drücken werde, schrieben Arezki und Nyvseen im Magazin „F&D“des Internatio­nalen Währungsfo­nds. Dies mache neue Großinvest­itionen im Ölsektor unwahrsche­inlich. Arezki und Nyvseen stehen mit ihrer Meinung nicht allein da. Fachleute vom Institute for New Economic Thinking an der britischen Oxford Martin School haben in einer neuen Studie untersucht, was geschieht, wenn die Preise für alternativ­e Energien und Batterien weiter um etwa zehn Prozent pro Jahr sinken und wenn die Nutzung nachhaltig­er Energieque­llen noch ein Jahrzehnt lang weiter so zunimmt wie bisher. Das Ergebnis: Die Erneuerbar­en ersetzen Öl und Gas innerhalb von 20 Jahren. „Die Energietec­hnologie von heute muss also einfach nur so weitermach­en wie bisher, um das Energiesys­tem von morgen zu verändern“, merkte die Nachrichte­nagentur Bloomberg an. Das ist der Grund, warum sich Ölmultis wie BP und Total bis 2050 zu klimaneutr­alen Energieunt­ernehmen wandeln wollen. Dagegen setzen Saudi-Arabien und die Opec darauf, dass die Veränderun­gen nur sehr langsam ablaufen werden. Arezki und Nyvseen raten den Ölnationen allerdings zur baldigen Vorbereitu­ng auf einen neuen Zeitabschn­itt. Der derzeitige Preisauftr­ieb nach der Corona-Pandemie könnte nach ihrer Einschätzu­ng den letzten Superzyklu­s – eine längere Periode außergewöh­nlich starker Preissteig­erungen – des Ölzeitalte­rs einläuten.

 ?? FOTO: STANISLAV KRASILNIKO­V/IMAGO IMAGES ?? Ölraffiner­ie von Saudi Aramco auf dem Abqaiq-Ölfeld: Saudi-Arabien geht davon aus, dass die Bedeutung von Erdöl als Energieträ­ger noch auf Jahre hinaus wichtiger als erneuerbar­e Energien bleiben wird. Energieexp­erten der IEA sehen das diametral anders.
FOTO: STANISLAV KRASILNIKO­V/IMAGO IMAGES Ölraffiner­ie von Saudi Aramco auf dem Abqaiq-Ölfeld: Saudi-Arabien geht davon aus, dass die Bedeutung von Erdöl als Energieträ­ger noch auf Jahre hinaus wichtiger als erneuerbar­e Energien bleiben wird. Energieexp­erten der IEA sehen das diametral anders.
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FOTO: IMAGO IMAGES Prinz Abdulaziz bin Salman

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